Shahrisabz – Heldenkult an der Seidenstraße

Sharisabz
In Sharisabz ist das ursprüngliche Usbekistan allgegenwärtig. – Foto Karsten-Thilo Raab

Ein bisschen sehen die beiden Turmruinen in Sharisabz aus wie stattliche Eckzähne, an denen der Zahn der Zeit genagt hat. Ein Gemäuer, das hier und da nur durch ein wenig Mörtel zusammengehalten scheint. Wo einst ein 40 Meter hoher und 22 Meter breiter Torbogen die Türme verband, ist heute freie Sicht. Die markanten Teile des einstigen Eingangsportals sind im Laufe der Jahrhunderte fast um die Hälfte geschrumpft – oder besser gesagt geschrumpft worden.

Shahrisabz
Volksheld mit Eroberer-Gen: Amir Temur, dem in Sharisabz ein Denkmal gesetzt wurde. – Foto Karsten-Thilo Raab

Statt des ursprünglichen Gardemaßes von 65 Metern messen die beiden mit blauen, weißen und goldfarbenen Mosaiken verzierten Steinkolosse heute lediglich noch 38 Meter. Und doch lässt sich erahnen, wie prachtvoll der Ak Serai Palast in Shahrisabz in Usbekistan dereinst gewesen sein muss. Zwischen 1379 und 1403 wurde der „Weiße Palast“ als Sommerresidenz für Amur Timur, dem Begründer der Dynastie der Timuriden, errichtet.

Vom Weißen Palast in Sharisabz stehen nur noch die beiden prächtigen Türme. – Foto Karsten-Thilo Raab

„Im 16. Jahrhundert wurde der Palast erstmals durch die Truppen von der Khan Abdulah II aus Bukhara zerstört, dann noch einmal bei einem verheerenden Erdbeben im 19. Jahrhundert“, zählt Muzafar Khodjayev die wichtigsten Eckdaten auf. Gleichzeitig verweist er auf die Tatsache, dass zudem viele, viele „Ziegelräuber“, die Steine für den Bau ihrer Häuser gestohlen hätten und somit mit Schuld am heutigen Aussehen einer der wohl berühmtesten Ruinen in Usbekistan hätten.

An den Türmen des Weißen Palastes sind noch immer die kostbaren Mosaike zu erkennen. – Foto Karsten-Thilo Raab

Dies alles hinderte jedoch die UNESCO nicht daran, den geschichtsträchtigen Bau sowie die mehr als 2.700 Jahre Altstadt von Shahrisabz, das einst auch als „Kes(c)h“ bekannt war, im Jahre 2000 als Weltkulturerbe unter ihren Schutz zu stellen. Eine Oasenstadt an der legendären Seidenstraße, in der noch heute der Glanz der einstigen Handelsstraße zu erahnen ist. Der Weiße Palast, aber auch die Moscheen, Minarette, Medressen (Koranschulen), Kuppelbauten und Basare erinnern unweigerlich an ein „Märchen aus 1001 Nacht“.

Shahrisabz
Nach der Unabhängigkeit wurde Timur ein eindrucksvolles Denkmal am Weißen Palast gesetzt. – Foto Karsten-Thilo Raab

Zum Märchenhelden wird in Shahrisabz auch Timur hoch stilisiert. Was sicher daran liegt, dass der mächtige Herrscher und Eroberer, der auch als Temur oder Tamerlan bekannt war, hier im Jahre 1336 das Licht der Welt erblickte. In sieben Jahrzehnten eroberte Timur mit seinen Truppen nicht weniger als 27 Länder und schuf ein Reich, das sich von Indien bis zum Mittelmeer erstreckte. Dabei galt der Despot nicht gerade als zimperlich. Der Legende nach ließ er immer wieder Menschen bei lebendigem Leibe einmauern und Pyramiden aus den Schädeln der Besiegten auftürmen.

Sharisabz
Frisch Vermählte schießen ein Erinnerungsfoto am Fuße des Denkmals. – Foto Karsten-Thilo Raab

„Nachdem Usbekistan im Jahre 1991 von der Sowjetunion unabhängig wurde, haben wir händeringend nach einer eigenen Identität und einem eigenen Volkshelden gesucht“, räumt Khodjayev freimütig ein. Der 42-jährige kennt in seinem Heimatland fast jeden Stein, arbeitet im Sommer als Touristenführer und im Winter gibt er Studenten Nachhilfe in Deutsch. Er selber hat die Sprache fast akzentfrei an der Universität in Urgench gelernt. Ganze drei Wochen war er im Rahmen eines Stipendiums in Bayern und doch weiß er mehr über Deutschland als mancher Deutscher. Und auch die eigene Geschichte sieht er nicht unkritisch.

