Yorkshire – Steinmauern, Schafe und gutes Essen

Beim nicht ganz so ernst genommenen Schafsrennen iun Masham, laufen vier Tiere um die Wette. (Foto: Udo Haafke)
Beim nicht ganz so ernst genommenen Schafsrennen iun Masham, laufen vier Tiere um die Wette. (Foto: Udo Haafke)

„Ungefähr sechs Meter schaffe ich am Tag,“ erklärt Phil Richards, während er mit geschultem Auge Stein für Stein aussucht und aufeinander schichtet. „Da kommen dann schon einige Tonnen Tagwerk zusammen.“ Phil mauert fachkundig an einer der unzähligen Steinmauern, den Drystone Walls, die so typisch, so prägend sind für die Landschaft im Norden Yorkshires. Walling nennt sich diese Beschäftigung, die der Nationalpark-Ranger während freier Zeiten ausübt und damit ein Handwerk pflegt, das wie so viele andere davon bedroht ist endgültig und unwiederbringlich in Vergessenheit zu geraten. 

"Walling" unter den Argusaugen eines Wollknäuels. (Foto: Udo Haafke)
„Walling“ unter den Argusaugen eines Wollknäuels. (Foto: Udo Haafke)

Dabei ist die Technik eigentlich relativ simpel. Es müssen lediglich einige grundsätzliche Bedingungen erfüllt sein, um eine standfeste Mauer zu errichten. Allerdings geht es weniger um den Neubau als um den Erhalt dieser landschaftsprägenden Konstruktionen, die in ihrer britischen Gesamtheit mehr als 15.000 Meilen ausmachen. Ständig gilt es Löcher auszubessern, die von übermütigen Schafen oder Kühen stammen, von schlicht aus der Spur geratenen Fahrzeugen oder heftigen Wetterunbilden. 

Das Baumaterial in Form vormals vermauerter Feldsteine befindet sich unmittelbar am Ort, die Herausforderung liegt im geschickten Aufschichten der Steine, die der Länge nach ins Mauerinnere ragen und nebeneinander nicht wackeln sollten. Zwischendurch müssen größere Steine verbaut sein, zur Erhaltung der Stabilität. In die Mitte kommen kleinere Steine als Füllmaterial. Die gesamte Konstruktion läuft nach oben hin konisch zu. Weitere technische Hilfsmittel nebst Händen und prüfendem Blick sind nicht notwendig, vor allen Dingen kein Hammer zum eventuellen zurecht Klopfen oder Formen des Baumaterials, denn, so Phil, wenn Du anfängst etwas passend zu machen, kommst Du komplett aus dem Rhythmus und verlierst sogar Zeit statt sie einzusparen.

Typische für den Norden von Yorkshire: Steinmauern und Schafe. (Foto: Udo Haafke)
Typische für den Norden von Yorkshire: Steinmauern und Schafe. (Foto: Udo Haafke)

„Die ersten Mauern dieser Art, die wir hier sehen, gab es um 1750. Als die Ländereien in England 50 Jahre später aufgeteilt und kultiviert wurden, gab es einen großen Boom. Die Steine kamen direkt von den angrenzenden Feldern.“ Heute sieht man einer Mauer kaum mehr an, ob sie erst 20 oder schon 200 Jahre steht, Flechten und Moose und allerlei Ablagerungen bilden eine zeitlose Patina. Wind und Wetter greifen aber während des Jahreslaufs und über viele Jahre den Aufbau an. Insbesondere Frost wirkt zerstörend, da er regelrechte Löcher zu sprengen vermag.

„Es ist erstaunlich,“ sagt Phil und blickt in das neugierige Gesicht eines langohrigen Leicester-Schafes, das das ungewöhnliche Treiben aus nächster Nähe inspiziert, „wie viele Tiere in diesen Mauern heimisch sind. Sie nutzen das Mikroklima für ihre eigenen Lebensräume.“ Zudem bieten sie größeren Arten Schutz vor Kälte und Wind.

