Belgische Genussmomente in der Wallonie

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Die wunderbare Welt der Trinkgenüsse lässt sich in der Wallonie erleben. – Foto: Susanne Timmann

„Reich mir doch nochmals die Flasche Grande Réserve rüber!“, bitte ich Silvio. Wir sitzen an einer großen, dunklen Holztafel im Südwesten Belgiens, der Wallonie. Kleine Probiergläser sind über den Tisch verstreut. Dazwischen weiße Schälchen mit den obligatorischen Käsewürfeln, deftigen Wurstscheiben und einer Auswahl an eingelegten, grünen Oliven. Silvios Kopf ziert ein kleiner Hut mit Gamsbart und Fasanenfedern. Er strahlt mich mit seinen knappen zwei Metern stolz an. „Ich wusste, dass der Grande Réserve genau das Richtige für dich ist.“

Dann kümmert er sich um die weiteren Gäste, die mit leicht rötlichen, alkoholseeligen Wangen mit um den Tisch auf ihren schweren Holzstühlen sitzen. „Jetzt versuchen wir Rouge Première“ verkündet er in die Runde und alle sind sichtlich in gespannter Vorfreude, auf das nächste, leckere Probiertröpfchen.

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Unterwegs in der Wallonie. – Foto: Susanne Timmann

Der Korken der braunen Flasche mit dem roten Etikett knallt laut und ordentlich schäumend wechselt das leckere Getränk seinen Aufenthalt von der Flasche in die Gläschen. „Hier tanzt die Hefe wieder auf dem Schaum, seht ihr? Riecht ihr Orange, Banane, Nugat und ein bisschen Keks?“, Silvios ausgeprägte Nasenspitze versinkt beim Reden fast in der brauen, noch immer leicht schäumenden Flüssigkeit.

Leckere Biere und ebenso leckerer Käse gehören zusammen

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Käse mit Senf-Dip runden die Bierprobe ab. – Foto: Susanne Timmann

Unsere Tasting-Gruppe befindet sich tatsächlich nicht auf einer illustren Weinprobe. Wir sind in der Nähe von Chimay, einem kleinen, schnuckeligen Dorf in der Provinz Hennegau und genießen bereits unsere zweite Bierprobe an diesem Belgien-Wochenende.

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Auf Bierkultur-Reise in Chimay. – Foto: Susanne Timmann

Die einheimischen Herren, in ihren gemütlichen, dunklen T-Shirts und bequemen Hosen am Nebentisch, die um elf Uhr Samstag morgens ihren Frühschoppen genießen, schauen mit einem stolzen Lächeln zu uns herüber. Sie wissen um die Vielfalt und die langjährige, belgische Biertradition, die seit 2016 zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe zählt.

Trappisten-Biere gelten als Königsklasse der Bierkunst

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Besonders edel sind die Bierflaschen mit Korkverschluss. – Foto: Susanne Timmann

Wir haben das Glück, Silvio Reiß mit am Tisch sitzen zu haben. Seine große Leidenschaft ist das schäumende Getränk aus Getreide. Er besitzt im deutschen Stolberg-Dorff einen kleinen Laden mit über 800 Biersorten. Und darauf ist er mit Recht stolz: Seine Ausbildung zum Diplom-Biersommelieur. Besser kann Leidenschaft und Berufung wohl kaum zusammenkommen. Früher waren die Bierfachkundigen Mundschenke und Vorkoster, heute verführen sie in die unglaubliche Vielfalt der Biere weltweit.

Biersommelieur Silvio Reiß in seinem Element. – Foto: Susanne Timmann

Doch zurück zum Jetzt und Hier: Seit mehr als 170 Jahre brauen die Trappistenmönche in ihrem Kloster Notre-Dame de Scourmont bei Chimay unglaublich vollmundige Biere in Höchstform. Kein Wunder, dass diese Trappistenbiere zu den beliebtesten zählen –  und das nicht nur in Belgien. Kritische Zungen behaupten sogar, dass das Bier von Chimay das Kapitalisten-Trappisten Bier sei. Wie auch immer, unsere inzwischen schon fast bierprofessionelle Gruppe hat definitiv vor, ein Bierchen nach dem anderen in der riesigen, wunderschön eingerichteten Gaststätte Auberge du Poteaupré mit tollem Außenbereich zu testen. Und das nur 15 Gehminuten vom, im Wald versteckten Brauort, dem Trappisten-Kloster, entfernt. Dazu schleppt die gut gelaunte Kellnerin nun Käsekroketten mit Fritten an unseren Tisch.

