„Ein Moin sagt mehr als 1.000 Worte“, lehrt der norddeutsche Volksmund. So gesehen, sind die Menschen in Bremerhaven wohl echte „Schnacker“. Denn egal, wo man geht und steht, wo und wann immer man einem Einheimischen begegnet, erklingt ein freundliches „Moin“.
Selbst ganz ohne Übung und mit ein wenig nasaler Betonung fällt es nicht schwer, in den kollektiven Begrüßungskanon an der Mündung der Weser in die Nordsee einzustimmen. Allein schon, weil darin eine gewisse Unbeschwertheit mitschwingt.
Eine Unbeschwertheit, die den rund 7,2 Millionen Menschen, die von 1830 bis Mitte der 1970er Jahre von Bremerhaven aus vornehmlich nach Nord- und Südamerika, Australien und Neuseeland auswanderten, abhandengekommen sein dürfte. Denn der Aufbruch in eine neue Welt, in ein neues Leben war immer eine Reise ins Ungewisse, noch dazu mit kaum einschätzbaren Risiken und Gefahren, aber auch voller Hoffnung auf ein besseres, sorgenfreieres Leben. Die Beweggründe und Schicksale der Emigranten werden im famosen Deutschen Auswanderer Haus (DAH) anschaulich, multimedial und überaus bewegend aufbereitet.
Ergreifende Schicksale
Armut, Hunger, Vertreibung und Verfolgung ließen Zehntausende die Heimat verlassen, um sich auf eine lange, beschwerliche Reise in ein fremdes Land voller neuer Herausforderungen zu machen. Das im Jahre 2005 eröffnete DAH spannt den Bogen von der Einschiffung über die beengten, spartanischen und herausfordernden Zustände an Bord der Überseeschiffe bis hin zur Ankunft in der Fremde.
Anhand persönlicher Biographien wird dabei deutlich, wie es den Emigranten erging, was sie im Land ihrer Träume erwartete und was aus ihnen geworden ist. Doch das DAH wirft nicht nur den Blick auf die Menschen, die ausgewandert sind, sondern rückt auch diejenigen in den Fokus, die via Bremerhaven nach Deutschland immigriert sind. Ein Thema, das angesichts des Ukraine-Kriegs und der neuesten Flüchtlingswellen aktueller kaum sein könnte.
Weltreise am 8. Längengrad
Nur einen Steinwurf entfernt greift das nicht minder beeindruckende Klimahaus ein ebenso aktuelles Thema auf und widmet sich den dramatischen Auswirkungen der klimatischen Veränderungen rund um den Erdball. Dabei verfolgt das Klimahaus einen ureigenen Ansatz und lädt zu einer Weltreise entlang des 8. Längengrades ein.
Eben auf diesem liegt Bremerhaven, aber auch Isenthal in der Schweiz, Seneghe auf Sardinien, Kanak in Niger, Ikenge in Kamerun, das König-Maud-Land in der Antarktis, Satitoa auf Samoa, Gambell in Alaska sowie die Hallig Langeneß in der Nordsee. An jedem dieser Orte herrschen ganz unterschiedliche klimatische Bedingungen und damit verknüpft gehen ganz unterschiedliche Probleme, Sorgen und Nöte sowie Herausforderungen für die Zukunft einher.
Kleiner Zoo, große Strahlkraft
Symbolisch für die Sorgen um die Zukunft und die Folgen des Klimawandels stehen sicher auch die Stars des kleinsten Zoos in Deutschland, die Eisbären. Die Raubtiere, die nur in der Arktis vorkommen und dort mit dem zurückgehenden Eis zu kämpfen haben, lassen sich in Bremerhaven aus verschiedenen Positionen und Blickwinkeln beobachten. Dabei entpuppt sich der überschaubar große „Zoo am Meer“ als wahres Raumwunder. Faszinierend, wie viele unterschiedliche Gehege auf so kleinem Raum platziert werden können, ohne dass man das Gefühl hat, dass die Tiere völlig beengt gehalten werden.
