Silvio Reiß – der Experte für Biergenuss

Silvio Reiß
Biersommelier Silvio Reiß vermittelt die Harmonie von Bier und Essen. – Foto: Susanne Timmann

Die Lederschürze lässt Silvio Reiß ein wenig wie einen Bierkutscher aussehen. Pferd und Wagen besitzt er nicht, dafür aber einen Faible für Bier. Der gebürtige Aachener ist sogar ein ausgewiesener Experte für die Brauprodukte, denn Silvio Reiß ist einer der wenigen diplomierten Biersommeliers in Deutschland. Dabei hat der stattliche Kerl mit dem gräulich melierten Vollbart seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Wobei sich die Passion nicht allein auf Bier beschränkt, sondern auf Genuss im Allgemeinen. Denn Reiß, der in Stolberg bei Aachen mit dem „Vintäsch“ ein Fachgeschäft mit ausgewählten Bier-Raritäten betreibt, versteht sich als Bierbotschafter, der zugleich die Genusskultur fördern möchte.

„Zu einem guten Essen gehört immer auch ein gutes Schlückchen“, weiß Reiß, dass dies nicht zwingend Wein sein muss. Vielmehr gibt es eine Vielzahl an besonderen Bieren, die perfekt zu der einen oder anderen Mahlzeit passen. Genau dies versucht der wortgewandte Kenner im Rahmen von regelmäßigen Tastings, Hausbesuchen und Präsentationen allen geneigten Genussliebhabern und solchen, die es werden möchten, zu vermitteln.

Von Kipp- und Nipp-Bier

850 ausgewählte Biersorten finden sich im Vintäsch in Stolberg, – Foto: Karsten-Thilo Raab

„Mein Anliegen ist es, den Interessierten die Vielfalt und Faszination, die in unserem ältesten Kulturgetränk steckt, näher zu bringen“, umschreibt Reiß sein gelebtes Eigenverständnis. Gleichzeitig unterstreicht er, dass der „Bierkosmos“ deutlich über die im TV und den Medien beworbenen, bekannten Massenbiere hinausgeht.

Grundsätzlich unterscheidet er zwischen „Kipp-Bier“ und „Nipp-Bier“. Während Erstere jene Gerstensaftvarianten sind, die von Bierliebhabern oft schnell und in großen Mengen getrunken werden, sind Letztere eben jene ausgewählten Biere, die fürs Essen gut funktionieren und die schlückchenweise genossen werden sollten.

Silvio Reiß
In Salzburg ließ sich Silvio Reiß zum Biersommelier ausbilden. – Foto: Karsten-Thilo Raab

„Genau da komme ich ins Spiel und zeige, welche Aromen zusammen gut funktionieren“, so Reiß weiter, wohl wissend, dass die individuellen Geschmäcker überaus verschieden sind. Gleichzeitig betont er, dass bei den Tastings nach Möglichkeit immer alle Sinne angesprochen werden sollten, um ein besonderes Geschmackserlebnis erfahren zu können.

Genuss mit allen Sinnen

Damit sich die Aromen bestens entfalten, gibt es für jede Biersorte spezielle Gläser. – Foto: Susanne Timmann

„Wenn wir eine Flasche oder Dose auf der Lippe ansetzen, ist die Nase als wichtiges Organ sofort ausgeschaltet“, empfiehlt der diplomierte Fachmann zunächst an dem Bier zu riechen, bevor ein erster Schluck mit Bedacht genommen wird. Die kleine Biermenge sollte der Genießer dann einen Moment auf der Zunge und am Gaumen tanzen lassen, so dass sich die vielfältigen Aromen besser herausschmecken lassen.

Silvio Reiß
Silvio Reiß empfiehlt, für den perfekten Genuss immer erst am Bier zu riechen. – Foto: Karsten-Thilo Raab

„Bier ist eigentlich immer genießbar, auch nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatum“, räumt Reiß mit einem gängigen Vorurteil auf, um direkt hinterher zu schieben: „Irgendwann reduziert sich die Kohlesäure und der Geschmack verändert sich, ohne dass das Bier nicht mehr trinkbar wäre.“

Whiskynote und Champagnerbier

Der Korken deutet an, dass es sich hier um besondere Biere handelt. – Foto: Susanne Timmann

Der Wahl-Stolberger, der sich auch für den Wiederaufbau der Kupferstadt nach dem verheerenden Hochwasser im Jahre 2021 stark macht, hat in seinem Fachgeschäft rund 850 Sorten Bier im Angebot. Darunter auch alkoholfreie und glutenfreie Varianten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf bayerischen, belgischen, britischen und Barrel aged Bieren. Zu Letzteren gehören beispielsweise Biere, die in Whisky oder Rumfässern gelagert wurden. Die stattliche Auswahl umfasst aber auch Biere mit Whiskynote oder erlesene Champagnerbiere. Spezialitäten, für die Liebhaber schon mal dreistellige Summen auf den Tisch des Hauses oder besser gesagt des Vintäsch legen.

