172 Stufen bis zur Tasse – Teezeremonie auf dem Alten Leuchtturm in Borkum

Vor das Vergnügen haben die Götter bekanntlich den Schweiß gestellt. Und der fließt hier gerne mal und reichlich. Oft begleitet von einem lautstarken Röcheln und dem Japsen nach Luft. Denn es geht steil nach oben. Immer rechtsrum. 172 Stufen gilt es zu meistern – mal breit, mal schmal. Einige sind eng und steil, einige hoch, andere könnten eher Teil einer Hühnerleiter sein. Entsprechend amüsant fällt die Begrüßung in der obersten Etage des 45 Meter hohen Alten Leuchtturms, des Wahrzeichens der Nordseeinsel Borkum, aus: „Hallo! Brauchen Sie ein Sauerstoffzelt oder reicht ein Tässchen Tee?“, unkt Karl-Heinz Eberhard, der für fast jeden Besucher der bevorstehenden Teezeremonie im ältesten Gebäude der Ostfriesischen Inseln einen kessen Spruch auf den Lippen hat.

„Entschuldigung, bin ich hier richtig?“, fragt kurz darauf eine ältere Dame leicht keuchend. „Zur Wattwanderung sind Sie hier verkehrt“, kontert Eberhard. Der gebürtige Düsseldorfer zeichnet sich seit Jahr und Tag für die Durchführung der Teezeremonie verantwortlich. Vor mehr als vier Jahrzehnten kam der Rheinländer als Marinesoldat auf die Insel. Das war am 1. Oktober 1970. „Seitdem lebe ich auf diesem herrlichen Sandhaufen“, verrät Eberhard, der bereits am ersten Abend seines Inselaufenthalts seine heutige Frau kennen und lieben lernte. Mittlerweile ist er längst auf Borkum heimisch und gehört fast schon zum Inventar des Alten Leuchtturms, dessen älteste Teile aus dem Jahre 1576 datieren. Seit 2002 ist der fröhliche Wahl-Borkumer mit dem leichten Bauchansatz im Ruhestand. Seither zelebriert er als Mitglied im Heimatverein Borkum einmal wöchentlich mit den Inselgästen die Teezeremonie.

„Wenn Sie stolz darauf sind, es heute bis hier oben geschafft zu haben. Ich bin schon 3.500 Mal hier hoch gelaufen“, lässt Eberhard die gut zwei Dutzend Gäste wissen, um gleich mit rheinländischen Frohsinn ein bisschen Landeskunde für Anfänger zu betreiben: „Auf Borkum sagt man nur einmal Moin. Wer zweimal Moin sagt, ist ein Schnacker.“

Von Hektik ist auf dem „Olden Baas“, wie die Borkumer ihren Alten Turm liebevoll nennen, nichts zu spüren. Im Radio redet sich ein Nachrichtensprecher gerade den Mund fusselig, ob der nicht enden wollenden Staumeldungen. Die drei Tische in dem kleinen Turmzimmer 40 Meter hoch über Borkum sind eingedeckt mit kleinen Teetassen und Untertassen. Auch Sahne und Kandis stehen bereit, ebenso wie eine Schüssel mit Keksen. In Miniatur Leuchttürmen flackern Teelichter gemütlich vor sich hin, während der Wind lautstark um die Turmspitze braust. An der Decke hängt ein altes, zur Lampe umfunktioniertes Steuerrad eines Schiffes. Das Wasser brutzelt in zwei blitzblank polierten Kesseln vor sich hin. Der aufsteigende Dampf vernebelt den Blick aus der kleinen Kochecke ein wenig.