Stets ein großes Happening: Der Schafsmarkt in Masham. (Foto: Udo Haafke)
Stets ein großes Happening: Der Schafsmarkt in Masham. (Foto: Udo Haafke)

Schafe bilden das landwirtschaftliche Rückgrat der Region. Sie werden gehütet und gepflegt und so manches Mal auch ordentlich herausgeputzt. Auf dem Schafmarkt, einem großen Fest rund um die wandelnden Wollknäuels in Masham, bestaunen sie dann die Dorfbewohner und die Städter gleichermaßen. Erst in dieser wohlsortierten Menge wird deutlich, dass es eine ganze Reihe unterschiedlichster Arten gibt. Weißgekleidete Juroren bewerten die Tiere und vergeben Auszeichnungen. Für Kurzweil sorgen ein bunter Flohmarkt und einige Morris-Tänzer, die zu traditioneller Volksmusik typische Gruppendarbietungen präsentieren.

Beim nicht ganz so ernst genommenen Schafsrennen, laufen vier Tiere um die Wette. Natürlich folgen sie mehr dem vorweg getragenen Futtertrog und weniger dem eigenen Willen unbedingt der Schnellste zu sein. Das Publikum entlang der Laufstrecke jedenfalls, das – typisch britisch – auf die mit Schleifchen farblich markierten Vierbeiner gewettet hat, feuert seine Favoriten lautstark an. Jenson Baahton, das schwarz-gesichtige Schaf mit der Schleife in Pink, heißt einer der Sieger.

Beim Schafsmarkt in Masham wird gemessen, gewogen, beäugt. (Foto: Udo Haafke)
Beim Schafsmarkt in Masham wird gemessen, gewogen, beäugt. (Foto: Udo Haafke)

Dass Schafe jedoch entgegen hartnäckiger Vorurteile durchaus clever sein können, bewiesen einige wollige Vierbeiner im Dörfchen Marsden. Ihnen war es auf der eigenen Weide zu langweilig und verlockend blühten und dufteten die Blumen der nahen Gärten, von denen sie durch Mauern und ein Viehgitter auf dem Wirtschaftsweg getrennt waren. Dieses Gitter im Boden ist so angelegt, dass die Tiere mit ihren Hufen dort nicht auftreten können. Ein besonders spitzfindiges Schaf jedoch ersann Abhilfe, indem es sich über das Gitter rollte und kugelte und so das Hindernis überwinden konnte. Dem Herdentrieb folgend ahmten andere aus der Herde dem Vorbild nach und erreichten zum Schrecken der Dorfbewohner die gepflegten Gärten.

Die Speelnigkeit der Briten wird auch beim Schafsmarkt ausgelebt. (Foto: Udo Haafke)
Die Speelnigkeit der Briten wird auch beim Schafsmarkt ausgelebt. (Foto: Udo Haafke)

Masham ist gleichzeitig Standort einer der erfolgreichsten jungen Brauereien des Landes, die das Schaf mit ihrem Markennamen Black Sheep huldigt. Auf einer Führung durch das Brauhaus erfährt man so manches zur Familiengeschichte des Brauereibesitzers, der sich aus der unmittelbar angrenzenden großen Familienbrauerei herausgezogen hat, um nicht die Übernahme durch weltweit agierende Konkurrenz erleben zu müssen. Es gelang ihm ein qualitativ hochwertiges Produkt herzustellen, das zwischenzeitlich sogar ins Ausland exportiert wird. Zum 30.Jubiläum der Komiker-Truppe Monty Python kreierte man eigens ein Bier, The Holy Grail genannt, das der Kardinal später kistenweise zu einer Audienz beim Papst mitnahm.

Zu den hartnäckigsten Vorurteilen der Moderne gehört die Mär um die Qualität englischen Essens, dass sich irgendwo im kulinarischen Niemandsland zwischen Fish´n Chips und lauwarmem Erbsenbrei bewegt, dazu wird dann üblicherweise ein Hopfenblütentee gleicher Temperatur gereicht. Zwischenzeitlich haben die Briten jedoch in diesem Punkt erheblich aufgeholt. Insbesondere die Verwendung frischer und lokaler Produkte wird heute großgeschrieben. Eine wunderbare Auswahl und Zusammenstellung dieser Ingredienzen wird dem breiten Publikum auf dem zehntägigen Food Festival im nordenglischen York, bekannt durch seine eindrucksvolle Kathedrale, den York Minster, präsentiert und natürlich auch zum Verzehr angeboten.

