Die Reise des Marmors – vom Vinschgau zum Ground Zero

Ein Stück Vinschgau am Ground Zero – weißer Laaser Marmor schmückt den neuen New Yorker U-Bahnhof World Trade Center Transportation Hub. (Foto Lasa Marmo)
Ein Stück Vinschgau am Ground Zero – weißer Laaser Marmor schmückt den neuen New Yorker U-Bahnhof World Trade Center Transportation Hub. (Foto Lasa Marmo)

Das Alter des Laaser Marmors aus dem Weißwasserbruch im Vinschgau wird auf 400 Millionen Jahre geschätzt – ein Stein für die Ewigkeit also. Dank seiner Reinheit und Widerstandsfähigkeit haben ihn Baumeister von Wien bis Berlin bereits ab dem 19. Jahrhundert eingesetzt. Seit 2016 schmückt er die Innenräume des neuen U-Bahnhofs World Trade Center Transportation Hub in New York, entworfen von Stararchitekt Santiago Calatrava.

Doch wie fand der Marmor seinen Weg aus Südtirol zum Ground Zero? Und warum verwandeln jedes Jahr im Sommer international bekannte Steinmetze das kleine Bergdorf Laas in eine kreative Bildhauerwerkstatt unter freiem Himmel?

Marmorblöcke vor dem Werk in Laas im Vinschgau. (Foto Alex Filz)
Marmorblöcke vor dem Werk in Laas im Vinschgau. (Foto Alex Filz)

Der bislang teuerste Bahnhof der Welt ist nicht einfach nur ein beliebiger Ort im Big Apple, sondern an Symbolik kaum zu überbieten. Wo einst die Zwillingstürme standen, soll sich nun das neue Ensemble von Santiago Calatrava als Verkehrs- und Geschäftszentrum etablieren. Neben dem Design des prestigeträchtigen World Trade Center Transportation Hub in Form einer stilisierten Friedenstaube waren dem spanischen Architekten die eingesetzten Materialien mindestens ebenso wichtig: Rund um den Globus ließ er nach den perfekten Baustoffen für seine – aufgrund der explodierenden Kosten von Kritikern als größenwahnsinnig bezeichnet – Reminiszenz an 9/11 suchen. Gefunden hat er sie unter anderem im Südtiroler Vinschgau, wo seit dem 19. Jahrhundert der Laaser Marmor industriell abgebaut wird.

Einen solchen Großauftrag gab es nie zuvor: Bis die 32.000 (!) Quadratmeter Marmorplatten, schlicht gekennzeichnet mit dem Kürzel WTC, das Werk im Dorf Laas verließen, war das Geschäft streng geheim. Erst ab Sommer 2012 hat man sie dann ganz offiziell von einem der höchsten Marmorbrüche Europas per Schwertransport zum Hafen von La Spezia in Ligurien und anschließend per Frachtschiff nach New York gebracht. Seit März 2016 ist der Laaser Marmor in Böden und Wänden der lichtdurchfluteten, schneeweißen U-Bahn-Station am Ground Zero verewigt.

Begonnen hat die (Zeit-)Reise des Marmors allerdings bereits in der Antike. Schon die Römer nutzten das frostbeständige Material für die Meilensteine entlang der Via Claudia Augusta. Weitere Verwendung fand es in zahlreichen Bauwerken der Romanik und Renaissance. Seit 1883 wird das „weiße Gold“ zwischen 1.500 und 2.300 Metern Höhe an der Nordostflanke der Ortlergruppe professionell abgebaut. Mithilfe der 1929 errichteten Bremsberganlage werden die bis zu 20 Tonnen schweren Blöcke bis heute vom Stollen ins Tal transportiert. Sie gilt als technisches Meisterwerk und Industriedenkmal.

ine Besonderheit des Festivals „Marmor & Marillen“ im Vinschger Dorf Laas ist die „marmorweek“ unter freiem Himmel. (Foto Frieder Blickle)
ine Besonderheit des Festivals „Marmor & Marillen“ im Vinschger Dorf Laas ist die „marmorweek“ unter freiem Himmel. (Foto Frieder Blickle)

Verarbeitet ist der edle Stein beispielsweise im Moltke-Denkmal in Berlin, in der Queen-Victoria-Statue vor dem Londoner Buckingham Palace sowie in knapp 90.000 Grabkreuzen für die im Zweiten Weltkrieg gefallenen US-Soldaten – nur der reinste Marmor war den Vereinigten Staaten für ihre auf vier Kontinenten verteilten Armeefriedhöfe gut genug.

In Laas im Vinschgau ist der Marmor allgegenwärtig – sogar Gehsteige, Bahnhof und Dorfplatz sind mit ihm gepflastert. Alljährlich im Sommer kommen Bildhauer aus aller Welt in der 2.000-Seelen-Gemeinde zusammen. Anlässlich der „marmorweek‘16“ vom 29. Juli bis 7. August fertigen sie unter freiem Himmel eine Woche lang ihre Skulpturen aus einem 50 Zentimeter großen Marmorwürfel, der ihnen gratis zur Verfügung gestellt wird.

Dabei lassen sich die Künstler gern über die Schulter schauen und erzählen von ihrer Leidenschaft für Hammer und Meißel. Das diesjährige Motto lautet „Herz und Stein“, prämiert werden die Arbeiten im Rahmen des Kultur- und Genussfestivals „Marmor & Marillen“ vom 6. bis 7. August. Infos zum Event unter www.vinschgau.net.

Tipp: Der Themenweg Schrägbahnsteig von Laas führt entlang der historischen Marmorschrägbahn in Serpentinen hinauf zum Bremsberg, Schautafeln erläutern die einzelnen Stationen, Werksführungen informieren darüber hinaus zum Thema.

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