Für jede Jahreszeit findet sich das perfekte Bier

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Gemütlich geht es bei den Bierproben zu. – Foto: Susanne Timmann

Silvio schlägt vor, sich einfach mal quasi durchs Jahr zu trinken. So beginnen wir mit dem eleganten, blumig frischen Chimay Triple, dessen goldene Farbe an die ersten Frühlingssonnenstrahlen erinnert. Neben dem leicht rauchig, süßem Aroma ist deutlich Vanille wahrzunehmen.

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Formvollendete Bierkunst. – Foto: Susanne Timmann

Zum Osterfest, dem wohl heiligsten Fest der Christen, empfiehlt sich eben das Chimay Rouge Première, erstmals im Jahr 1862 gebraut. Kupferfarben bis tief rubinrot leuchtet das köstliche Gesöff in unseren Gläsern. Abschließend steht das „Weihnachtsbier“ Chimay Blue Grand Réserve auf dem Tisch. Unser Geruchssinn schwelgt zwischen üppigen Fruchtaromen und köstlicher, cremig, karamelliger Schokolade.

Vielfältig präsentiert sich der Südwesten Belgiens

Mit dem Fahrrad lässt sich die Wallonie besonders schön erkunden. – Foto: Susanne Timmann

Und danach fühlen wir uns ein bisschen nach „Bon Voeux“, also guten Wünschen ins neue Jahr. Das genau so benannte Bier, besonders beliebt zu Silvester, haben wir in der Dupont-Brasserie „La Forge“ am Vortag, im Rahmen einer großartigen, abwechslungsreichen Fahrradtour getestet.

Pause in der Dupont-Brasserie „La Forge“. – Foto: Susanne Timmann

Leicht hügelig präsentiert sich die Landschaft in der Region Hennegau. Was bietet sich da besser an, als die Gegend mit dem Fahrrad zu erkunden? Besonders schön ist die Fahrradtour „Authentische Brauereien der Wallonie Picarde“. Startpunkt kann das Automuseum Mahymobiles sein.

Großartig ist er, der Besuch des Automuseums

Der Zahn der Zeit im Automuseum Mahymobiles. – Foto: Susanne Timmann

Liebevoll zusammengestellt und teilweise mit dem Staub von Jahrzehnten abgestellt, begeistern zwei- und vierrädrige Gefährte junge und ältere Radfans im Museum Mahymobiles. Manche Fahrradverleiher wie La Veloterie transportieren die Drahtesel dort hin. Tipp: auf der Tour radeln die Fahrradbegeisterten an kleinen Läden und Biermanufakturen vorbei, die zum Einkauf von Bier und Käse locken, daher sind zusätzliche Fahrradtaschen sehr sinnvoll. Ebenso wie ein E-Bike, das hilft die Souvenirs die Hügel hinauf zu karren.

Schlechtes Wetter gibt es in der Wallonie nicht.  – Foto: Susanne Timmann

Sollte das Wetter etwas regenreicher angekündigt sein, hat Silvio, mit seinem trockenen Humor, auch einen Ratschlag: „Wir können uns das Wetter einfach blau trinken!“

Von Trollen und weiteren „Biergeistern“

Der Troll heißt die Besucher herzlich willkommen. – Foto: Susanne Timmann

Neben dem kleinen Einkaufsladen der Dupont-Brasserie führt die Radelstrecke auch am Museum BeerStorium mit angeschlossenem Restaurant Troll & Bush vorbei. Bereits seit dem Jahr 1769 wird in der ältesten Familienbrauerei Dubuisson in der achten Generation gebraut. Neben dem „Bush“, „Cuvée“, „Surfine“ wird auch das „Cuvée des Trolls“ produziert. Das müssen wir natürlich, nach unserem Rundgang durch das moderne, kleine Museum, unbedingt testen! Und so fällt die Entscheidung auf das Cuvée des Trolls Triple, in der Flasche nachfermentiert. Das erstmals hergestellt wurde, um das zehnjährige Jubiläum des Cuvée des Trolls zu feiern.