Die modellierten Landschaften zwischen Neuem Hafen, dem Unter- und Oberfeuer sowie dem Schlepper-Pier harmonieren perfekt mit der dahinter liegenden Wesermündung. Zu sehen sind vornehmlich Tiere, die in Nordeuropa zu Hause sind: Von Seelöwen und Seebären über Polarfüchse bis hin zu Basstölpeln und Schneeeulen. Exoten sind hier die Pumas, Schimpansen und Pinguine. Das Nordsee-Aquarium vermittelt mit 90 Meerestierarten von Seehasen und Katzenhai bis Tintenfisch zudem einen Einblick in die Unterwasserflora und -fauna.
Maritimes Flair
Von den höher gelegenen Terrassen des Zoo-Cafés bietet sich ein herrlicher Rundumblick über den Zoo, den Fluss und Teile von Bremerhaven – insbesondere auf die faszinierenden Havenwelten, wie das mit Anlegeplätzen und schmucken Apartmenthäusern gespickte Areal am Alten und Neuen Hafen heißt.
Und die beiden Hafenbecken haben es in sich. Da liegt zum einen das 1927 vom Stapel gelaufene Schulschiff Deutschland vor Anker. Neben dem 86 Meter langen Dreimaster, der mit seinen Kajüten auch als Übernachtungsalternative gebucht werden kann, sind hier zahlreiche historische Schiffe vertäut, während im Alten Hafen neben Museumsschiffen das U-Boot Wilhelm Bauer, das im Zweiten Weltkrieg im Einsatz war, ausgestellt ist.
Fangfrischer Fisch
Fast schon ein Muss ist die Einkehr auf dem ehemaligen Kutter „Shiralee“ zwischen Zoo am Meer und dem Deutschen Auswanderer Haus. Getreu dem Motto „Die Seele braucht Seeluft, der Körper Fischbrötchen“ warten hier Fischspezialitäten wie Backfisch mit Kartoffelsalat oder der Klibfish-Teller mit Backfisch, Calamaris, Shrimps und Kartoffelsalat. Dazu ist ein „Steuermanns Nordstern“, eine Bierspezialität aus Bremerhaven, empfehlenswert.
Gegessen wird an Bord oder direkt davor an der Uferpromenade, wo Tische und Bänke bereitstehen. Die Gäste stimmen hier eindrucksvoll mit den Füßen ab, so dass man mitunter etwas Wartezeit einplanen muss. Wem es dann nach Nachtisch gelüstet, der entert direkt nebenan den Zuckerkutter, die „Margrit“, wo verschiedene Eissorten feilgeboten werden. Ein wenig geschmälert wird der Genuss von den gierigen Blicken der teils riesigen Möwen, die das maritime Flair hier komplettieren und einem gerne mal bedrohlich nah kommen.
Gewisse Tristtesse
Östlich an die Havenwelten schließt sich die Innenstadt der 110.000-Seelen-Gemeinde an. Die Bürgermeister-Smidt-Straße, die Hauptachse der Fußgängerzone, ist breit, relativ modern und leider auch weitgehend gesichtslos. Zwischen Kunsthalle und Theater duckt sich in einer Ecke eine kleine Figur, die ein wenig an Manneken Pis erinnert. Tatsächlich zeigt der Ludwig-Krüder-Brunnen einen nackten, kleinen Jungen, der stolz zwei Fische in der Hand hält.
Wenige Hundert Meter Luftlinie entfernt steht ein Denkmal für die sogenannten „Granat-Frauen“, die mit ihren Handkarren bis in die 1970er Jahre durch die Stadt zogen und Krabben, auch Granat genannt, verkauften. Ansonsten sind Blickfänge in der Innenstadt rar gesät, sieht man einmal von der zentralen Bürgermeister-Smidt-Kirche ab.
