Das überwiegend buddhistisch geprägte Vietnam bringen sicher die wenigsten mit dem Weihnachtsmann in Verbindung. Und doch tummeln sich zahlreiche Gestalten mit roten Kopftüchern mit weißem Saum am Wegesrand. Einige tragen schwer – wenn auch nicht unbedingt gut gefüllte Jutesäcke. Sie haben auch keinen Rauschebart. Der Gedanke kommt auf, es könnte sich um Weihnachtswichtel handeln – weibliche wohl gemerkt. Nur dass die Wichtel statt Geschenke zu verpacken, Reis ernten, mit einem Reisigbesen fegen, Teppiche knüpfen oder Holz schnitzen.
Die emsigen Damen, die vielfach freundlich ihre vergoldeten Zähne aufblitzen lassen, gehören den „Roten Dao“ (auch „Dzao“) an, einem von 27 Volkstämmen, die im gebirgigen Region im Norden Vietnams leben. All diese ethnischen Minderheiten sind in der Regel an ihren jeweiligen Kopfbedeckungen sowie teilweise an ihrer Tracht zu erkennen. Einige schwärzen die Zähne oder rasieren als Zeichen ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bergvolk die Augenbrauen ab. Sie kauen mit großer Hingabe Betelnuss und tragen oft schweren Silberschmuck.
„Die Stämme leben im Hier und Jetzt und verschwenden wenig Gedanken an die Zukunft“, so Nguyễn Quốc Anh, dessen Vater lange Jahre als Militärchef in der Region fungierte.
„Wer kann, trägt seinen bescheidenen Reichtum gut sichtbar in Form von Zahngold oder Schmuck zur Schau“, ergänzt der 35-jährige Familienvater, der zwar heute in der Hauptstadt Hanoi lebt, aber noch immer regelmäßig in die Berge im Norden Vietnams kommt.
Mit einem Bündel auf dem Rücken oder voll gestopften Tüten in der Hand gehen die Frauen der Roten Dao langsam bergauf Richtung Sapa (auch „Sa Pa“), um dort auf der Straße ihre Handarbeiten und kargen Ernteerträge feilzubieten. Die 38.000-Seelen-Gemeinde liegt rund 1.500 Metern über dem Meeresspiegel am Fuße des oft Wolken verhangenen Phan Si Pang. Der mit 3.143 Metern höchste Gipfel Vietnams gilt zugleich als der südlichste Ausläufer des Himalayas. Im Schatten des Gebirgsriesen bauten die einstigen französischen Kolonialherren das frühere Bergdorf zu einem Luftkurort mit Sanatorium aus.
An die steilen Hänge auf dem Weg nach Sapa schmiegen sich unzählige Reisterrassen. Es geht vorbei an einfachen Holzhütten, die mehr an zusammengenagelte Bretterbuden gemahnen, und Dörfer, in denen die Bergbewohner mehr schlecht als recht von den kläglichen Erträgen der mühevollen Landwirtschaft leben können. Denn der Reisanbau ist hier noch echte Handarbeit. Landwirtschaftliche Maschinen kann sich niemand leisten. Allenfalls einen Wasserbüffel.
Im touristisch geprägten Sapa findet sich neben zahlreichen Hotels, Restaurants, Cafés und Outdoor-Ausstattern die gefühlt größte Massage-Salon-Dichte der Welt. In jedem Häuserblock bieten menschliche Knetmaschinen ab umgerechnet drei Euro entspannende Behandlungen für Rücken, Nacken und Füße an.
Ein Phänomen, das mit den Strapazen der Anreise über endlos lange Serpentinen, aber auch mit den Kräfte zehrenden Wanderungen am Rande des Himalayas zusammenhängen könnte. Denn das Gros der Besucher kommt nach Sapa, um von hier aus in den umliegenden Gebirgen des Hoang-Lien-Son zu wandern oder zu einer mehrtägigen Trekkingtour aufzubrechen.