Ein Hoch auf die Trolle. – Foto: Susanne Timmann

Beim Feiern sind wir ja gerne dabei. Silvios Nase verschwindet wieder im schaumigen Getränk und mit einem „die Nachgärung verstärkt hier die zarten fruchtig, orangen Aromen und die natürlich, aromatische Hefe,“ wird das erste Schlückchen die Gurgel hinuntergespült. „Wie lecker! Dieser Troll hat keinen sehr hohen Trinkwiderstand!“, sprudelt es über meine Lippen. „Trinkwiderstand!“, mein neues, von Silvio gelerntes Lieblingswort beschreibt, wie geschmeidig ein Bierchen die Kehle runter läuft. Je leichter und frischer ein Bier, desto geringer ist der Trinkwiderstand. Ich hab nicht etwa zu viel getrunken, sondern, das Bier hatte einen zu geringen Trinkwiderstand.

Langjährige Braukunst ist vielerorts zu finden

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Vieles zu entdecken gibt es im BeerStorium. – Foto: Susanne Timmann

Eine Rast besonderer Art ist der Stopp beim 72 Jahre alten Jean-Louis Dits im Örtchen Pipaix. Dort betreibt der selbsternannte „Bierkünstler“ die weltweit letzte Dampfbrauerei, die Brasserie à Vapeur. Es beschleicht einen das Gefühl, das dort schon die Dinosaurier ein Bierchen geschlabbert haben könnten. Es werden aber Maschinen aus dem Jahr 1895 eingesetzt, wobei die Brauerei bereits 1785 auf einem Bauernhof gegründet wurde. Im oberen Stockwerk befindet sich die „neue“ Maschine aus dem Jahr 1952.

Jean-Louis Dits erklärt den Brauvorgang. – Foto: Susanne Timmann

Definitiv hat das Bier nichts, mit den Bieren aus der TV-Werbung zu tun. Der eine oder die andere hat schon etwas Schwierigkeiten, Gefallen an den außergewöhnlichen, teils schon vor vielen Jahren abgefüllten Geschmackserlebnissen zu finden. Jean-Louis meint eh selber: „Manchmal waren auch zu viele Gewürze drin, viel zu viele“, und lacht dabei verschmitzt.

Auch bezaubernde Städtchen gibt es in der Wallonie

Ein Kuriosum der besonderen Art ist die uralte Dampfbrauerei. – Foto: Susanne Timmann

Immerhin werden wohl nur 20 Prozent der Biere in Belgien verkauft. Der „größte“ Anteil wird nach Frankreich, Japan, USA, Kanada und die Schweiz geliefert. Wer mutig genug ist: Die Öffnungszeiten variieren, daher diese vorher abfragen.

Kirche Église catholique Saint-Jacques in Tournai. – Foto: Susanne Timmann

Tournai, auch als „das kleine Brügge der Wallonie“ bekannt, bietet sich perfekt als Übernachtungsspot und Startpunkt einer Besichtigungs- oder Fahrradtour an. Wer mal eine kleine „Bierpause“ einlegen möchte, entspannt zuerst bei einem Spaziergang an dem Fluss Schelde entlang. Rund um den Marktplatz bezaubern die Patrizierhäuser mit ihrem flämischen Charme. 23 Flaggen der regionalen Gilden wehen dekorativ im sanften Wind.

Der Grand Place in Tournai erinnert an das ungleich bekanntere Brügge. – Foto Susanne Timmann

Der 900 Jahre alte Belfried, der seine Mauern stolz in die Höhe streckt, ist seit 2005 Teil des UNESCO Weltkulturerbes. Sicherlich verständlich, dass dieses imposante Bauwerk das Wahrzeichen der Stadt ist. Auch die fünftürmige Kathedrale Notre Dame darf sich mit diesen Titeln schmücken.

Wunderbare belgische Bierkultur in der Wallonie

Wunderbare Welt der belgischen Biere. – Foto: Susanne Timmann

Als ich dann beim Frühstück, am leider letzten Tag unserer belgischen Bierkultur Reise erzähle, dass mein Koffer mit den eingekauften Bierflaschen schwer geworden ist, meint Silvio nebenbei, „kein Wunder, eine große 0,75 Liter Flasche wiegt ja bis zu eins Komma fünf Kilo!“ Anscheinend gibt es wohl nichts, was unser Biersommelieur nicht weiß!

