So müssen sich Ölsardinen fühlen. Der Neoprenanzug ist eng wie eine Wurstpelle, lässt sich nur mit großer Mühe über die Oberschenkel streifen. Tauchlehrerin Alice zieht den Reißverschluss am Rücken hoch. Schon fühlt man sich ein wenig wie ein muskulöses Kraftpaket, wie ein Rocky Balboa mit Schwimmflossen und Bleigurt. Doch der optische Eindruck täuscht. Kaum ist die höllenschwere Sauerstoffflasche auf den Rücken geschnallt, gehe ich fast unweigerlich in die Knie. Und das soll Spaß machen? Die Skepsis steigt. Wie soll man sich als Pellwurst mit Stein auf dem Rücken im Wasser bewegen können? Schweißperlen sammeln sich nicht nur wegen des strahlend blauen Himmels auf der Stirn. Doch die blonde Alice kennt keine Gnade. Sie reicht mir Taucherbrille und Mundstück, führt mich an den Rand des Stegs und sagt: „Nun muss Du das Mundstück und die Brille nur mit einer Hand festhalten und einfach einen Schritt nach vorne machen.“
Gesagt, getan. Alle graue Theorie ist in diesem Moment vergessen. Ein kurzer Schritt für erfahrene Taucher, ein Riesenschritt für einen blutigen Anfänger. Mit einem lauten Platsch falle ich ins Wasser. Die Luft in der eigens angelegten Weste sorgt dafür, dass ich erst einmal an der Oberfläche des gerade einmal zwei Meter tiefen Wassers in der herrlich türkisblauen Lagune vor der Trauminsel Kanuhura im Lhaviyani Atoll im Nordosten der Malediven treibe. Schon liegt Alice neben mir im Wasser, zeigt mir noch einmal, wie ich mit dem Schlauch Luft aus der Weste lasse, um langsam und kontrolliert abzutauchen. Wir tummeln uns erst einmal ein Weilchen in Reichweite des Stegs, versuchen, die Atemtechnik, die an Land problemlos klappte, auch im Wasser auf die Reihe zu kriegen. Es kommt, wie beim Ochsen die Milch.
Die rasch aufsteigenden Luftblasen und das eigene Atemgeräusch wirken zunächst überaus Angst einflößend. Mit dem Kopf unter Wasser klingt es ein bisschen wie in einem Horrorfilm, wenn der Leinwandheld im Dunkeln von einem schnaufenden Massenmörder verfolgt wird. Eine Vision, die jedoch mit dem Blick auf die bunte Wasserwelt schnell in Vergessenheit gerät, zumal sich Hunderte von Schwarmfischen von diesem röchelnden Riesenmonster im Neoprenanzug offenbar nicht verschrecken lassen.
Gleichmäßig zu atmen, ist die eine Sache, noch schwerer fällt es mir, die Luft in der Weste so zu steuern, dass ich weder auf den Meeresboden absacke, noch ständig an die Oberfläche aufsteige. Aber andere haben es auch gelernt. Sogar eine Vielzahl an prominenten Stars und Sternchen, die zum Tauchen nach Kanuhura gekommen sind. Der Bogen spannt sich von Rennfahrern wie Michael Schumacher, Alfredo Alonso, David Coulthard und Mika Häkkinen über Springreiterin Meredith Michaels-Beerbaum und Weltfußballer Lothar Matthäus bis hin zu Schauspieler Erol Sander sowie den Musikern Axel Rose (Guns & Roses) und Morton Harket (a-ha).
Mit einer Eselsgeduld probt Alice mit uns immer wieder die gleichen Handgriffe, geht immer wieder die gleichen Mechanismen durch. Schließlich fühlen sich alle in der vierköpfigen Anfängergruppe sicher genug, um hinter der spindeldürren Blondine her zu einem vorgelagerten Riff zu tauchen. Hatten ihm Stegbereich noch zahlreiche Schwebeteilchen im Wasser die Sicht ein wenig getrübt, so steigt die Sichtweite mit jedem Meter den wir nun vom Ufer wegschwimmen deutlich an. Wie die Küken einer Entenfamilie folgen wir in einer Reihe unserer taucherfahrenen „Mutter“.
„Zwischen Januar und April kann man hier locker bis zu 100 Meter weit unter Wasser gucken“, gerät Alice beim kurzen Auftauchen ins Schwärmen, während wir von dem drei bis vier Meter unter der Wasseroberfläche liegenden Korallenriff in den Bann gezogen werden. Hier tummeln sich Fische und Korallen in allen Farben, Formen und Größen – ein Unterwasserkaleidoskop, dass alle schnell vergessen lässt, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit schwerem Gerät angetaucht sind. Fast in Greifweite duchkreuzt ein weißer Stachelrochen unseren Weg. Schulen von Makrelen und Doktorfischen ziehen gemächlich ihre Bahnen, eine Schildkröte nimmt uns kurz prüfend in den Blick, um dann das Weite zu suchen.