Beliebtes Etappenziel ist dabei der Cat-Cat-Wasserfall, der sich rund drei Kilometer vor den Toren der Stadt inmitten eines Bambuswaldes dröhnend in die Tiefe ergießt. Und rund zehn Kilometer westlich von Sapa zieht der 100 Meter hohe Tha Bac, der Silberwasserfall, die Wanderer in seinen Bann.
Etwas weniger schweißtreibend, aber nicht minder spannend ist ein Abstecher auf Schusters Rappen in die rund zehn Kilometer entfernt liegenden Dörfer Ta Van und Lao Chai. Vorbei an scheinbar endlosen Reiseterrassen geht es dabei zunächst nur talwärts. Frei laufende Wasserbüffel grasen hier friedlich vor sich hin oder schlappen gemütlich über die Straße.
Etwas gewöhnungsbedürftig ist die Tatsache, dass kurz hinter dem Ortsausgang von Sapa einige indigene Souvenirverkäuferin mit selbst gefertigten Armbändern oder Holzschmuck auf die Wanderer lauern. Denn die Bergbewohnerinnen sind überaus ausdauernd und werden ungefragt für viele Besucher zu mobilen Reisebegleitern. Rund 3,5 Stunden spielen sie zweibeinigen Schatten, um zwischendurch immer mal wieder lächelnd den Versuch zu unternehmen, ihre Souvenirs doch noch mit beeindruckender Hartnäckigkeit an den Mann oder die Frau zu bringen.
So lästig der eine oder andere diese spezielle Form der Schattenspiele auch finden mag, so gerät die „Verfolgungsjagd“ beim Anblick der alpinen Kulisse der Hoang-Lien-Son-Bergkette schnell in Vergessenheit. Denn es ist absolut faszinierend, welche Glücksgefühle die Berglandschaft vor allem im Morgenlicht auslösen kann. Dichte Nebelschwaden ziehen durch das Tal, teilen den Himmel, die Bergspitzen und das unten liegende Tal in verschiedene Abschnitte. In Sekundenschnelle wechselt dabei das Licht und sorgt für spektakuläre An- und Aussichten.
Ganz anders ist es in den Abendstunden. Nicht nur, dass die Berge nun überaus mystisch wirken. Nein, sobald die Sonne untergeht, sinkt die Temperatur in und um Sapa schlagartig. Nicht von ungefähr tragen in vielen Restaurants die Kellner daher auch dicke Daunenjacken und sogar teilweise Mützen. Mit anderen Worten, ohne dicken Pullover oder eine zusätzliche Jacke sollte sich niemand auf Wanderschaft begeben.
Ob die Menschen und speziell die Kinder in den Dörfern um Sapa angesichts der ärmlichen Zustände glücklich sind, darüber lässt sich allenfalls spekulieren. Fakt ist, einige gucken ein wenig wie Lassie ohne Futternapf, andere hüpfen fröhlich mit einem Seil, spielen mit Steinchen und leeren Plastikflaschen oder reiten entspannt auf einem gut genährten Wasserbüffel.
Die Häuser in Ta Van und Lao Chai sind meist sehr spartanisch eingerichtet. Dünne Bretterwände bieten zumindest ein wenig Schutz vor dem Unbill des Wetters und der im Winter doch großen Kälte. Eine Kochstelle, ein paar Bilder an der Wand, eine funzelige Lampe, eine Matratze auf dem Boden, dazu noch ein Tisch mit ein paar einfachen Schemeln. Mehr findet sich in den meisten Häusern nicht.
Wer möchte, kann sogar gegen ein kleines Entgelt von 50.000 Vietnameischen Dong, was knapp zwei Euro beträgt, unter dem Dach der Familien nächtigen – fernab von Luxus und Komfort. Beim „Homestay“ dient ein einfaches Matrazenlager als Schlafstätte. Etwas gewöhnungsbedürftig sind dabei in der Regel auch die sanitären Einrichtungen. Wie überall in Vietnam werden Toiletten auch in Ta Van und Lao Chai liebevoll „happy house“ genannt. Doch in punkto Hygiene und Geruch machen diese zumeist nur bedingt happy.