Eine Rast unterwegs muss auch mal sein. – Foto: Susanne Timmann

Und irgendwie habe ich den Eindruck, dass nicht nur mein Koffer schwerer geworden ist. Während ich diese Vermutung mit meinen Mitreisenden teile, bemerkt Silvio: „Das liegt wohl an den Kalorien, das sind die kleinen Tierchen, die nachts die Kleider enger nähen!“ Ah, dann bin ich ja beruhigt, hatte schon befürchtet aufgrund der vielen Leckereien an Gewicht zugelegt zu haben. Weiter Informationen unter www.visitwallonia.be

Tipps für Genussmomente in der Wallonie

Kloster Notre-Dame de Scourmont bei Chimay. – Foto: Susanne Timmann

Chimay: Welch ein Unterschied: das quirlige Restaurant mit Museum und Shop und die Ruhe des Klosters nur wenige Gehminuten getrennt.

Auf prämierte Biere ohne Ende ist die Brauerei Brunnehaut und Sales Manager Baptiste de Huysser besonders stolz. – Foto: Susanne Timmann

Brauerei Brunnehaut Die 1890 gegründete Brauerei Brunehaut verbindet Tradition und Moderne. Die Brauerei wurde 2007 wieder aufgenommen und braute damals 1000 Hektoliter. Seitdem hat sich diese Zahl mehr als verfünffacht. Dennoch bleibt sie eine handwerkliche Brauerei. Zum Brauen des zum Teil glutenfreien Biers werden Biozutaten aus regionaler Produktion verwendet, der Betrieb achtet auf Nachhaltigkeit und nutzt selbst erzeugte Solarenergie.

Brauerei Dubuisson mit Museum „Beerstorium“ der Brasserie Dubuisson.

Etwa 100 Biere und Gerichte aus der Region stehen auf der Karte.  – Foto: Susanne Timmann

Taverne Saint-Géry, Place 2, 7972 Aubéchies, Wirt Christophe Elius und sein Team empfangen in einem ehemaligen mehr als 300 Jahre alten Bauernhof.

Brauerei Dupont und Brasserie La Forge Place de Tourpes 5, 7904 Tourpes. Die Familienbrauerei Dupont in einem ehemaligen Bauernhof ist bekannt für ihre „Saison“-Biere.

Die perfekte Grundlage für jede Bierprobe sind belgische Fritten. – Foto: Susanne Timmann

Belgische Frittenbuden Von Samurai-Soße bis ganz normaler Mayonnaise, die Auswahl an Soßen zu Fritten, Kroketten, oder Fleischspießchen an jeder gewöhnlichen Frittenbude ist enorm. Um die 20 verschiedene Dips und Soßen bieten selbst die ganz einfachen Frittenbuden, die auch an den Autobahnraststätten zu finden sind, an – falls das Magenknurren unerträglich wird.

Das Hotel Alcantara liegt perfekt im Zentrum von Tournai. – Foto: Susanne Timmann

Übernachtung Tournai: Drei-Sterne-Hotel Alcantara mit schönem Innen- und Außenbereich.

Biersommelieur Sivio Reiß Vintäsch bietet auch Biertasting zu Hause an.  Marienstr.1, 52223 Stolberg, Mobil : 0151 – 574 13 211, Mail: silvio.reiss@vintaesch.de www.vintaesch.de

Wissenswertes zu belgischem Bier

Belgien verfügt über eine ungeahnte Biervielfalt. – Foto Susanne Timmann

Trappistenbiere, Abteibiere, Saisonbiere, blond, braun, weiß oder bernsteinfarben – im Bierland Belgien werden Hunderte Sorten gebraut. Trappistenbiere dürfen allerdings nur in unmittelbarer Nähe des Klosters gebraut werden und es muss mindestens ein verantwortlicher Mönch die Aufsicht haben. Der größte Teil des Erlöses muss sozialen Zwecken zugeführt werden. Es gibt weltweit nur noch zehn Kloster, die Trappistenbiere mit dem offiziellen ATP (Authentic Trappist Product) Logo brauen dürfen.

Nicht nur Biersommelieur Sivio Reiß ist von den belgischen Bieren begeistert. – Foto Susanne Timmann

Eins haben alle gemeinsam, die eigentlich wichtigste Zutat, die Hefe, stammt wohl immer von belgischer Trappistenhefe ab. Acht bis zehn Grad Celsius ist die empfohlene Trinktemperatur für die meisten Trappistenbiere, auf jeden Fall nicht zu kalt. Wichtig ist, das passende Glas zum jeweiligen Bier zu benutzen. Die oben weit geöffneten Glaskelche ermöglichen die volle Entfaltung der vielen Aromen. Und, die Kelche sind nach dem Kelch des Abendmahls nachempfunden. Schlägt man den Glaskelch leicht an, klingt dieser wie die Kirchenglocken und laden – nicht immer – zum Gebet ein.