Sanfte Hügel, hoch aufragende Berge, ausgedehnte Felder und Weinberge, soweit das Auge reicht, prägen die Landschaft in Südwestbulgarien. Ein wenig scheint in den kleinen, verträumten Dörfern die Zeit still zu stehen. Hier und da rekeln sich Hunde verschlafen im Halbschatten der Bäume. Männer und Frauen ackern auf den Feldern und Wiesen. Die Straßen sind meist wie leergefegt. Nicht wenige Häuser sind in einem eher mäßigen Zustand. Der Putz bröckelt hier und da von den Wänden und verleiht der ländlichen Idylle einen ureigenen Charme. Immer wieder finden sich auch verlassene oder halb zerfallene Häuser. Wohlstand sind definitiv anders aus. Doch all dies tut der Aufgeschlossenheit und großen Gastfreundschaft keinen Abbruch. Auch wenn die Bulgaren oft zunächst ein wenig barsch wirken.
Was aber nicht daran liegt, dass sie unfreundlich sind, sondern vielmehr ihrer Intonation geschuldet ist. Vieles klingt eher hart, fast nach Kommandoton, auch wenn dies so absolut nicht gemeint ist. Ein einfaches „da“, für ja, führt bereits zur Verwirrung – vor allem in Kombination mit einem Kopfschütteln. Denn in Bulgarien wird ein Nein mit einem Nicken und ein Ja mit einem Kopfschütteln unterstrichen. Nicht minder verwirrend geht es an einer der berühmtesten Landmarken des Landes zu, am Rila Kloster: Ein markerschütternder Schrei eines Greifvogels hallt in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen durch die Lüfte. Doch von dem gefiederter Vogel fehlt jede Spur. Tatsächlich wird dessen Ruf über Lautsprecher eingespielt, um andere Vögel aus dem UNESCO-Weltkulturerbe im Herzen des Rila-Gebirges zu verscheuchen.
Das berühmte orthodoxe Kloster wirkt von außen eher schlicht und könnte leicht mit einer Festung verwechselt werden. Sobald der Torbogen durchschritten ist, öffnet sich eine ganz andere Welt: Holzkonstruktionen, Arkadengänge, Erker und Balkone prägen die Fassaden des Klostergebäudes, während die beeindruckende Klosterkirche mit über 1.000 farbenprächtigen Szenen verschönert ist. Vom Turm im Klosterinnenhof lässt sich ein Rundblick auf das bis zu 2.729 Meter hoch aufragende Rila-Gebirge werfen, während das Museum den Fokus auf die Entstehungsgeschichte und den Wandel des Welterbes wirft. Eine Besonderheit ist hier das aus einem Buchsbaum geschnittene Rafaelskreuz. Es zeigt 36 filigrane Bibelszenen in Miniatur. Insgesamt wurde das Kreuz mit 600 Figuren bestückt.
Gegründet wurde das größte bulgarische Kloster im 10. Jahrhundert durch den Eremiten Ioan Rilski. Zu Spitzenzeiten lebten hier auf gut 1.150 Metern über dem Meeresspiegel 200 Mönche – heute sind es lediglich noch acht.
Deutlich älter, aber weniger bekannt als das Rila-Kloster ist die römische Ausgrabungsstäte Heraklea Sintika. Unweit von Rupite schlummert diese archäologische Fundgrube ein wenig unscheinbar am Südhang des Vulkanhügels Kozhuh-Planina. Schubkarren, Eimer und Grabewerkzeuge zieren den ungesicherten Eingangsbereich. Außer ein paar Infotafeln in englischer Sprache lässt die Anlage jeglichen Besucherkomfort vermissen. Es gibt keinen befestigten Parkplatz, zwei Dixi-Klos und einen großen Wasserbehälter mit kurzem Schlauch auf einer Palette, an dem behelfsweise die Hände gewaschen werden können.
Dafür lässt sich aus nächsten Nähe erkunden, wie dereinst die Römer in diesem Teil Bulgariens gelebt haben. Die Geschichte von Heraklea Sintika reicht zurück bis in das 4. Jahrhundert vor Christus als der Makedonen-König Philipp II. hier eine Stadt gründete. Nach der römischen Eroberung gehörte die Stadt zur römischen Provinz Macedonia. Erst seit 2007 wird die Stadt in mühsamer Kleinarbeit von Archäologen freigelegt.