Gleichwohl wirken die Leute, die zumeist nur ein paar Brocken Englisch verstehen, ungeachtet der einfachen Lebensweise überaus zufrieden. Sie winken fröhlich, posieren bereitwillig für ein Foto. Und immer wieder laden die Dorfbewohner die Wanderer zu einem Tee oder selbst gemachten Schnaps ein oder fordern dazu auf, das frisch gebackene Brot zu probieren.
Selbst im vergleichsweise großstädtischen Sapa geben sich die Bergbewohner offen. Vor dem Platz an der für Vietnam doch ungewöhnlichen katholischen Kirche treffen sich Hunderte Jugendliche und nicht mehr ganz so junge, um gemeinsam zu quatschen oder Federfußball zu spielen. Und es dauert nie lange, bis auch die europäischen „Langnasen“ zum Mitspielen aufgefordert werden. Macht doch die Aufgeschlossenheit der Menschen neben der atemberaubenden Kulisse der Hoang-Lien-Son-Bergkette den Reiz von Sapa aus.
Allgemeine Informationen: www.vietnamtourism.gov.vn
Flug: Turkish Airlines bieten von allen größeren deutschen Flughäfen Flüge via Istanbul nach Vietnam an. Die Flugzeit beträgt rund elf Stunden. Der Preis für Hin- und Rückflug liegt bei rund 645 Euro pro Person. Weitere Informationen und Buchungen unter www.turkishairlines.de.
Währung: Zahlungsmittel ist der Vietnamesische Dong. Ein Dong entspricht etwa 0,00004 Euro; ein Euro etwa 24.143 VND.
Lage: Sapa liegt rund 380 Kilometer nordwestlich der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi unweit der chinesischen Grenze. Von dort ist das Bergdorf entweder mit dem über die Autobahn (Expressway) erreichbar. Die Fahrzeit beträgt gut viereinhalb Stunden, zumal die letzten 38 Kilometer von Lao Cai bergauf durch enge Serpentinen führen. Zudem verkehrt dreimal am Tag ein Bus (Fahrzeit 5,5 Stunden) von Hanoi nach Sapa. Alternativ besteht die Möglichkeit, mit dem Nachtzug (Fahrzeit acht Stunden) von Hanoi aus anzureisen. Der Preis für das Busticket liegt bei 300.000 Vietnamesischen Dong, für den Zug bei 500.000 VD.
Stromversorgung: Die normalen Steckdosen können ohne Adapter genutzt werden.
Essen & Trinken: Top Mountain View Bar, Chau Long Sapa Hotel, 24 Dong Loi, Sapa, Lao Cai, Vietnam, Telefon 0084-(0)20-3871245, info@chaulonghotel.com.vn, www.chaulonghotel.com.vn. Die Bar im vierten Stock des Hotels bietet Cocktailgenuss mit herrlichem Panoramablick auf die umliegenden Berge.
Sapa Moment Restaurant, 033 Muong Hoa Street, Sapa 330000, Vietnam, Telefon 0084-982884965. Gute vietnamesische Küche zu kleinen Preisen.
Übernachten: Amazing Hotel, Dong Loi Road, Sapa, Lao Cai Provinz, Vietnam, Telefon 0084-20-3865888, info@amazinghotel.com.vn, www.amazinghotel.com.vn. Vier-Sterne-Haus im Herzen der Stadt.
Homestay: In Ta Van bieten verschiedene Familien die Übernachtung in ihrem Haus ab 50.000 VD (knapp zwei Euro) an – so zum Beispiel die Sói-Sau-Familie (Telefon 0084-165-8234634) oder Hoang Quyen (0084-913-966845). Etwas teurer, aber auch etwas komfortabler ist Ta Van Homestay (Telefon 0084-943-569990, www.tavanhomestay.com), wo die Übernachtung umgerechnet rund zehn Euro kostet.
Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.