Das Paradies war bekanntlich ein Garten. Einen eben solchen, noch dazu einen, der der Vorstellung vom Paradies sehr nahe kommen soll, schuf Universalkünstler André Heller im Süden von Marokko, genauer vor den Toren des Dörfchens Douar Sbiti im Ourikatal am Fuße des mächtigen Atlas-Gebirges. Anders als das biblische Paradies ist „Anima“, wie die knapp vier Hektar große Gartenlandschaft heißt, nicht göttlichen Ursprungs, sondern für viel Geld mit einer riesigen Muskelhypothek entstanden.
Fast fünf Jahre gingen ins Land, ehe aus dem verödeten, vertrockneten Areal einer ehemaligen Rosenfarm ein Meer aus Blüten und Blättern entstand, in dem sich unter dem Dach von Bäumen und Sträucher zahlreiche Kunstwerke ducken. Mal dezent und versteckt, mal protzig-klotzig tauchen die meist farbenfrohen Skulpturen und Installationen zwischen Kakteen, Palmen, Mandel-, Orangen- und Zitronenbäumen auf. Manches regt zum Schmunzeln, manches zum Nachdenken an, aber immer bilden die Werke des schaffensfreudigen Heller großartige Blickfänge.
Ein Meer aus Düften und Farben
Keine Frage, das im Oktober 2016 eröffnete Anima ist ein Festival für alle Sinne, ein magischer Ort, der gleichermaßen Naturliebhaber und Kulturbeflissene in seinen Bann zieht. Ein berauschendes Meer an Düften und Farben, das so wohl kaum jemand auf dem afrikanischen Kontinent erwartet.
Gut zehn Millionen Euro ließ sich André Heller seinen Gartentraum kosten. Ein Traumgarten, den er aus dem Nichts entstehen ließ. Dabei bedurfte es fraglos jeder Menge Vorstellungsvermögen, aber auch viel Zeit und Geduld, um den vertrockneten, rötlichen Lehmboden in eine faszinierende Pflanzenwelt zu verwandeln.
Mit dem Fahrrad auf Pflanzensuche
Um das für viele zunächst als utopisch abgehandelte Projekt überhaupt verwirklichen zu können, verkaufte André Heller seinen geliebten „Giardino Botanico“ am Gardasee samt der dazugehörigen Villa. Ungleich schwieriger gestaltete sich die Suche nach geeigneten Pflanzen, zumal es in Marokko keine größeren Gärtnereien oder Baumschulen gibt, die entsprechende Mengen auf Bestellung liefern.
Und so wurde aus der Not eine Tugend gemacht. Ein Stab von Mitarbeitern fuhr – teilweise auf Fahrrädern – kreuz und quer durch das Ourikatal und das nahe gelegene Marrakesch auf der Suche nach geeigneten Bäumen und Sträuchern. Mit Erfolg. Auf verlassenen Grundstücken, in den Gärten abrissreifer Häuser und an vielen anderen Stellen im Umland wurde Pflanzen aufgestöbert, die in Anima eine zweite Heimat finden sollten. Mit riesigem Aufwand wurden 25 Meter hohe Palmen, mächtige Orangen- und Drachenbäume, windschiefe Olivenbäume und vergessene Bananenstauden umgepflanzt.
Logistische Meisterleistung
Dabei galt es allerlei logistische Probleme zu lösen. Denn die teils riesigen Bäume mussten samt Wurzelwerk und Erdballen auf Tieflader gehievt und nach Douar Sbiti transportiert werden. Für die Umsiedlung eines fünf Meter hohen Kaktus aus einem Hinterhof in Marrakesch wurden sogar spezielle Transportboxen aus Metall gefertigt.
Das Ansiedeln der Pflanzen war eine Sache. Die spannende Frage blieb, ob diese am neuen Standort auch wieder vernünftig anwachsen würden, zumal der Landstrich im Ourikatal auch noch durch besondere klimatische Bedingungen gekennzeichnet ist.
