Tsukimi Ayano hat immer zu tun und aus ihrem Hobby ist längst eine Art Vollzeit-geworden: Seit 2007 ersetzt sie jeden Bewohner des Dorfes Nagoro, der wegzieht oder stirbt durch eine lebensgroße Puppe. Hunderte sind es mittlerweile und es werden stetig mehr, denn hier, mitten auf der Insel Shikoku, ist die Landflucht allgegenwärtig. Dabei ist Shikoku eine der vier Hauptinseln Japans – wenn auch die kleinste. Mit rund 18.000 Quadratkilometern ist sie ein wenig kleiner als Hessen und hat ungefähr vier Millionen Einwohner, die jedoch überwiegend an der Küste leben.
Dazu kommen mehr als 600 kleinere Inseln meist in der Seto-Inlandsee, von denen viele unbewohnt sind. Auf den üblichen Touristenrouten liegt Shihkoku eher nicht, dabei ist die Insel per Zug und Bus wirklich einfach zu erreichen. Ab Kyoto, zum Beispiel, sind es nur etwas weniger als 200 Kilometer und rund drei Stunden Fahrtzeit mit dem Fernbus nach Tokushima, dem Tor zu Shikoku. Und per Flugzeug ist die Insel natürlich auch erreichbar, Flughäfen findet man in Tokushima, Matsuyama, Kochi und Takamatsu. Doch warum sollte man sich die Insel unbedingt anschauen?
Zwischen Tempeln und Kunst
Shikoku ist extrem vielfältig. An der Küste warten kleine, lauschige Orte, wie die Studentenstädte Tokushima oder Matsuyama. International bekannt ist auch der 88-Tempel-Weg, ein buddhistischer Pilgerweg, der auf 1.200 Kilometern einmal rund um die Insel führt. Um ihn zu absolvieren braucht man bis zu 60 Tage – oder den Mut ein wenig zu schummeln, denn alle Teilabschnitte lassen sich auch per Bus zurücklegen. Auch die meisten Japaner haben wenig Lust, bei Regen oder Kälte zu wandern….
Tempel Nummer 1 ist übrigens der Ryozenji in Tokushima. Monumentale Bauten sucht man auf Shikoku übrigens vergeblich. Architektonische Überraschungen gibt es dennoch nicht zu knapp. Zum Beispiel auf der vorgelagerten Insel Naoshima. Die kleine, gerade mal acht Quadratkilometer große Insel nördlich von Shikoku war einst eine der vielen ländlichen Siedlungen, die langsam ihrem Ende entgegendämmerten. Doch dann verwandelte sie die Initiative der Benesse Foundation in ein Mekka für Kunstliebhaber. Überall auf Naoshima und mittlerweile auch den umliegenden Inseln stehen moderne skurrile Kunstwerke und Installationen sowie zahlreiche Museen für moderne Kunst.
Leeres Japan
Schade wäre es allerdings, nicht ins Landesinnere vorzudringen. Gut, wenn man dann ein Auto gemietet hat, denn viele Orte sind per öffentliche Verkehrsmittel nicht gut erreichbar – es leben einfach zu wenige Menschen dort. Den meisten Dörfern geht es wie dem erwähnten Nagoro, und Frau Ayano dürfte in den nächsten Jahren die Arbeit nicht wegbrechen. Immerhin: Mittlerweile gibt sie Kurse für Besucher und zeigt ihnen, wie sie die Puppen herstellt. Wer selbst dort vorbeischauen will, findet die lebensgroßen Figuren am Wegesrand, an den leerstehenden Häusern und in der ehemaligen Dorfschule, die 2012 mangels Schüler geschlossen wurde.
Aber natürlich hat Shikoku mehr zu bieten als leere Dörfer. Atemberaubende Aussichten zum Beispiel, wie vom Mount Tsurugi, wo ein Sessellift – technisch gut in Schuss, in Sachen Design aber fest in den 1970ern verhaftet – fast zum 1954 Meter hohen Gipfel und einer Reihe von atemberaubenden Wanderwegen führt. Oder die wilden Täler wie das Iya-Tal mit seinen Hängebrücken aus Weinreben (die heute allerdings vorsichtshalber auch mit einem Stahltross gesichert sind…), reißenden Bergbächen und Serpentinenstraßen, die man niemals in Japan verorten würde. Logisch, dass es hierher viele Outdoor-Fans zieht. Der Yoshino-Fluss mit den beiden Schluchten Oboke und Koboke bietet wunderbare Rafting-Möglichkeiten, 2017 fanden in der Oboke Schlucht sogar die IRF-Weltmeisterschaften im Rafting statt. Weitere Informationen unter www.japan.travel.
Mortimer
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