Silvio Reiß
Ein besonderes Schätzchen ist dieses Bier aus den 1960er Jahren. – Foto: Karsten-Thilo Raab

„Alle Bier, die ich im Angebot habe, sind preiswert. Das heißt, sie sind ihren Preis wert“, versichert Reiß mit Blick auf die oft aufwendige handwerkliche Machart der Biere, deren Herstellungskosten naturgemäß teilweise deutlich über den Preisen für das massenkompatible 08/15 Getränkemarktprogramm liegen. Wobei der Sommelier die populären Sorten keinesfalls verteufelt, sondern gezielt versucht, eine Nische zu bedienen.

Variantenreichtum abseits des Reinheitsgebots

Belgische Biere erfreuen sich großer Beliebtheit. – Foto: Karsten-Thilo Raab

„Es ist schon kurios. Fünf, sechs Euro für einen Kaffee Latte auszugeben, sind viele bereit, nicht aber fünf Euro für eine gute Flasche Bier zu zahlen“, hofft Reiß, mehr und mehr Genussliebhaber für besondere Schlückchen begeistern zu können. Er selber hatte bereits in jungen Jahren einen Hang zum Genuss. Dazu gehörte neben vielen anderen Gaumenfreuden ebenfalls ein gepflegtes Bierchen. Schon mit 16 Jahren war er viel im benachbarten Belgien unterwegs und lernte dort Biere kennen, die geschmacklich weit weg von dem waren, was man in Deutschland kannte.

Einige Bierflaschen eignen sich sogar als Lampenfuß. – Foto: Karsten-Thilo Raab

„In Belgien gibt es gut 4.800, überaus variantenreiche Biermarken, die nicht immer dem berühmten deutschen Reinheitsgebot entsprechen, aber sehr bekömmlich sind“, weiß der Hundehalter, dessen Hund sich auch im Logo wiederfindet, um lächelnd hinterher zu schieben: „Daran sieht man, wie klein ich mit meiner Auswahl bin, zumal nur ein kleiner Teil meiner Biere aus Belgien stammt.“

Trappistenbiere als Besonderheit

Bei der Qual der Wahl im Vintäsch hilft nur die fachmännische Beratung durch Silvio Reiß. – Foto: Susanne Timmann

Und die belgischen Biere erfreuen sich in der Grenzregion großer Beliebtheit. Vor allem die Trappistenbiere sind gefragt. Diese Biere, deren Alkoholgehalt in der Regel zwischen sechs und zwölf Prozent liegt, werden durch oder unter Aufsicht von Trappistenmönchen in einem Trappistenkloster oder in dessen unmittelbarer Umgebung gebraut. Der Erlös ist für die materiellen, geistigen und geistlichen Bedürfnissen der Mönche und den Erhalt des jeweiligen Klosters bestimmt. Etwaige Überschüsse dienen ausschließlich wohltätigen oder sozialen Zwecken. Entsprechend beläuft sich der Jahresausstoß dieser Brauereien zumeist nur auf wenige Tausend Liter pro Jahr. Oft sind sie auch nur in kleinen Mengen direkt am jeweiligen Kloster erhältlich.

Auch eine Hanfblüten-Weisse ist im Angebot. – Foto: Karsten-Thilo Raab

„Das weckt natürlich Begehrlichkeiten“, erläutert Reiß, dass es weltweit lediglich zehn Trappistenbrauereien gibt – fünf in Belgien (Chimay, Orval, Rochefort, Westmalle, Westvleteren), zwei in den Niederlanden (La Trappe, Zundert) und je eine in Österreich (Stift Engelszell), Italien (Tre Fontane) und England (Mount St. Bernard). Bei seinen wöchentlich bis zu zweimal angebotenen Tastings bietet der erfahrene Sommelier diese Bierbesonderheiten stets zusammen mit Trappisten-Käse und -Schokolade an. Was nicht nur für ihn eine „perfekte Kombination“ ist.

Ländervergleich mit Bieren

Viele der angebotenen Trappistenbiere stammen aus dem benachbarten Belgien. – Foto: Susanne Timmann

„Belgische Biere bestechen einfach durch die Vielfalt und dadurch, dass die meisten einfach gut zu Speisen funktionieren“, betont Reiß, dass Genießer in diesem Zusammenhang noch etwas von den Belgier lernen könnten: „Es ist hier nicht verboten, auch ein kleines Bier miteinander zu teilen.“ Eben Nipp- statt Kipp-Bier.

Für jeden Geschmack und jeden Geldbeutel ist das Richtige dabei. – Foto: Susanne Timmann

Populär sind daneben die sogenannten „Ländervergleiche“ die im Vintäsch sowie bei Hausbesuchen und Präsentationen regelmäßig im Fokus stehen. Dabei sind beispielsweise je fünf Spezialitäten aus Deutschland, Belgien und Großbritannien im Ausschank. Ziel ist es, herauszuarbeiten, was haben diese Biere gemeinsam und vor allem, wie sich unterscheiden.

