
Belgien ist angeblich das Land mit der größten Dichte an Comics-Zeichnern pro Quadratkilometer. Rund 800 von ihnen zählt das kleine Königreich heute. Von ihrer Schaffenskraft zeugen nicht nur immer neue Alben, die in den unzähligen Comic-Geschäften in Brüssel feilgeboten werden, sondern auch riesige Wandbilder in der belgischen Kapitale mit nahezu allen bekannten Comicfiguren. Da tummeln sich Tim und Struppi aber auch die Schlümpfe, Spirou oder Lucky Luke. Auch Gaston, Marsupilami sowie Blake und Mortimer haben hier ihren Platz gefunden. An mittlerweile mehr als 50 Hauswänden im Zentrum von Brüssel sowie im Stadtteil Laeken finden sich verschiedenste Comics in allen Größen, Farben und Formen. Das Gros dieser überdimensionierten Bilder ist über den Parcours Bande Dessiné, einen sechs Kilometer lange Comic-Rundgang, miteinander verbunden.

„Wer durch Brüssel geht, kann sich diesen riesigen Wandgemälden kaum verschließen“, erinnert Albrecht Paul Sanders an die Anfänge der öffentlichen Comic-kunst in Brüssel im Jahre 1992. Damals begann Art Mural damit, das Stadtbild systematisch mit Comic-Szenen zu verschönern. Und fast jährlich kommen ein bis zwei Motive hinzu. Die meisten sind so hoch angebracht, dass sie von Passanten weder berührt noch beschmiert werden können.

„Die Motive, die bis zum Boden reichen, sind mit einem Speziallack überzogen, um sich vor Beschädigungen zu schützen“, weiß Sanders, der zwar in den Niederlanden geboren ist, aber seit drei Jahrzehnten in Belgien zuhause ist. Lange verdiente der schlanke Mann mit dem gräulich melierten Haar seine Brötchen als Programmierer, eher er arbeitslos wurde und aus der Not eine Tugend machte. Sanders, der mit einer Belgierin verheiratet ist, schulte zum Stadtführer um und zeigt nun seit Jahren Interessierten die schönsten Ecken von Brüssel, gerne auch mit speziellem Fokus auf die Neunte Kunst, wie die Comics hier respektvoll genannt werden.

„Comics gehören zur belgischen Lebensart wie Pommes und Bier“, so Sanders, der selber berufsbedingt die Helden seiner Kindheit erst wiederentdeckte. Im Zickzack führt der Comic-Rundgang, den Interessierte auch mit einer Karte, die das Fremdverkehrsamt vorhält, selber angehen können, durch Brüssels Innenstadt und den Stadtteil Marollen. Das einstige Armenhaus hat sein Gesicht nicht nur dank der vielen Comicwände in den letzten Jahren massiv gewandelt. Mehr unter mehr wird es zu einem Viertel der Antiquitätenhändler.

„Der Comic-Rundgang zeigt herrliche Motive und vermittelt ein Gespür für die Stadt und ihre Menschen“, schwärmt Sanders, der bei seinen Touren auch jene Gegend diesseits des Kanals Brüssel-Charleroi einbezieht, die im Volksmund „Klein-Afrika“ heißt. Jenseits der künstlichen Wasserstraße muten das ehemalige Hafenviertel und die Chaussee de Gand wie ein Stück lebendiges Afrika mitten in Brüssel an. Hier findet das Leben auf der Straße statt. Hunderte von Männern und Frauen – vornehmlich aus Nordafrika – sitzen auf Bänken, lehnen an Hauswänden oder wild parkenden Autos, trinken Tee und diskutieren lautstark.

Fast schon einen jähen Kontrast dazu bildet die Rue des Sables, die so etwas wie das Mekka der Comic-Liebhaber ist. Denn hier befindet sich seit 1989 im ehemaligen Textilkaufhaus von Charles Waucquez das berühmte Centre Belge de la Bande Dessinée, das den meisten schlicht als Comicmuseum bekannt ist. Entworfen wurde der lange dem Verfall Preis gegebene und schließlich aufwendig restaurierte Prachtbau von keinem geringeren als Jugendstil-Meister Victor Horta.

„Nachdem das Kaufhaus geschlossen wurde, wollte die Betreiberfamilie das Gebäude eigentlich abreißen lassen, um hier einen Parkplatz zu errichten“, ist Sanders dankbar dafür, dass Denkmalschützer hier einschritten. Zwar gammelte der Bau fast zwei Jahrzehnte vor sich hin, doch auf Initiative von Guy Dessicy entstand hier schließlich ein Comiczentrum. Der enge Mitarbeiter von Hergé wollte hier ursprünglich ein Museum speziell für Tim und Struppi entstehen lassen.

„Hergé selber hat sich jedoch mit Nachdruck für ein Comicmuseum ausgesprochen, dass die gesamte Vielfalt der Neunten Kunst zeigt“, so Sanders mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des Hauses. Betrieben von einem gemeinnützigen Verein, nennt das Comicszentrum rund 8.000 Original-Zeichnungen sowie zahllose Entwürfe sein eigen, die im Wechsel gezeigt werden. Zum Comic-Zentrum gehören auch ein Lesesaal mit gut 8.000 Alben in fast 30 Sprachen sowie mit der Bédéthèque die größte Comics-Bibliothek der Welt.

Gegenüber dem Comicmuseum liegt mit dem Marc Sleen Museum ein weiteres kleines Museum über die Neunte Kunst, das 2009 seine Pforten öffnete. Dieses ist ganz dem Leben und Werk des inzwischen 90-jährigen Marc Sleen gewidmet und rückt vor allem die witzigen Abenteuer seines Helden „Nero“ in den Fokus. Sogar ein eigens gebrautes und nach dem Helden benanntes Nero-Bier ist (nur) hier und im Cafe Horta des Comicmuseums erhältlich.

Und während in wenigen Hundert Metern Luftlinie eine überlebensgroße Figur von Gaston Lagaffe auf die beiden Museen aufmerksam macht, hält das Moof im Untergeschoss der Galerie Horta am Zentralbahnhof gut 2.500 Comicfiguren, Cover von Alben, Rohzeichnungen von Comic-Helden vor sowie einige Accessoires großer Zeichner wie Goscinny oder Peyo.

Derweil beheimatet das Village de la Bande Dessinée auf 1.500 Quadratmetern Fläche eine der größten Comic-Buchhandlungen Europas. Im angeschlossenen Comicscafe ist Lesen am Tisch nicht unhöflich, sondern fast schon Pflicht. Überall liegen stapelweise Alben herum, während bekannte Comicfiguren die Wände zieren. Spätestens beim Genuss eines Obelix- oder Popeye-Burgers erfahren auch Nicht-Comicliebhaber, wie die Neunte Kunst schmeckt. Weitere Informaionen unter www.visitbrussels.com.