Schon die Fahrt in den Süden der ungarischen Kapitale ist eine Reise in die Vergangenheit. Vorbei an Plattenbausiedlungen führt den Weg über löcherige Straßen in den 22. Bezirk von Budapest, wo leicht bekleidete Damen an der viel befahrenen Schnellstraße Richtung Plattensee auf und ab stolzieren und ihre Liebesdienste anpreisen. Sie bilden einen augenfälligen Kontrast zum Memento Park, der nicht selten als „Friedhof der Standbilder“ tituliert wird. Monumentale Gestalten aus Bronze oder Granit lassen das kleine Freilichtmuseum zu einer Art Disneyland des ehemaligen Ostblocks avancieren.
Zu sehen sind mehr als 40 stumme Zeugen des Sozialismus, die nach dem Ende des Kommunismus in Ungarn Anfang der 1990er Jahre von den Straßen und Plätzen Budapests verschwanden. Während die Denkmäler und Statuen in anderen osteuropäischen Ländern zerstört wurden, beschloss die Generalversammlung der Donaumetropole im Jahre 1993, den Relikten der sozialistischen Ideologie und Kulturpolitik eine museale Heimat zu geben.
Starker Kontrast: Liebesdienerinnen und Staatsdiener
Wie einige der Liebesdienerinnen vor den Toren machen auch die Skulpturen hinter den Toren des ungewöhnlichen Museums durchaus eine gute Figur. Die Skulpturen und Standbilder, die über Jahrzehnte das Stadtbild von Budapest prägten und die je nach politischer Gesinnung für Angst und Schrecken, Jubel und Begeisterung sorgten, laden dabei unweigerlich zu einer Auseinandersetzung mit der Geschichte und dem Vergleich politischer Systeme ein.
Während aus den Lautsprechern abwechselnd in dumpfen Klängen „Die Internationale“, die Hymne der ehemaligen Sowjetunion, schmissige Pionierlieder und die Stimme Lenins dröhnen, fallen unweit des Eingangs die vier Meter hohen Granitfiguren von Karl Marx und Friedrich Engels ins Auge, die dereinst das Portal der Budapester Parteizentrale der Kommunistischen Partei zierten. Wenige Meter weiter ragt Genosse Wladimir Iljitsch Lenin mit versteinerter Miene gen Himmel. Fast scheint es so, als hätte er sein Schicksal geahnt, als hätte er gewusst, dass der real existierende Sozialismus nur eine begrenzte Halbwertzeit hatte. Und so musste der Diktator seinen augenfälligen Standort am Dozsa-György-Boulevard aufgeben und in den Museumspark am Stadtrand umziehen.
Jurrassic Park des Kommunismus
„In diesem Park geht es um die Diktatur. Aber in dem Moment, wo darüber gesprochen, geschrieben und er gebaut werden kann, wird es um Demokratie gehen. Denn nur die Demokratie bietet uns die Gelegenheit, frei zu denken; über die Diktatur – und über die Demokratie und über alles andere“, verdeutlichte Ákos Eleőd, der Architekt des Parks, schön während der Planungsphase sein Selbstverständnis und seine Intention.
Im Herzen des „Jurrassic Park des Kommunismus“ liegt ein Blumenbeet mit fast 40 Metern Durchmesser, das zu einem roten Stern geformt ist. Ein eben solcher Fünfzack zierte lange Jahre den Kreisverkehr am Clark-Adam-Platz vor der Budapester Kettenbrücke. Rund um den nachgebildeten Sowjetstern gruppieren sich die Denkmäler der in Bronze gegossenen „Helden der sozialistischen Arbeit“.
Lenins mächtige Stiefel
Ein besonderer Blickfang sind auch Lenins gigantische Stiefel als letzte Teile eines einst acht Meter hohen Denkmals. Andere Monumente sind weiteren „Verdienten des Volkes“ gewidmet. So sind Denkmäler der Räterepublik, der kommunistischen Märtyrer und von Soldaten der Roten Armee zu bestaunen. Darunter ein sechs Meter hoher Kämpfer mit wehender Fahne in der Hand. Der bronzene Koloss war Teil eines 35 Meter hohen Befreiungsdenkmals, das in Gedenken an die sowjetischen Streitkräfte errichtet wurde, die im 2. Weltkrieg ihr Leben lassen mussten.
Das dominante Element im Freilichtmuseum bleibt jedoch die nackte Ziegelmauer: sie dient als Eingangspforte, als Postament, als Denktafel-Wand, als Abgrenzung und als Fassade der Diensträume – und erzeugt dadurch eine Atmosphäre edler Schlichtheit. Am düsteren Tor der riesigen Potemkin-Wand ist das Gedicht „Ein Satz über der Tyrannei“ von Gyula Illyés verewigt. Weitere besondere Blickfänge im Momento Park, der ursprünglich Szoborpark (Statuenpark) hieß, sind eine Skulptur zweier riesiger Hände, die als Symbol der Arbeiterbewegung eine Kugel halten, und das Monument „Sowjetisch-ungarische Freundschaft“, symbolisiert durch zwei Menschen, die sich versöhnlich die Hände reichen.
Der letzte Atemzug des Kommunismus
Wer mag, kann im Memento Park auch in einem alten Trabant Platz nehmen oder einfach mal mit Lenin, Stalin, Mao, Che Guevara oder anderen großen Parteiführern „telefonieren“. Derweil verrät die Ausstellung, wie einst Agenten rekrutiert und Abhörwanzen installiert wurden. Außerdem wird anschaulich ein Einblick in das Leben in Ungarn während des Kalten Krieges vermittelt.
Abgerundet wird der Besuch hinter die stattlichen Überreste des „eisernen Vorhangs“ durch einen Blick auf die zahlreichen Erinnerungsstücke, die im Museums-Kiosk zum Kauf angeboten werden. Der Bogen spannt sich von Tonträgern mit Arbeiter- und Revolutionsliedern, T-Shirts und Flachmännern über Medaillen, Orden und Anstecknadeln bis hin zu Spielzeug-Trabis und Lenin-Kerzen. Nicht zu vergessen ist der eigentliche Verkaufsschlager: Blechdosen, die den „letzten Atemzug des Sozialismus“ enthalten – ein nostalgischer Hauch, der ohnehin wohl kaum einem Besucher des Memento Park verborgen bleiben dürfte.
Wissenswertes zum Memento Park in Budapest
Informationen: Memento Park, Budapest, XXII. Bezirk, Buda-Süd, Ecke Balatoni út, Telefon 0036-(1)-4247500, www.mementopark.hu
Öffnungszeiten: täglich von 10 Uhr bis zum Einbruch der Dämmerung
Eintritt: 1.500 Forint (ca. 4,85 Euro), ermäßigt 1.000 Forint (ca. 3,25 Euro). Inhaber der Budapest Card haben freien Eintritt.
Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.