
Mit Backsteincharme empfängt der historische Bahnhof aus dem Jahre 1888 die Gäste in Stolberg unweit von Aachen. Der Bahnhof selber ist ein kleines Kuriosum, liegt er doch in einem Dreieck zwischen verschiedenen Gleisabschnitten. Genauso kurios ist auch die Nummerierung der Gleise. Auf der einen Seite finden sich die Gleise 1, 2, 44 und 43 und dann auf der anderen Seite des Bahnhofsgebäudes das Gleis 27.

Ein Stück Maximalverwirrung gleich zur Begrüßung. Zu Fuß sind es von hier bis in die Innenstadt gut eine Dreiviertelstunde strammen Marsches. Alternativ geht es mit dem Bus oder einer kleinen Regionalbahn weiter bis in die Altstadt.

Am Haltepunkt Stolberg-Rathaus erwartet einen dann ein jähes Kontrastprogramm: Auf der einen Seite blinzelte die stolze Burg hoch auf einem Hügel zwischen den Häuserfassaden durch, auf der anderen Seite ragt die abrissreife Ruine des Rathauses gen Himmel.

Damit avanciert der geschundene Verwaltungssitz zugleich zu einem Sinnbild für eine Naturkatastrophe, von der die 57.000-Seelen-Gemeinde im Sommer 2021 heimgesucht wurde. Ähnlich wie im Ahrtal wurden weite Teile der Innenstadt durch ein Jahrhunderthochwasser zerstört – jedoch ohne eine ähnlich große mediale Aufmerksamkeit.
Verheerende Flut vom 15. Juli 2021
Der Wiederaufbau geht nur sehr schleppend voran. Während die Fußgängerzone entlang des Steinwegs wieder hergestellt wurde, sind entlang der Einkaufsmeile noch immer gefühlt 80 Prozent der Ladenlokale durch die Urgewalt des Wassers sichtlich in Mitleidenschaft zogen und nach gut vier Jahren noch nicht wieder hergestellt.

Hier lässt sich auf bedrückende Art und Weise erahnen, wie viel Existenzen in diesem Teil von Stolberg zerstört wurden. Eine Herkulesaufgabe, all dies wieder herzustellen. Der einzige Trost für die arg gebeutelten Stolberger ist die Tatsache, dass, anders als im Ahrtal, bei der Flutkatastrophe niemand ums Leben kam.

Derweil dümpelt der Vichtbach parallel zur Einkaufsstraße vor sich hin, führt nur geringe Wassermassen mit sich und lässt noch nicht einmal ansatzweise erahnen, dass er in jenen schicksalhaften Tagen im Sommer 2021 mehrere Meter hoch zu einem reißenden Strom anschwoll. Einige Flutmarken an den Häusern dokumentieren, wie hoch das Wasser an jenem 15. Juli stieg, als es das charmante Städtchen vor den Toren von Aachen verwüstete. Ansonsten zeugen lediglich die noch nicht wieder aufgebauten Ladenzeilen sowie Fotos von den Wassermassen und den Aufräumarbeiten an den Fassaden der beschädigten Häuser von dem folgenschweren Ereignissen.
Signale des Wiederaufbaus

Zu den kleinen zarten Pflänzchen, die im Wiederaufbau gedeihen, gehört etwa das Vintäsch. Nur wenige Meter vom Lauf des Vicht eröffnete Biersommelier Silvio Reiß wenige Monate nach der verheerenden Flut das Fachgeschäft für ausgewählte Bierspezialitäten, das allein mehr als 850 Biersorten vorhält. Getreu dem Motto „nippen statt kippen“ möchte der gebürtige Aachener Bier als Genussmittel salonfähig machen und verzichtet entsprechend auch auf die gängigen Massenbiere in seinem Sortiment.

„Wer ein 08/15 Getränkemarktprogramm sucht, ist bei mir sicherlich falsch“, so Silvio Reiß. So hält der wortgewandte Hüne mit dem gräulichen Vollbart Besonderheiten wie Champagnerbier oder Bier mit hochwertigem Whisky vor. Entsprechend schlagen einzelne Sorten auch schon mal mit dreistelligen Preisen zu Buche.

„Mein Schwerpunkt liegt auf belgischen, britischen und bayerischen sowie auf barrel aged Bieren, also Bieren, die ähnlich wie Wein oder Whisky im Fass gereift sind“, erläutert Reiß, der sich nebenbei politisch für seine Wahlheimat engagiert. Wohl wissend, dass Stolberg zwar in Teilen noch immer von der Flut gezeichnet ist, aber die charmante Altstadt weitgehend bewahren konnte.
Ein Stück Hollywood in Stolberg

Verwinkelte, kopfstein-gepflasterte Gassen mit uralten Fachwerk- und historischen Bruchsteinhäusern aus Dolomitkalk prägen zusammen mit der Burg, deren Geschichte bis in das 12. Jahrhundert zurückreicht, das Bild der Altstadt. Dazwischen ducken sich imposante Kupferhöfe, die daran erinnern, dass Stolberg als älteste Messing- und Kupferstadt der Welt gilt.

Sehenswert ist etwa die Adler-Apotheke, die im Jahre 1575 als Kupferhof vom Kupfermeister Leonhard Schleicher errichtet wurde. Nicht minder attraktiv ist der Kupferhof Rose, der um 1600 entstand und heute als Kunsthandwerkerhof unter anderem Ateliers und eine Weinbar beheimatet. In dem historischen Ensemble duckt sich zudem die katholische Kirche St. Lucia mit ihrem markanten Zwiebelturm.

Nicht von ungefähr haben gerade in jüngerer Vergangenheit die Filmemacher die Altstadt von Stolberg für sich entdeckt. So diente das Häuserensemble im Jahre 2021 als Kulisse für den Kinofilm „Catweazle“ mit Otto Waalkes und Katja Riemann. Im Jahre 2024 wurde dann die Komödie „Der Buchspazierer“ mit Christoph Maria Herbst und Maren Kroymann hier abgedreht. Zeugnisse dafür, dass sich ein Besuch von Stolberg unabhängig von den sichtbaren Flutschäden lohnt – und dies nicht nur für Cineasten. Weitere Informationen unter www.stolberg-erleben.de und unter www.wiederaufbau-stolberg.de.


Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.