Hohenschönhausen – die dunkle Seite Ost-Berlins

Zellentrakt im "U-Boot" in Hohenschönhausen. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Zellentrakt im „U-Boot“ in Hohenschönhausen. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Schon die Anfahrt wirkt wie eine Reise in die Vergangenheit. Vorbei an schier unzähligen Plattenbausiedlungen führt der Weg in den Berliner Stadtteil Hohenschönhausen zur ehemaligen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Das von hohen Sicherheitszäunen umgebene Gefängnis in dem früheren Sperrbezirk im Osten der Hauptstadt steht für die 44-jährige Geschichte politischer Verfolgung in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR und ist heute als Gedenkstätte zu einem Synonym für politische Strafverfolgung und Justizwillkür im ehemals geteilten Deutschland geworden.

Einst selbt in Hohenschönhausen inhaftiert, heute Gästeführer durch die Gedenkstätte: Hartmut Richter. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Einst selbt in Hohenschönhausen inhaftiert, heute Gästeführer durch die Gedenkstätte: Hartmut Richter. (Foto Karsten-Thilo Raab)

„Hohenschönhausen war nichts anderes als ein Ort der Geständnisproduktion für so genannte feindlich-negative Subjekte“, urteilt Hartmut Richter, einer der ehrenamtlichen Führer, zu Beginn des Rundgangs durch die heutige Gedenkstätte. Eine Formulierung, die bewusst gewählt ist und sich auf eigene schmerzliche Erfahrungen stützt. Denn Hartmut Richter war selber in Hohenschönhausen inhaftiert.

Der ehemalige Jungpionier hatte im Januar 1966 versucht, über die Tschechoslowakei nach Österreich zu fliehen, wurde gefasst, ins Untersuchungsgefängnis Potsdam gebracht und zu zehn Monaten Bewährung verurteilt. Sein zweiter Fluchtversuch im August 1966, als er unter Todesangst versuchte, den Teltow-Kanal zu durchschwimmen, war erfolgreich. Mit westdeutschem Pass ausgestattet, begann er nur wenig später Freunde, Bekannte und Verwandte mit seinem Auto über die Grenze zu schmuggeln. Ein gefährliches Vabanquespiel, das 1975 ein jähes Ende nahm, als er seine eigene Schwester in den Westen bringen wollte. Hartmut Richter wurde festgenommen und in einem Schauprozess zu 15 Jahren Gefängnis in Potsdam, Hohenschönhausen und Bautzen verurteilt.

In endlosen Verhören, mit Schlafentzug und Isolationshaft gelang es dem MfS ihm 18 Fälle von Fluchthilfe nachzuweisen, tatsächlich aber hatte er 33 Menschen in die BRD gebracht. Nach fünf Jahren und sieben Monaten hatte der Albtraum für ihn endlich ein Ende, als er von der Bundesregierung freigekauft wurde. Heute nun schließt sich für Hartmut Richter ein Kreis. Er trägt durch sein Engagement in Hohenschönhausen dazu bei, eines der dunkelsten Kapitel in der deutschen Geschichte aufzuarbeiten.

Die einstige Gefangenenregistrierung in Hohenschönhausen. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Die einstige Gefangenenregistrierung in Hohenschönhausen. (Foto Karsten-Thilo Raab)

„Mit perfiden Methoden wurden in Hohenschönhausen Tausende unter oftmals menschenunwürdigen Bedingungen in Haft gehalten und dazu genötigt, sich zu vermeintlichen Straftaten zu bekennen“, unterstreicht Hartmut Richter mit Blick auf die Lange Liste von Inhaftierten. Der Bogen spannte sich dabei von Schauspieler Heinrich George, dem Vater von Schimanski-Darsteller Götz George, über den langjährigen Leiter des Aufbau Verlages, Walter Janka, bis hin zum Dissidenten Rudolf Bahro und zu Schriftsteller Jürgen Fuchs. Aber auch in Ungnade gefallene Politiker wie der frühere DDR-Außenminister Georg Dertinger oder SED-Politbüromitglied Paul Merker und der einstige Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, saßen hier ein.

Auf dem Gelände im Nordosten Berlins befand sich ursprünglich eine Großküche der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSW). Der 1938 errichtete Backsteinbau wurde im Mai 1945 von der sowjetische Besatzungsmacht beschlagnahmt und zu einem Internierungslager umfunktioniert. Das so genannte „Speziallager Nr. 3″ diente als Sammel- und Durchgangslager. Von hier aus wurden etwa 20.000 Gefangenen in andere sowjetische Lager wie Sachsenhausen gebracht oder auch in das nördlich des Polarkreises gelegene Workuta zur Zwangsarbeit deportiert.

Einzelzelle im "U-Boot" in Hohenschönhausen. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Einzelzelle im „U-Boot“ in Hohenschönhausen. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Später diente der Komplex an der Genslerstraße als das zentrale sowjetische Untersuchungsgefängnis für Ostdeutschland. Anfang der 1950er Jahre übernahm die Geheimpolizei der SED das Gefängnis und nutzte es bis 1990 als zentrale Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit. Die Vorwürfe, die zur Inhaftierung führten, lauteten zumeist auf Boykotthetze, staatsfeindliche Propaganda, Spionage oder Republikflucht.

