
Die Gläubigen verbeugen sich beim Betreten des Tempels mit zusammengefalteten Händen, um den Göttern Respekt und Dank zu erweisen. Mit dem tamilischen Gruß „Vanakkam“ heißt Arumugam Paskaran die Gäste im Sri Kamadchi Ampal Tempel, einem der wohl ungewöhnlichsten Bauten im westfälischen Hamm, willkommen. In dem prachtvollen Tempel residieren gemäß Hinduglauben verschiedene Gottheiten. Es riecht nach fremdartigen Gewürzen und frischen Früchten. Ein für die meisten Europäer wohl völlig unverständlicher Sprechgesang des Priesters erklingt und lädt gleichzeitig dazu ein, am Rande des Ruhrgebiets in eine völlig unbekannte Welt abzutauchen.
Gäste sind im Sri Kamadchi Ampal Tempel jederzeit willkommen, sofern sie denn einige simple Grundregel befolgen: So ist das Tragen von Schuhen untersagt, Handys müssen ausgeschaltet sein. Zudem darf weder geraucht, noch Fleisch verzehrt oder Alkohol getrunken werden. Auch Haustiere müssen draußen bleiben. Ferner dürfen Frauen während ihrer Periode aus religiösen Gründen den Tempel nicht betreten. Ansonsten gibt es keinerlei Einschränkungen, sieht man einmal von der Tatsache ab, dass das Betreten der Schreine der Gottheiten allein den Priestern vorbehalten ist.

Die Geschichte des Tempels ist eng mit der Flucht von zehntausenden Angehörigen der tamilischen Minderheit aus ihrer Heimat Sri Lanka und speziell mit der Person Arumugam Paskarans verbunden. Der Priester war 1985 wie Tausende seiner tamilischen Landesleute aus Sri Lanka, wo ein erbitterter Bürgerkrieg herrschte, geflohen. Auf Umwegen fand Arumugam Paskaran in die westfälische Provinz. In einem Asylbewerberheim in Hamm organisierte der Priester erste Andachten.
Fern der Heimat zogen die „pujas“, wie die religiösen Zeremonien heißen, immer mehr Hindus in ihren Bann. Schnell drohten die Räumlichkeiten aus allen Nähten zu platzen. Aus der Not eine Tugend machend, richtete Arumugam Paskaran im Keller eines Wohnhauses einen ersten provisorischen Tempel ein. Als auch dieser zu klein wurde, erfolgte der Umzug in die Räumlichkeiten einer Wäscherei. Doch in der dortigen Nachbarschaft stießen die religiösen, oftmals auch lauten Zeremonien auf wenig Verständnis. Und so reifte die Idee, einen eigenen Tempel nach der Vorlage und dem Stil des Kamakshi-Tempels im südindischen Kanchipuram zu errichten.
Als Architekt wurde der Hammer Heinz–Rainer Eichhorst mit einer für unsere Breiten doch eher ungewöhnlichen Methode auserkoren: Mit geschlossenen Augen hatte Arumugam Paskaran im Branchenverzeichnis geblättert und war mit dem Finger auf dem Namen Eichhorst gelandet. Der Architekt nahm die Herausforderung an und versuchte den Spagat zwischen deutschen Bauvorschriften und der hinduistischer Tempelsymbolik bestmöglich zu meistern.

Rund 1,7 Millionen Euro – allesamt aus Spendengeldern zusammengetragen – flossen in den Bau des 27 mal 27 Meter großen Tempels. Allein das Tempelportal, Gopuram genannt, ist 17 Meter hoch. Im Inneren des gut 700 Quadratmeter großen Tempels sind die Granitstatue der namensgebenden Göttin sowie über 200 weitere Figuren von Gottheiten zu finden. Sri Kamadchi Ampal bedeutet aus dem Sanskrit abgeleitet etwa so viel wie, „die, die Wünsche von den Augen abliest“.

Die Lage des Tempels unweit des Datteln-Hamm-Kanal wurde bewusst gewählt. In dem künstlichen Gewässer wird das Bildnis der Göttin Kamadchi zum Abschluss des Tempelfestes gewaschen. Das zweiwöchige Fest, zudem jährlich mehrere Zehntausend Hindus nach Hamm pilgern, findet in diesem Jahr zwischen dem 8. und 22. Juni 2015 statt.
Auch für Nicht-Gläubige ist der Besuch des Tempelfestes ein faszinierendes Erlebnis, insbesondere die abschließende Prozession zum Kanal. Gläubige rollen sich dann auf der Straße, Frauen in traditionellen Saris tragen brennende Opferschalen auf dem Kopf und Männer mit Spießen durch Mund und Wangen tanzen sich in Trance und ziehen den Wagen der Göttin Kamadchi bei ihrer vier Kilometer langen Ausfahrt an Seilen um den Tempel herum.
Einen Vorgeschmack auf das traditionelle Tempelfest vermittelt gut sieben Wochen zuvor am 18./19. April 2015 das große Kulturfest am und im Sri Kamadchi Ampal Tempel. Doch auch abseits der Feste lohnt ein Besuch des Tempels. Dieser ist täglich von 8 bis 20 Uhr geöffnet – nur von 14 bis 17 Uhr genießen die Gottheiten eine Erholungspause.
Informationen: Sri Kamadchi Ampal Tempel, Siegenbeckstraße 4-5, 59071 Hamm, Telefon 02388-302223, www.kamadchi-ampal.de
Spannender Buch- und Geschenktipp: Lost & Dark Places Ruhrgebiet
Bei Lost & Dark Places Ruhrgebiet denkt man sofort an das reiche Erbe der Industriekultur: Zeche Zollverein oder den Landschaftspark Duisburg-Nord. Doch nicht nur die einstigen Bergwerke und Hochöfen wissen Geschichte und Geschichten zu erzählen. Spannend sind auch die tatsächlich vergessenen oder verschwiegenen Zeugen früherer Epochen: die Überreste einer alten Nazi-Autobahn, ein einstiger Fliegerhorst, eine vergessene Flussbadeanstalt, …
„Das Buch öffnet sicher einen ganz anderen Blick auf das Ruhrgebiet und zeigt ein Gesicht der Region, das bislang nur sehr wenigen bekannt ist. Zudem zeigt das Buch, dass sich hinter mancher Ruine, hinter mancher Schrottimmobilie überaus spannende Geschichten verbergen. Ob es einen Folgeband geben wird, vermag ich nicht abzuschätzen. Das Potential für ein zweites Buch ist fraglos vorhanden. Einige Orte, die ich besucht habe, sind aus Platzgründen nicht ins Buch aufgenommen. Teil des Ansatzes war es, Lost Places in möglichst vielen Teilen des Ruhrgebietes mit aufzunehmen.“ erklärt Autor Karsten-Thilo Raab augenzwinkernd.
Karsten-Thilo Raab berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen gemacht als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführer sowie Bildbänden.
Pressestimmen: “Mit “Lost & Dark Places” lässt sich eine ganz besondere Seite des Ruhrgebiets entdecken.” ― Ruhr Nachrichten
Erhältlich ist Lost & Dark Places Ruhrgebiet (ISBN: 9783734320477) von Karsten-Thilo Raab für 22,99 Euro im Buchhandel, zum Beispiel bei Amazon oder direkt beim Bruckmann Verlag.

Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.