Schnell wird klar, warum nicht nur für Tauchschulenbesitzer Wolfgang Tippelt, der vor zwei Jahrzehnten aus Augsburg auf die Malediven kam, die Gewässer rund um Kanuhura zu den schönsten Tauchrevieren der Welt gehören. Rund 40 Tauchspots im Lhaviyani Atoll steuert der Deutsche je nach Könnerstufe mit den Tauchschülern an. Da gibt es Plätze, an denen sich Hunderte Schildkröten tummeln, da gibt es Riffe, wo kleine Haie heimisch sind, und da gibt es jene Stellen, wo drei bis vier Meter große Mantarochen majestätisch durchs Wasser zu schweben scheinen. Und wem all dies nicht genügt, der kann auch noch zwei Wracks von Schiffen, die im Lhaviyani Atoll gesunken sind, genaustens untersuchen.
Glücklich, aber erschöpft, erreichen wir nach rund einer Stunde im Indischen Ozean wieder den Steg von Kanuhura. Mit einer Mischung aus Stolz und Müdigkeit klettern wir aus dem Wasser. Wohl wissend, dass es wohl noch ein Weilchen dauern dürfte, bis wir wie weiland Jacques Cousteau die Weltmeere erforschen. Aber der hat ja auch mal klein angefangen.
Allgemeines: Die Malediven liegen südwestlich des indischen Subkontinents und bestehen aus 26 Atollen mit zusammen rund 1.200 Inseln, von den nur 200 bewohnt sind und weitere 90 als Hotel Resorts fungieren.
Lage: Kanuhura befindet sich am Ostrand des Lhaviyani Atoll im Nordosten der Malediven, ist knapp einen Kilometer lang und 200 Meter breit.
Tauchen: Das Sun Dive Center der Deutschen Britta und Wolfgang Tippelt auf Kanuhura bietet mit der dazugehörigen Tauchschule verschiedene Tauchgänge im Atoll an. Informationen unter www.sundivecenter.com.
Anreise: Ab 550 Euro für Hin- und Rückflug bietet Condor (www.condor.com) von Frankfurt aus Flüge nach Male an. Die Flugzeit beträgt zehn Stunden. Von Male geht es mit dem Wasserflugzeug des Maldivian Air Taxi (www.maldivianairtaxi.com) dann binnen 40 Minuten ins 150 Kilometer entfernte Kanuhura.
Klima: Geprägt wird das Klima auf Kanuhura von zwei Monsunen bei Jahresdurchschnittstemperaturen von 28 Grad Celsius. Von Dezember bis März/April ist die Luft trocken und warm, von Mai bis November gibt es gelegentliche Schauer und eine höhere Luftfeuchtigkeit.
Zeitunterschied: Kanuhura ist der Mitteleuropäischen Zeit fünf Stunden voraus.
Sprache: Landessprache ist Dhivehi, Englisch ist weit verbreitet. In Kanuhura spricht das Personal mehr als 40 Sprachen.
Währung: Die Landeswährung ist Rufiyaa. Ein Rufiyaa entspricht etwa 0,05 Euro, ein Euro etwa 19,70 Rufiyaa. Nahezu überall kann problemlos in US-Dollar bezahlt werden. Auch Kreditkarten sind problemlos nutzbar.
Übernachten: Kanuhura Resort, Lhaviyani Atoll, Malediven, Telefon 00960-6620044, info@kanuhura.com.mv, www.kanuhura.com. Das Fünf-Sterne-Superior-Hotel, das 2012 zum besten „luxury private island resort“ der Welt gekürt wurde, zählt 100 Villen mit Größen von 62 bis 188 Quadratmetern. Strandvillen beginnen umgerechnet bei 209 Euro pro Person und Nacht im Doppelzimmer inklusive Frühstück, Wasservillen bei 319 Euro und Grand Wasservillen bei 436 Euro.
Essen & Trinken: Auf Kanuhura gibt es mit dem Thin Rah (Buffet), dem Olive Tree (mediterranes á la carte Menü) und dem Veli Café (Asian Fusion Kitchen und Gegrilltes) drei Restaurants sowie auf der unbewohnten Nachbarinsel Jehunuhura mit dem Kandu ein kleines Restaurant, das Grillspezialitäten und Fisch serviert.
Pauschalangebote: Tui (www.tui.com) bietet sieben Nächte inklusive Frühstück und Flug ab 3.530 Euro an, mit Halbpension ab 4.000 Euro. Bei Dertour (www.dertour.de) können Strandvillen ab 209 Euro pro Person und Wasservillen ab 319 Euro gebucht werden. Der Aufpreis für Halbpension beträgt 65 Euro, für Vollpension 91 Euro pro Tag.
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Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.