Glücklicherweise müsse er das Wasser nicht hoch schleppen, gibt Karl-Heinz Eberhard zu verstehen. Mit 3,4 Bar übernimmt eine lange Leitung den Job für ihn. Dafür sprudelt aus ihm sogleich alles Wissenswerte über Ostfriesen-Tee und dessen Zubereitung heraus: Der Ostfriese trinke zwölf Mal so viel Tee wie der Rest der Bundesbürger. Grundbestandteil des schwarzen Ostfriesen-Tees sei immer zu 80 Prozent Assam-Tee, der Rest seien andere Schwarzteesorten, die je nach Hersteller variieren würden. Fünf Löffel des losen Tees gehörten in eine normale Kanne, so Eberhard weiter. Das eigentliche Geheimnis des echten Ostfriesen-Tees, wie er auf Borkum getrunken wird, liege aber im Wasser.

„Wir haben hier extrem weiches Wasser mit einem Härtegrad von gerade einmal 1,8“, verweist Eberhard auf die Tatsache, dass Borkum über 40 Frischwasserbrunnen verfügt, die das kühle Nass aus bis 32 Metern Tiefe fördern. Ebenso wichtig wie das Wasser ist laut Eberhard auch das Porzellan. Der Teegenuss entfalte sich erst richtig in kleinen, dünnen Tassen. Große becherähnliche oder dickwandige Trinkgefäße sind daher bei den Insulanern völlig verpönt.

Für den perfekten Teegenuss gilt es zunächst einen Kluntje, also ein Stück Kandiszucker, in die Tasse zu legen. Dann wird langsam heißer Tee darauf gegossen. Was durch das Knacken des Zuckers auch ein akustisches Erlebnis ist. Die ohnehin kleine Tasse darf höchsten halb voll gemacht werden. Nun wird ein Schluck Sahne vorsichtig an den Rand gegossen. An der Oberschicht des Tees bilden sich sofort dicke Sahnewolken. Auf keinen Fall dürfe der Tee rumgerührt werden, gibt der Experte aus der Altbier-Hauptstadt vom Rhein zu verstehen.

„Man trinkt vom Bitteren zum Süßen und hat dazwischen noch den sahnigen Geschmack“, schwärmt der inzwischen passionierte Teetrinker Karl-Heinz Eberhard. Der auf dem Unterteller bereit liegende Löffel diene allein dazu, um die Kluntje in die Tasse zu legen, und um dem Gastgeber wortlos anzudeuten, dass man nun genug Tee getrunken habe. Dazu wird der Löffel einfach quer auf die Tasse gelegt oder in die Tasse gestellt. Ansonsten neige der Ostfriese dazu, immer wieder ungefragt nachzuschenken, warnt Eberhard.

Bevor die Teezeremonie mit der obligatorischen Besteigung der Dachterrasse des 436 Jahre alten Gemäuers und herrlichen Panoramablicken auf Borkum endet, zaubert Karl-Heinz Eberhard noch einen selbst gemachten Sanddornschnaps aus einer Ecke hervor. Behände gießt er die Inselspezialität in kleine Pinnchen ein. „Wenn Sie gleich auf dem Dach das Gefühl haben, der Turm schwanke, muss dass nicht unbedingt am Wind liegen“, unkt Eberhard und spendiert eine zweite Runde. Und während einige noch an einem weiteren Tee nippen, habe andere schon leicht einen im selbigen. Keine Frage, so schmeckt Ostfriesland.

Allgemeine Informationen: Tourist Information, Georg-Schütte-Platz 5, 26757 Borkum, Telefon 04922-9330, www.borkum.de.

Informationen: Alter Leuchtturm, Kirchstraße, 26757 Borkum, Telefon 04922-2535, www.heimatverein-borkum.de

Öffnungszeiten: Geöffnet ist der Alte Leuchtturm von April bis November täglich außer sonntags von 10 bis 12 Uhr und vom 7. November bis 19. Dezember dienstags und samstags von 10 bis 12 Uhr . Der Eintritt beträgt 1,50 Euro.

Teezeremonie: Die Teezeremonie wird immer mittwochs um 14.30 Uhr angeboten. Eintrittskarten sind zum Preis von 5 Euro bei Spezialitäten Steemann, Franz-Habich-Straße 21, erhältlich. Termine für Gruppen nach Absprache unter Telefon 04922-1812 oder unter 04922-2855.