Die Haftbedingungen im zeitweise völlig überfüllten Lager Hohenschönhausen waren katastrophal; die hygienischen Verhältnisse trotzten jeder Beschreibung und die Verpflegung war mehr als unzureichend. Die Häftlinge verfügten zumindest in den Anfangsjahren über keine Decken und litten folgerichtig in den mitunter harten Wintern in den unbeheizten Zellen unter der großen Kälte.

Besonders grausam war ein 1946 errichtetes unterirdisches Gefängnis im Keller der ehemaligen Großküche. Die winzigen Zellen im so genannten „U-Boot“ waren allenfalls mit einer Holzpritsche und einem Kübel ausgestattet, besaßen keine Fenster, Waschbecken oder Toiletten. „Einige Gefangene waren gezwungen, in ihren eigenen Exkrementen auf dem Boden zu schlafen“, weiß Hartmut Richter aus Erzählungen von Inhaftierten zu berichten.

Zellentrakt in Hohenschönhausen. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Zellentrakt in Hohenschönhausen. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Eine gleißende Glühbirne war Tag und Nacht angeschaltet, was dem bunkerartigen Gefängnis den Beinamen „Hotel zur ewigen Lampe“ einbrachte. Die Verhöre fanden vor allem in den Nachtstunden statt und waren oftmals von Drohungen, Beschimpfungen und körperlicher Gewalt begleitet. Dazu gehörten neben der Unterbringung in mit Wasser gefüllten Gummizellen die chinesische Tropfenfolter, bei der in gleichmäßigen Rhythmus eiskaltes Wasser auf den kahlrasierten Kopf eines Inhaftierten tropfte. Mitunter wurden die Häftlinge auch in einen Türrahmen zwischen zwei Türen eingepfercht. Die völlige Dunkelheit und die Luftknappheit brachten dann unweigerlich die „gewünschten“ Geständnisse.

Anfang der 1960er Jahre mussten die Häftlinge dann auf dem Gelände einen Neubau mit über 200 Zellen und Vernehmerzimmern errichten, der fortan als zentrales Untersuchungsgefängnis des Staatssicherheitsdienstes diente. Fortan wurde das „U-Boot“ nur noch vereinzelt zur Isolationshaft genutzt. Statt mit physischer Gewalt wurden die Häftlinge nunmehr vor allem mit psychologischen Methoden zermürbt. So wussten die meisten Häftlinge nicht, wohin man sie nach ihrer Verhaftung gebracht hatte. Ein direkter Kontakt zur Außenwelt war nicht möglich. Und innerhalb der Haftanstalt genoss die Isolation des Einzelnen absolute Priorität. Ein Ampelsystem auf den Gängen stellte sicher, dass Gefangene keinen Kontakt untereinander hatten und sich nicht zu Gesicht bekamen.

Hinter trutzigen Mauern liegt das ehemalige Stasi-Gefängnis im Nordosten von Berlin. (Foto: Karsten-Thilo Raab)
Hinter trutzigen Mauern liegt das ehemalige Stasi-Gefängnis im Nordosten von Berlin. (Foto: Karsten-Thilo Raab)

„Ein Horrorszenario, dessen gesamtes Ausmaß beim Betreten der heutigen Gedenkstätte allenfalls erahnt und mit Worten kaum wiedergegeben werden kann“, so Hartmut Richter, der mit seiner Arbeit dazu beiträgt, dass Hohenschönhausen als ein wichtiges, wenngleich dunkles Kapitel deutscher Geschichte begriffen wird und vor allem, dass die vielen unschuldig Inhaftierten nicht in Vergessenheit geraten.

Hohenschönhausen - einst Gefängnis, heute Gedenkstätte. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Hohenschönhausen – einst Gefängnis, heute Gedenkstätte. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Informationen: Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Genslerstraße 66, 13055 Berlin, Telefon 030-98608230, info@stiftung-hsh.de, www.stiftung-hsh.de

Führungen: Rundgänge für Einzelpersonen und Kleingruppen bis zu sechs Personen werden montags bis freitags um 11 Uhr, 13 Uhr und 15 Uhr, samstags, sonn- und feiertags stündlich zwischen 10 und 16 Uhr angeboten. Von März bis Oktober finden montags bis freitags zusätzlich Führungen um 12Uhr und 14.00 Uhr statt.

Eintritt: 5 Euro, ermäßigt 2,50 Euro, Schüler 1 Euro

Anfahrt: Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen ist vom Alexanderplatz beziehungsweise vom Haltepunkt Landsberger Allee bequem mit der Straßenbahnlinie M5 zu ereichen. Von der Haltestelle Freienwalder Straße sind es etwa zehn Minuten Fußweg entlang der Freienwalder Straße. Alternativ kann die Anfahrt mit der Straßenbahnlinie M6 ab S-Bhf Hackescher Markt oder S+U-Bhf Alexanderplatz in Richtung Riesaer Straße erfolgen. Der Ausstieg erfolgt dann an der Haltestelle Genslerstraße. Die Genslerstraße beginnt auf der Rückseite des Allee-Centers. Der Fußweg dauert ebenfalls etwa zehn Minuten.


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