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Der Eingang zur Timur-Gruft, in der der Volksheld allerdings nicht beerdigt wurde. – Foto Karsten-Thilo Raab

„Trotz seiner grausamen Eroberungsfeldzüge wird Timur heute als Stammvater der Nation gesehen“, betont Khodjayev, dass sich der Feldherr auch als Bauherr prächtiger Moscheen und Paläste sowie als wichtiger Förderer des Handels und der Kultur verdient gemacht habe. Und so verwundert es wenig, dass eben diesem Volkshelden 1996 im Park des Weißen Palastes ein Denkmal gesetzt wurde. Acht Meter hoch steht Timur mit wehendem Mantel auf einem mächtigen Sockel und blickt finster in die Ferne, als wolle er die Grenzen seines riesigen Reiches nicht aus dem Auge verlieren. Am Sterbebett soll Timur, so weiß Khodjayev zu berichten, als letzten Wunsch nach „einem Stein mit meinem Namen darauf“ verlangt haben. Ein Wunsch, der ihm in seiner Geburtsstadt – aber auch in vielen anderen Städten Usbekistans – fast sechs Jahrhunderte nach seinem Ableben erfüllt wurde.

Sharisabz
Ein Auto können sich nur wenige Usbeken leisten – daher treten viele in die Pedale. – Foto Karsten-Thilo Raab

„Zu Sowjetzeiten stand hier ein Denkmal von Lenin“, erinnert sich Khodjayev. Heute ist die Timur-Statue zu einer wahren Pilgerstätte geworden. Aus dem ganzen Land kommen Menschen hierher, um dem vermeintlichen Volkshelden zu huldigen. Fast täglich finden sich am Sockel des Denkmals Hochzeitsgesellschaften ein, die ein ganz besonderes Foto vom schönsten Tag im Leben des jungen Brautpaares schießen wollen. Vielleicht hoffen die frisch Vermählten auch nur, dass ihr Liebesglück so lange hält, wie das Reich von Timur – nämlich 70 Jahre. Was tatsächlich nach einem Bund fürs Leben klingt.

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Touristenführer Muzafar Khodjayev in Shahrisabz. – Foto Karsten-Thilo Raab

Die „Erfolgsgeschichte“ des Schreckensherrschers wird übrigens im nahe gelegenen Amir Timur Museum anschaulich aufgearbeitet. Untergebracht in der umgebauten Chubin Medresse zeigt die Ausstellung als Höhepunkt ein Modell vom riesigen Reiche des Timurs. Von Fuße des Timur-Denkmals sind auch die blauen Türme der prächtigen Kok-Gumbaz-Moschee mit ihrer stolzen, 25 Meter hohen Hauptkuppel nicht zu übersehen. Das Weltkulturerbe wurde 1436 von Ulug Beg als Freitagsmoschee errichtet. Fast zeitgleich entstand die angrenzende Dorut Tilovat Koranschule.

Auch einige Usbeken sind noch wie zu Timurs Zeiten unterwegs. – Foto Karsten-Thilo Raab

Nur einen Steinwurf entfernt, liegt Dorus-Siadat, ein Mausoleum, das Jehangir, dem ältesten Sohn von Timur, als letzte Ruhestätte dient. In der angrenzenden Chasrat-Iman-Moschee findet sich zudem der Grabstein des Imans Amir Kulal aus dem 8. Jahrhundert. In einer unterirdischen Krypta, die 1943 zufällig von spielenden Kindern entdeckt wurde, wollte Timur eigentlich seine letzte Ruhestätte finden. Das hier befindliche Marmorgrab ist jedoch leer.

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Usbeken auf dem (Straßen-) Basar in Shahrisabz. – Foto Karsten-Tthilo Raab

„Als Timur im Jahre 1405 verstarb, wurde er jedoch im Gur-Emir-Mausoleum in Samarkand, jener Stadt, die Hauptstadt seines Reiches war, beerdigt“, plaudert der wortgewandte Khodjayev ein wenig aus dem Geschichtsbuch. In selbigem finden sich auch die Koba Karawanserei aus dem 15. Jahrhundert sowie der achteckige Chorsu Basar wieder. Der historische und bis heute beliebte Handelsplatz lag dereinst am Knotenpunkt zweier Hauptachsen der Seidenstraße.

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In vielen Teilen von Sharisabz ist der alte Glanz des Seidenstraßen.Mythos noch lebendig. – Foto Karsten-Thilo Raab

Und noch heute wird unter den Kuppeln wie in längst vergangenen Zeiten wild gestikulierend gefeilscht und gehandelt. Handgeschmiedete Messer und wertvolle Teppiche werden ebenso feilgeboten wie punzierte Kupferschalen. Auch orientalische Gewürze und vor allem Seide, jener wertvolle Stoff, der dem Handelsweg einst seinen Namen gab, werden hier gehandelt. Eigentlich fehlen nur eine vorbeiziehende Karawane und ein Timur hoch zu Ross, um die begeisternde Reise in die Vergangenheit perfekt zu machen. Weitere Informationen unter www.uzbektourism.uz.