Geschichte des Alten Leuchtturms: 1576 wurde der Turm als Teil einer Kirche errichtet. Wobei der Turm ohne jeden Zement gebaut wurde. Stattdessen verwendeten die Bauherren gemahlenen Muschelkalk zur Befestigung der Backsteine. 1817 wurde die Kirchturmspitze entfernt und das Gemäuer zum Leuchtturm umfunktioniert. 1879 brannten dann weite Teile des Alten Leuchtturms aus. Der Turm wurde stabilisiert, die angrenzende Kirche wurde aufgegeben und 1902 abgerissen. Erst 1911 kam die vierte Etage darauf. Während der Weltkriege diente der Turm der Armee zu Beobachtungszwecken. Von 1948 bis 1981 war es ein So-da-Turm – er stand einfach nur so da, ehe er 1982 in den Besitz des Heimatvereins gelangte und aufwendig restauriert wurde.  Am Fuße des einstigen Leuchtturms erinnern auf dem Walfängerfriedhof mit Totenköpfen verzierte Gräber an die Walfang-Vergangenheit der Insel.

Ambiente-Hochzeiten: An jedem ersten Freitag im Monat finden im Turmzimmer Ambientehochzeiten statt. Dort oben sagt man, so die Insulaner, ganz anders „ja“ – kein Wunder nach 172 Stufen. Informationen und Buchungen beim Standesamt der Stadt Borkum, Neue Straße 1, 26757 Borkum, Telefon 04922-303222, steffanie.drost@borkum.de.

Anreise: Von Emden und dem niederländischen Eemshaven verkehren die Schiffe der AG Ems mehrmals täglich mit Autofähren und Katamaranen nach Borkum und zurück. Fahrpreise und Abfahrtzeiten online unter www.ag-ems.de oder telefonisch unter 01805-180182.

Essen & Trinken: Alt Borkum, Roelof-Gerritz-Meyer-Straße 10, 26757 Borkum, Telefon 04922-2005, www.restaurant-alt-borkum.de. Unweit des Alten Leuchtturm serviert das moderne Traditionslokal vornehmlich Fisch- und Fleischvarianten.

Kartoffelkäfer, Jann-Berghaus-Straße 1, 26757 Borkum, Telefon 04922-990455, www.kartoffelkaefer-borkum.de. Kartoffelvarianten und raffinierte Gerichte mit Kartoffeln werden hier mit Blick auf das Meer angeboten.

Übernachten: Strandhotel Hohenzollern, Jann-Berghaus-Straße 63, 26757 Borkum, Telefon 04922-92330, www.strandhotel-hohenzollern.com. Nichtraucher-Hotel am Strand mit Wellness- und Fitnessbereich.

Hotel Rummeni, Georg-Schütte-Platz 2, 26757 Borkum, Telefon 04922-92900, www.hotel-rummeni.de. Alteingesessenes Hotel am Inselbahnhof mit großen, eher schlicht eingerichteten Zimmern.

Buchtipp: Ulrike Katrin Peters, Karsten-Thilo Raab: Reisehandbuch Borkum, ISBN 978-3-939408-21-5, Westflügel Verlag. Erhältlich ist der Reiseführer für 13,90 Euro im Buchhandel oder direkt beim Westflügel Verlag.

Ulrike Katrin Peters, Karsten-Thilo Raab: Borkum – Die schönsten Seiten – At its best, ISBN: 978-3-95400-157-6, Sutton Verlag. zum Preis von 14,95 Euro im Buchhandel oder direkt beim Sutton Verlag.

Tipp: Die schönsten Impressionen der Insel Borkum hat Karsten-Thilo Raab unter dem Titel „Borkum“ in einem Wandkalender zusammengestellt. Erhältlich ist dieser in den Formaten A2 bis A5 unter anderem im Kalendershop des Mortimer Reisemagazin und bei Amazon sowie im Buchhandel.

{google_map}Alter Leuchtturm, Kirchstraße, Borkum{/google_map}