Bis 50 Grad Celsius heiß
„Im Sommer ist es nicht selten um die 50 Grad Celsius heiß, im Winter ist das nahe Atlas-Gebirge oft monatelang schneebedeckt und die Kälte breitet sich im ganzen Umland aus“, weiß Mohamed Ait Brahim zu berichten. Und der galante Guide aus Marrakesch, der am Goethe-Institut in seiner Heimatstadt nahezu akzentfrei Deutsch gelernt hat, unterstreicht, dass die Pflanzenwelt von Anima tatsächlich mehr unter den strengen Wintertagen leide als unter den trocken-heißen Sommern.
Gleichzeitig sind insbesondere die schneereichen Winter für eine Region ein Segen, in der die Wasserzuteilung strengstens geregelt und überwacht wird. So gibt es beispielsweise genaue Vorgaben, wie viel Wasser die Bauern für ihre Saat und ihr Vieh verwenden dürfen. Für Hellers Gartenreich durften insgesamt drei mehr als 60 Meter tiefe Brunnen angelegt werden. Und je mehr Schnee im Atlasgebirge fällt, umso größer sind an warmen Tagen die unterirdischen Wasservorräte.
Frei von Schildern und Hinweistafeln
„Das Paradies wurde auch nicht am Reißbrett entworfen“, so Mohamed Ait Brahim mit Blick auf die Tatsache, dass Anima aus einem labyrinthartigen Geflecht an schattigen Wegen und Pfaden besteht. Keine Schilder weißen hier den Weg, keine Tafeln erklären die Flora. Inmitten der Pflanzenpracht fallen stattdessen auf Schritt und Tritt moderne, freche und teilweise skurrile Kunstwerke und Installationen ins Auge.
Da kauert „Der Denker“ von Auguste Rodin in typischer Pose inmitten eines von Rosmarin eingefassten Rosengartens. Dahinter erhebt sich ein rostiges Boot, das wie eine Mischung aus Arche Noah und Papierschiffchen anmutet. In Anlehnung an die Flüchtlingsdramen auf dem Mittelmeer trägt der Stahlkoloss, der sich durch das Blütenmeer zu schieben scheint, den Namen „Hoffnung“.
Alle Farben, Formen und Größen
Zu finden sind aber auch Köpfe, Totems, Tiere und Fabelwesen aus den verschiedensten Materialien, während unter einem dichten, gebogenen Blätterdach tibetische Gebetsflaggen im Wind wehen. Dann wiederum ragt eine bunte, kegelförmige Pyramide, die ein wenig an die Gewürzberge in den marokkanischen Souks erinnert, in den Himmel auf. An anderer Stelle starren zwei weit aufgerissene Augen die lustwandelnden Besuch vom Kopf eines berankten Torbogens aus an, als wollten sie warnend ausrufen: „Ich sehe genau, was Du machst!“
Das fraglos monumentales aller Kunstwerke ist ein riesiger Mosaik-Kopf mit Rasta-Frisur, aus dessen Mund ein kühlenden Sprühregen strömt. Vorbild waren hier die berühmten Erdköpfe aus Kamerun.
Großartiges Landschaftskino
Derweil bilden die schneebedeckten Gipfel des Atlas-Gebirges mit dem 4.167 Meter hohen Jebel Toubkal einen jähen Kontrast zu den hoch aufragenden Dattelpalmen mit ihren saftig grünen Blättern. Schemenhaft ist auch das knapp 27 Kilometer entfernte Marrakesch am Horizont zu erkennen. Eine Millionenstadt, aus der das Gros der erhofften 150.000 Besucher jährlich anreisen dürfte, zumal Anima auch einen kostenfreien Shuttle-Bus-Service in die „Rote Stadt“ anbietet. Doch zu viele Besucher dürfen es dann auch wieder nicht sein. Maximal 500 Garten- und Kunstfreunden ist gleichzeitig der Zutritt gestattet, wohl auch, damit Anima nicht ob der Menschenmassen das Paradiesische verliert.
Wissenswertes zu Anima
Informationen: Anima, Douar Sbiti, Ourika, Marrakech, Marokko, Telefon 00212 524 48 20 22, www.anima-garden.com
Anreise: Von Marrakesch aus der Straße nach Ourika folgen. Nach rund 28 Kilometer liegt auf der rechten Seite die Zufahrt zu Anima. Der Garten bietet jeweils um 930, 11.30 und 14.30 Uhr auch einen kostenlosen Shuttlebus vom Parkplatz der Koutoubiya Moschee an. Reservierungen sind über die Internetseite möglich.
Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.