Beim traditionellen York Food Festival lässt sich Yorkshire mittels der Geschmacksknospen erleben. (Foto: Udo Haafke)
Beim traditionellen York Food Festival lässt sich Yorkshire mittels der Geschmacksknospen erleben. (Foto: Udo Haafke)

Neben heimischen Obst- und Gemüsesorten gibt es viele Fisch- und Fleischprodukte zum Probieren, wobei auffällig viele neue und ungewöhnliche Kreationen zu bemerken sind. So eine schier unerschöpfliche Auswahl an Salami und Wurst. Letztere, die im Vereinigten Königreich ähnlich klischeebehaftet für deutsche Hausmannskost steht, erfreut sich ganz besonderer Beliebtheit. Freundlich kredenzt und feilgeboten von emsigen Damen und Herrn, viele davon in traditioneller Tracht gekleidet. Ein Hauch von Landwirtschaft weht durch die gut besuchten Stände rund um den New Market und die ebenso geschichtsträchtige wie enge Gasse The Shambles, die aus zahlreichen kleinen, gebückten und gebeugten Fachwerkhäusern besteht. Die einstige Armut der Stadt, die dazu führte, dass keine neuen Häuser gebaut werden konnten, ist heute ein eindrucksvolles, viel beachtetes Juwel und lockt beachtliche Besucherströme an.

Längst brutscheln in der englischen Küche nicht mehr nur Fisch & Chips und viel Frittiertes. (Foto Udo Haafke)
Längst brutscheln in der englischen Küche nicht mehr nur Fisch & Chips und viel Frittiertes. (Foto Udo Haafke)

Auch die Kunst Käse zu veredeln wird in hoher Qualität gepflegt. Den weißen, leicht krümeligen Käse aus dem nahen Wensleydale beispielsweise vermengen die Produzenten mit fruchtigen, süßen oder salzigen Zutaten und erzeugen so höchst schmackhafte Leckereien, die ein erlesenes Menü stilvoll abrunden. In der altehrwürdigen Guildhall schließlich präsentieren Händler edle Weine, die zum überwiegenden Teil dann aber doch nicht aus dem noch jungen Winzerland England stammen.

Als Vorreiter für eine innovative britische Küche gilt Jamie Olivier, der mit seinen simplen und preiswerten, aber durchaus effektvollen Rezepten, nicht nur im eigenen Land eine hohe Aufmerksamkeit, auch unter vermeintlichen Koch- und Küchenmuffeln, erregte. Seine Bücher sind echte Verkaufsschlager und in seinem Gefolge befindet sich nun eine große Zahl weiterer englischer Spitzenköche, die nicht ohne Stolz eine erkleckliche Anzahl der in der Branche so begehrten Michelin-Sterne auf sich vereinen.

Eines der Aushängeschilder der neuen britischen Küche: Andrew Pern. (Foto Udo Haafke)
Eines der Aushängeschilder der neuen britischen Küche: Andrew Pern. (Foto Udo Haafke)

Einer dieser Meister am Herd ist Andrew Pern, der im Dörfchen Harome nahe der malerischen Abteiruine von Rievaulx ein Hotel und Restaurant betreibt. In einer ehemaligen, strohgedeckten Scheune befindet sich Andrews Tempel der gepflegten Esskultur, die jedoch nicht nur kreative Innovationen auf den Teller bringt, sondern durchaus auch normales, sogenanntes Pubfood auf höchstem Niveau. Damit schafft er es auch jene Menschen anzusprechen, die sich üblicherweise nicht trauen würden, zum Essen in ein mit Sternen dekoriertes Lokal zu gehen. Nicht umsonst ist das Haus mit den verschachtelten, urigen Räumlichkeiten nahezu permanent ausgebucht.