Party- und Genussmeilen
Abends avanciert der nördliche Teil der Bürgermeister-Smidt-Straße zum Treff der Ausgehfreudigen und Feierlustigen. Zahlreiche Kneipen, Restaurants und Clubs lassen den liebevoll „Alte Bürger“ genannten Straßenabschnitt zu einer kleinen, innerstädtischen Partymeile avancieren. Nicht minder beliebt ist der Bremerhavener Fischereihafen. Gemütliche Restaurants und Hafenkneipen liegen in der ehemaligen Packhalle IV Tür an Tür.
Im Hafenbecken vermittelt mit der „Gera“ der letzte deutsche Seitentrawler einen detaillierten Einblick in die harte Arbeit der Fischer. Und wer mag, kann im Schatten des ehemaligen Fischbahnhofs das Räuchern von Fischen „live“ miterleben oder erhält im Fischkochstudio wertvolle Tipps, wie fangfrischer Fisch und Meeresfrüchte fachgerecht zubereitet werden können. Mehr Meer geht wohl kaum.
Wissenswertes in Kurzform
Allgemeine Informationen: www.bremerhaven-tourism.de
Hintergrund: Wäre die Weser nicht versandet, würde es Bremerhaven wohl nicht geben. Weil große Schiffe nicht mehr nach Bremen fahren konnten, hatte sich die Hansestadt Anfang des 19. Jahrhunderts für den Bau eines neuen Hafens an der Mündung von Weser und Geeste in die Nordsee entschieden.
Absolut Sehenswertes
Deutsches Auswanderer Haus: Columbusstraße 65, 27568 Bremerhaven, Telefon 0471-902200, www.dah-bremerhaven.de. Geöffnet täglich ab 10 Uhr. Der Eintritt beträgt 18,50 Euro für Erwachsene, für Kinder 9 Euro, ermäßigt 14 Euro.
Klimahaus: Am Längengrad 8, 27568 Bremerhaven, Telefon 0471-9020300, www.klimahaus-bremerhaven.de. Geöffnet täglich von 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt beträgt 20 Euro für Erwachsene, für Kinder 12 Euro, ermäßigt 16 Euro.
Zoo am Meer: H.-H.-Meier-Straße 7, 27568 Bremerhaven, Telefon 0471-3084141, www.zoo-am-meer-bremerhaven.de. Geöffnet täglich von 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt beträgt 9,50 Euro für Erwachsene, für Kinder 6 Euro.
Schulschiff Deutschland, Barkhausenstraße 4, 27568 Bremerhaven, Telefon 0471-30055597, www.schulschiff-deutschland.de. Wer sich einmal als Schiffsführer fühlen möchte, kann in der Kapitäns-Suite residieren, in der für 175 Euro pro Nacht ein Salon, die Reederkammer mit einem Einzelbett, die Kapitänskammer mit einem Einzelbett und angrenzender Dusche und WC sowie ein Fernseher zur Verfügung stehen.
Das besondere Extra
Tipp: Das Historische Museum Bremerhaven, An der Geeste, 27568 Bremerhaven, Telefon 0471-308160, www.historisches-museum-bremerhaven.de, lädt bei freiem Eintritt dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr auf 3.300 Quadratmetern zu einer Zeitreise über das menschliche Leben in der Weser-Mündung von der Steinzeit bis zur Gegenwart ein.
Genießen und sich betten
Essen & Trinken: Speisesaal, Columbusstraße 65, 27568 Bremerhaven, Telefon 0471-90220121, www.dah-bremerhaven.de/speisesaal. Das Restaurant im Deutschen Auswanderer Haus hält neben Kaffee und Kochen eine kleine Speisenauswahl mit überwiegend norddeutschen Gerichten parat.
Chalet, Bürgermeister-Smidt-Straße 169, 27568 Bremerhaven, Telefon 0471-92698170, www.chalet-restaurant.de. Schweizer Spezialitäten wie Fondue stehen auf der Speisekarte.
Übernachten: Hotel Im-Jaich, Am Neuen Hafen 19, 27568 Bremerhaven, Telefon 0471-97166330, www.im-jaich.de. Das mitten in den Havenwelten gelegene, moderne Hotel bietet Doppelzimmer ab 108 Euro an.
Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.