Normalerweise ernten Schaumschläger allenfalls ein müdes Lächeln – vor allem wenn es um einen guten Kaffee geht. Nicht so Chang Kuei Fang. Im Gegenteil. Täglich wächst die Zahl der Bewunderer für die 48-jährige Taiwanesin, die seit 2011 mit My Cofi ein kleines, eher unscheinbares Café in Kaohsiung, der zweitgrößten Stadt Taiwans, betreibt. Und doch stimmen die Menschen hier eindrucksvoll mit den Füßen ab.
Denn die Kunden aus aller Herren Länder geben sich im My Cofi förmlich die Klinke in die Hand, um eine von Chang Kuei Fangs Kaffeespezialitäten zu erwerben. Dabei schocken die Besucher weder die stolzen Preise von bis zu 1.000 Taiwanesichen Dollar (circa 28 Euro) pro Tasse noch die Mindestwartezeiten von 15 bis 20 Minuten für ihre Bestellung. Und eigentlich ist den meisten der Geschmack ihres Kaffees auch egal.
Statt sich auf das Heißgetränk zu stürzen, zücken alle erst einmal ihre Kamera oder ihr Smartphone, um Dutzende Bilder ihres Cappuchinos oder vom frisch servierten Caffè Latte auf den Digitalchip zu bannen. Denn Chang Kuei Fang ist nicht vergleichbar mit anderen hoch geschätzten Baristi, sondern eine wahre Kaffeekünstlerin. Die 48-jährige verwandelt nämlich den obligatorischen Milchschaum in beeindruckende Kunstwerke.
Der Bogen spannt sich dabei von Tierbildern über Porträts ihrer Kunden und von Cartoon-Charakteren bis hin zu dreidimensionalen Ansichten von Insekten, Hunden und Katzen, die fast schon lebendig wirken. Auch die Mona Lisa wurde bereits in Schaum gebannt. Und zu Halloween gibt es schon mal ein Skelett oder eine Horrorfratze sowie zum Fest der Feste das Konterfei des Weihnachtsmanns.
Alles, was Chang Kuei Fang dazu benötigt, sind Kaffee und Milchschaum sowie ein paar genießbare Farben, die sie mit Hilfe von Espresso, Schokoladen, Kakao und Marmeladen selber herstellt.
„Natürlich braucht man auch viel Geduld, ein gutes Auge und eine ruhige Hand“, so Chang Kuei Fang, die rund 40 dieser Kunstwerke am Tag auf den Kaffee zaubert. Dabei lässt sich die begabte Powerfrau von den Kunden auch bereitwillig über die Schulter schauen.
Um den frisch zubereiteten Milchschaum in Tassenkunst zu verwandeln, nutzt die 48-jährige eine Art Minispachtel, kleine Löffel sowie feine Pinsel. Vorsichtig trägt sie Schicht um Schicht der weißen Pracht auf, um sie dann nach den Wünschen der Kunden zu formen und zu gestalten.
„Die meisten Gäste bringen ein Foto als Vorlage von dem mit, was ich für sie aus Milchschaum zaubern soll“, erläutert die findige Taiwanesin die Vorgehensweise. Ihre Mitarbeiter könnten inzwischen auch tolle, individualisierte Kaffeekunstwerke schaffen; um die komplizierteren Wünsche kümmere sie sich jedoch lieber selber, ergänzt die 48-jährige augenzwinkernd.
In der Tat sind die Kaffeekreationen optisch ein Genuss. Nicht nur der Auftraggeber, sondern auch andere Kunden des kleinen Cafés sind überaus fasziniert von den Heißgetränken. In Sekundenschnelle werden die Fotos gepostet, geteilt und geliked. Mit dem Effekt, das mit jedem Bild in den diversen sozialen Netzwerken neue potenzielle Kunden auf den Geschmack kommen. Wäre doch Kaohsiung nur nicht so weit weg…
Und noch einen kleinen Wermutstropfen gibt es: der Milchschaum halt sich maximal 30 Minuten, ehe das Kunstwerk förmlich in sich zusammenbricht. Dann ist der Kaffee natürlich kalt und manch einer nippt noch nicht einmal an der 28-Euro-Tasse. Dennoch gibt es wohl niemanden, der My Cofi nicht völlig begeistert wieder verlässt.
Infomationen: My Cofi, No. 19, Xiamen Street, Lingya District, Kaohsiung City, Taiwan 802, Telefon 00886-72220101, www.facebook.com/mycofi.taiwan/
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Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.