Kreative Küche von Andrew Pern kredenzt im Star Inn von Harome. (Foto: Udo Haafke)
Kreative Küche von Andrew Pern kredenzt im Star Inn von Harome. (Foto: Udo Haafke)

Das Kredo in Andrews´ Küche lautet wie selbstverständlich Frische und Natürlichkeit. Gewürze, Kräuter und Gemüse, selbst das Obst entstammen möglichst und wenn verfügbar dem angeschlossenen Gemüsegarten gleich hinter dem Restaurant, durch den auch die Gäste spazieren dürfen. Das verarbeitete Fleisch liefern die Bauern und Jäger aus der Umgebung, während die Meeresfrüchte täglich von der nahen Küste ihrem Bestimmungsort zugeführt werden. Daraus erklärt sich zudem der Schwerpunkt auf der Menükarte hinsichtlich saisonaler Produkte. Andrew verzichtet weitestgehend auf exotische Zutaten, was seinen kreativen Ideen hinsichtlich der Speisenzusammenstellung jedoch ausgesprochen förderlich ist und eindrucksvoll auf angenehme wie schmackhafte Weise die Vorurteile gegen britische Cuisine zu widerlegen vermag.

{google_map}Masham, England{/google_map}

 Allgemein Informationen:  www.visitengland.de und www.yorkshire.com

Anreise am schnellsten mit Maschinen der FlyBe von vielen deutschen Städten nach Manchester, Transfer nach York und Yorkshire mit Bus, Bahn oder Mietwagen, oder derzeit nur von Düsseldorf mit Jet2 nach Leeds-Bradford . Individuelle Anreise mit der Fähre von Rotterdam oder Zeebrügge nach Hull.

Einladend: Das Star Inn in Harome. (Foto: Udo Haafke)
Einladend: Das Star Inn in Harome. (Foto: Udo Haafke)

Unterkünfte gibt es in allen Kategorien vom einfachen B&B bis zum Luxushotel. Empfehlenswert beispielsweise The Black Swan in Helmsley mit der besten Teestube Großbritanniens und einem fantastischen Angebot an verschiedenen Teesorten und traditionellem Gebäck, das günstig zum Stadtkern gelegene Park Inn Hotel in York, das neu eröffnete stilvolle und luxuriöse Grand Cedar Court Hotel & Spa mit hervorragendem Restaurant im hochherrschaftlichen ehemaligen Verwaltungsgebäude der nordenglischen Eisenbahngesellschaft.

Steigt jährlöich im September: Das York Food Festival. (Foto: Udo Haafke)
Steigt jährlöich im September: Das York Food Festival. (Foto: Udo Haafke)

Im pittoresken Grassington inmitten der Yorkshire Dales lädt das luxuriöse B&B Ashfield House zur gepflegten Übernachtung mit Milch im Thermoskännchen für den Early Morning Tea, während das Devonshire Arms Hotel und das angeschlossene mit vier Rosetten ausgezeichnete Burlington Restaurant mit einem Hauch erlauchter Exklusivität kokettiert.  Das Hotel und Restaurant von Andrew Pern heißt Star Inn und liegt wenige Kilometer außerhalb von Helmsley.

Aktivitäten: Die Bandbreite an Aktivitätsmöglichkeiten in York und Umgebung reicht von Kochkursen mit regionalen Produkten und renommierten Chefs über Brauereibesichtigungen und den Besuch von Schafmärkten, wandern oder Rad fahren bis hin zu vielerlei Sportarten. Sehr hilfreich dabei der Yorkshire Pass, der in der Stadt und näheren Umgebung kostenlosen Eintritt zu Museen und weiteren Sehenswürdigkeiten erlaubt. Zudem gewähren viele Institutionen Rabatte auf ihre Produkte, so auch die beliebten und sehr unterhaltsamen Ghost Walks.

Buchtipp: Ulrike Katrin Peters, Karsten-Thilo Raab: Oh, diese Briten, Conrad Stein Verlag, ISBN 978-3-86686-800-7.