Nur zwei Kilometer Luftlinie entfernt wurde einer in Bulgarien bis heute hoch verehrten Wahrsagerin namens Wanga (1911-1996) im wahrsten Sinne des Wortes ein Denkmal gesetzt. Neben der angrenzende Kirche Sweta Petka Balgarska fand die blinde Seherin ihre letzte Ruhestätte.
„Baba Wanga“ (Oma Wanga), die mit vollem Namen eigentlich Ewangelija Pandewa Guschterowa hieß, soll mit ihren Prophezeiungen geholfen haben, zahllose Vermisste aufzuspüren. Auch bedeutende Ereignisse rund um den Erdball soll sie vorausgesagt haben. So 1985 das Ende der Sowjetunion nach dem Amtsantritt von Michail Gorbatschow, die Wahl von Peter Stojanow zum bulgarischen Präsidenten, den verheerenden Tsunami in Thailand im Jahre 2004 und sogar den Brexit. Und 1989 soll sie die Angriffe auf das World Trade Center in New York mit den Worten „Horror, Horror. Die amerikanischen Brüder werden fallen nach einem Angriff durch stählerne Vögel“ vorhergesagt haben.
Beweise für all dies gibt es nicht, da Wanga ihre Vorahnungen nirgendwo festgehalten hat. Unumstritten ist, dass der Wanga-Komplex sich an einem speziellen Ort in Rupite befindet. Denn direkt angrenzend an das Areal erstrecken sich mehrere, bis zu 75 Grad Celsius heiße Mineralquellen am Fuße des erloschenen Vulkans Kozhuh-Planina. Deren Wasser sollen heilende Wirkung haben. Und so gibt es nicht wenige, die sich in den natürlich ausgebildeten Pools ein Bad gönnen.
Nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt findet sich mit Melnik die kleinste Stadt Bulgariens. Knapp 200 Einwohner leben in den überwiegend weiß getünchten Häusern. Durchzogen wird das Dorf durch ein Flussbett, das in den Sommermonaten kaum mehr als ein Rinnsal enthält. Doch nach Regen oder der Schneeschmelze wird das Gewässer zu einem reißenden Fluss. Daher wird das Bild Melniks durch zahllose Brücken geprägt.
Eine weitere Besonderheit sind an den südwestlichen Ausläufern des Pirin-Gebirges die Pyramiden von Melnik. Dahinter verbirgt sich ein Naturphänomen aus stark ausgewaschenen Erdpyramiden. Diese bestehen aus einem Sand-Lehm-Gemisch, dass sich im Laufe der Jahrhunderte zu bizarren Formen aufgetürmt hat.
Keine 20 Minuten Fußweg von der kuriosen Gesteinsformation schlummert mit dem Kloster Rozhen ein weiteres Kulturerbe der UNESCO. Auch dieses Kloster aus dem 10. Jahrhundert ist von außen eher unscheinbar. Besonders beeindruckend sind hier die Wandmalereien aus dem 17. Jahrhundert. Eine Holzkonstruktion prägt den Umlauf des weineberankten Innenhofes.
Apropos Wein: Die Region rund um Melnik gilt als eines der bedeutendsten Weinanbaugebiete in Bulgarien. Seit 6.500 Jahren wird hier nachweislich Wein kultiviert. Nach der Region ist auch der dunkelrote Melnik-Traube benannt. In den Weingütern wie Villa Melnik lässt sich bei Führungen alles Wissenswerte zu den mehrfach ausgezeichneten Weinen aus Melnik erfahren – Kostproben inbegriffen.
Allgemeine Informationen: www.bulgariatravel.org/de/
Anreise: Lufthansa und Austrian Airlines bieten von allen größeren Flughäfen in Deutschland Direktflüge nach Sofia bzw. Gabelflüge über Wien an.
Essen und Trinken: Rozhenski han, 2820 Rozhen, Bulgarien, Telefon 00359-89-8272757. Traditionelle bulgarische Speisen wie Buhcha, ein mit Fleisch und Gemüse gefüllter Brotlaib, werden in einem urigen Biergarten unweit des Klosters Rozhen serviert.
Übernachten: Zornitza Estate, 2821 Zornitza Village, Melnik Area, Bulgarien, Telefon 00359-877-762217, info@ornitzaestate.com, www.zornitzaestate.com. Das malerische Weingut hält Doppelzimmer und luxuriöse Villen in einer traumhaft schönen Landschaft vor.
Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.