Silvio Reiß
Auch Platz für Humor gibt es im Vintäsch in Stolberg. – Foto: Karsten-Thilo Raab

„Ich bin immer mit 50 Bieren im Rückstand“, räumt Reiß mit Blick auf die Suche nach neuen, ausgewählten Sorten ein. So fährt er, wenn es die Zeit zulässt, kleine Brauereien in Belgien und Bayern persönlich ab oder lässt ein paar Flaschen einer Marke, auf die er aufmerksam geworden ist, zusenden, um diese dann im Rahmen von Tastings gemeinsam mit Kunden zu beurteilen und zu überlegen, ob diese ins Programm aufgenommen werden oder nicht.

Sommelier-Ausbildung in Salzburg

Bei der riesigen Auswahl fällt es schwer, den Überblick zu behalten. – Foto: Susanne Timmann

Reiß selber, der gut 20 Jahre in der Anzeigenakquise tätig war, bevor er 2019 als Biersommelier den Sprung in die Selbständigkeit wagte, ist dabei nicht etwa sein bester Kunde. Er hat sich selber auferlegt, an mindestens vier Tagen pro Woche keinen Alkohol zu trinken. Wohl wissend, dass er bei Tastings und Hausbesuchen nicht (komplett) darum herum kommt. Wenig überraschend hat er auch kein ausgewiesenes Lieblingsbier.

Nicht fehlen dürfen glutenfreie Sorten. – Foto: Karsten-Thilo Raab

„Auf welches Bier ich gerade Lust habe, hängt von der Jahreszeit, der Tageszeit, der Stimmung und vom Essen ab“, verrät Reiß, dass er im Sommer Fruchtbiere bevorzugt. Seine Ausbildung zum Biersommelier hat der Stolberger übrigens im österreichischen Salzburg absolviert. Dort lernte er unter anderem, wie man einen Brausud ansetzt und lernte, wie man Biere beschreibt und präsentiert. Dabei hat er sich im Rahmen des Lehrgangs für den Schwerpunkt Food-Pairing entschieden. Also für eine Methode, die dazu dient, herauszufinden, welche Biere und Speisen geschmacklich gut zusammenpassen; basierend auf individuellem Geschmack, Beliebtheit, Verfügbarkeit von Zutaten und traditionellen kulturellen Praktiken. So gesehen hat der Genussmensch Silvio Reiß perfekt sein Hobby zum Beruf gemacht.

Mit Brille fällt die Orientierung vielleicht leichter. – Foto: Susanne Timmann

Informationen: Vintäsch, Steinweg 4, 52222 Stolberg , Telefon 0049-151- 57413 211, www.vintaesch.de

Ungewöhnliche Schilder zieren die Wände des Vintäsch. – Foto: Karsten-Thilo Raab

Buchtipp für Genussmenschen

Realität ist der Zustand, der aus Mangel an Alkohol entsteht, lehrt eine irische Trinkweisheit. Frei übersetzt bedeutet dies wohl, dass das Leben – nüchtern betrachtet – nur besoffen zu ertragen sei. Aber wir wollen die Vorliebe zum Alkohol nicht bewerten. Das muss ein jeder mit sich und seiner Leber alleine ausmachen. Gleichwohl kommt es immer wieder vor, dass der eine oder andere mal einen über den Durst trinkt. Dies bleibt zumeist ohne Folgen. Sieht man einmal von der Tatsache ab, dass sich so mancher in solchen Fällen den zuvor konsumierten Alkohol noch einmal durch den Kopf gehen lässt und dass das Bett mit einem Karussell zu fahren scheint.

Die Trinkgewohnheiten und -vorlieben vieler Zeitgenossen flossen dann auch in die augenzwinkernde Hommage an alle, die durchaus dem Alkohol nicht völlig abgeschworen haben, ein. So oder so dürfte bei den Geschichten rund um Bier, Wein, Champagner und andere hochgeistige Getränke, die Mortimer-Reisemagazin-Redakteur Karsten-Thilo Raab in seinem neuen Buch unter dem Titel Ich trinke, dann kannst du fahren zusammengetragen hat, kein Auge trocken bleiben.

So erfährt nicht nur der trinkfreudige Leser wie lange die Menschen rund um den Erdball für ein Glas Bier arbeiten müssen, wie viel Bier in den Schnäuzer dieser Welt hängen bleibt und wieso Wein sowohl die Intelligenz fördern können soll als auch vor intensiver Sonneneinstrahlung schützt. Daneben geht es beispielsweise um Kuriositäten wie Bier aus Käse oder Bier für Hunde oder um die Frage, warum auf Kreuzfahrten der Alkoholkonsum deutlich ansteigt.

Karsten-Thilo Raab

berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.

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