Danke, Deutsche Bahn! So schmeckt der Tod!

220 Minuten Verspätung sind angezeigt - doch es sollte schlimmer kommen. (Copyright Karsten-Thilo Raab)
220 Minuten Verspätung sind angezeigt – doch es sollte schlimmer kommen. (Copyright Karsten-Thilo Raab)

Neulich im  Intercityexpress vom Frankfurter Flughafen Richtung Köln. Auf der Hochgeschwindigkeitstrasse Richtung Siegburg und Bonn erreicht der Zug eine Spitzengeschwindigkeit von 280 Stundenkilometern. Alles läuft nach Plan. Plötzlich kommt der ICE abrupt mitten in der Pampa zum Stillstand. 45 Minuten lang tut sich nichts. Kein Fortkommen, keine Information. Dann krächzt es aus dem Lautsprecher: „Wegen eines Notarzteinsatzes im Zug verzögert sich unsere Weiterfahrt noch um einige Augenblicke.“

Aha, das erklärt vieles. Sofort kursieren im Großraumwagon wilde Theorien, was dem bemitleidenswerten Patient wohl passiert sein könne. Herzinfarkt? Kreislaufkollaps? Eine Überdosis Pferdefleisch im Essen des Bordrestaurants? Anderthalb Stunden später knarrt es wieder aus dem Bordlautsprecher. Erneut ist die Information eher dürftig: „Wir müssen noch auf die Polizei und den Staatsanwalt warten, ehe sich unsere Fahrt fortsetzt.“ Wieder wilde Spekulationen: Tod durch Tiefkühl-Lasagne? Tödlicher Streit um einen versehentlich doppelt reservierten Sitzplatz? Mord durch die Rückenlehne?

Warten auf den Ersatzzug. (Copyright Karsten-Thilo Raab)
Warten auf den Ersatzzug. (Copyright Karsten-Thilo Raab)

Da taucht ein Zugbegleiter unvermittelt im Wagon auf und lässt uns wissen, dass sich jemand vor den Zug geworfen hätte. Aha! Und es würde wohl noch ein Weilchen dauern. Nach etwas mehr als drei Stunden Wartezeit scheinen die sterblichen Überreste des Selbstmörders noch nicht zusammengesammelt und noch nicht alle Spuren beseitigt. Um die gut 1.000 Fahrgäste in dem pickepacke vollen ICE bei Laune zu halten, spielt die Bahn AG nun ihren Großzügigkeitstrumpf aus: Jede Fahrgast könne sich kostenfrei ein alkoholfreies Getränk im Bordrestaurant holen. Wie hier kontrolliert werden soll, dass niemand mit einem Brand wie eine indische Bergziege literweise Getränke schnorrt, bleibt offen.

Bahnentschädigung, Copyright Karsten-Thilo Raab
Vier Stunden und 50 Minuten Verspätung werden mit Pralinen versüßt. (Copyright Karsten-Thilo Raab)

Doch ein Run auf das Wasser im Pappbecher bleibt aus. Stattdessen teilt der Zugbegleiter den langsam wütend werdenden Gästen, die ihre Anschlusszüge verpasst haben und deren Termine geplatzt sind, mit, dass es natürlich keine Entschädigung seitens der Bahn gebe. Schließlich sei dies höhere Gewalt. Kollektives Kopfschütteln. Dann der Tipp des Zugbegleiters: „Mit Regressforderungen müssten Sie sich an die Familie des Verstorbenen wenden.“ Aha. Weitere 60 Minuten später. Die nächste Info: Unser Zug fährt nicht bis Köln. Er sei zu sehr beschädigt. Innerhalb der nächsten 30 Minuten würden wir nach Montabaur rollen, wo ein Ersatzzug Richtung Köln warten würde.

Natürlich wartet in Montabaur kein Zug. Die genervte Menge muss weitere 20 Minuten auf dem zugigen Bahnsteig warten. Mehr als vier Stunden reichen eben nicht, um einen Ersatzzug herbeizukarren. Mit vier Stunden und 50 Minuten Verspätung erreichen wir Köln. Jeder Fahrgast erhält noch eine Postkarte, die er ausfüllen solle, um eine Überraschung von der Bahn zu erhalten.

Thekenbrust & ZackendruseWie soll ich es sagen? Die Überraschung ist der Bahn gelungen. Zehn Tage später klingelt der Postbote mit einem Paket an der Tür. Darin befindet sich neben einem Entschuldigungsschreiben der Bahn und einem Gutschein über 20 Euro eine hübsche Holzkiste voller Pralinen. So schmeckt also der Tod.

Buchtipps: Weitere Kolumnen aus der Feder des Autors: Karsten-Thilo Raab: Thekenbrust & Zackendruse, Westflügel Verlag, ISBN 978-3-939408-11-6, 12,50 Euro. Erhältlich ist das Buch im Buchhandel oder direkt beim Verlag.

Karsten-Thilo Raab: San Diego Waldfried,  (ISBN: 978-84-9015-620-9). Erhältlich ist der Kolumnenband im Buchhandel, direkt beimVerlag oder online zum Preis von 20,90 Euro.