Annevoie – Geheimtipp für Gartenfreunde

Annevoie
Absolut besuchenswert sind die Wassergärten von Annevoie mit dem bezaubernden Wasserschloss. – Foto: Susanne Timmann

Früh am Morgen sind die liebevoll gezogenen Linien aus hellgrauem, kleinem Kies am Eingangsbereich der Wassergärten von Annevoie noch ganz gerade und perfekt. Perfektion ist das, was diese Gärten im Zentrum der Wallonie in Belgien ausmacht.

Philippe Attout, dessen Herz schon lange für die bemerkenswerte Anlage schlägt, erklärt mit einem stolzen, etwas verschmitzten Lächeln, „der Tag beginnt damit, dass die Kieselsteine mit einem Gerät, das aus der Landwirtschaft stammt, gerade gezogen werden. Aber glauben sie mir, das bleibt nicht lange so“. Kein Wunder, besuchen doch jährlich Tausende Gäste den weitläufigen Park.

Ein herzliches Willkommen

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Frühmorgens sind die Kieselsteine noch perfekt gerade gezogen. – Foto: Susanne Timmann

Elsemarie, in ihrem hellorangefarbenen Sommerkleid und weißem Stoffhut will es ganz genau wissen, „macht diese geraden Linien ein Mönch, es sieht so spirituell aus?“ Das muss Philippe verneinen. Aber er erzählt, dass immerhin sieben Gärtner unter der Woche sich um das Wohl der Wassergärten von Annevoie kümmern. Und das sieht der Besucher auch.

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Philippe Attout erzählt mitreisend von der langen Geschichte der Wassergärten. – Foto: Susanne Timmann

Auch an den vielbesuchten Wochenenden ist stets ein Gärtner auf dem weitläufigen Gebiet im Dienst. Philippe erklärt, was logisch erscheint, „es kann ja immer wieder ein freches Blatt einen Wasserabfluss verstopfen. Und das wäre nicht so schön.“ Wobei, eigentlich arbeitet hier nicht der Mensch. Nein, das Wasser ist das Element, das die Gärten fest im Griff hat. Sommer wie Winter, Tag und Nacht, Jahr für Jahrhundert.

Sprudelnde, natürliche Wasserkraft

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Überall lassen sich Wasserwege entdecken, wie hier am Kleinen Kanal. – Foto: Susanne Timmann

Charles-Alexis de Montpellier, der Gründervater der Wassergärten von Annevoie, begann hier mit der Verwirklichung seines Traumgartens. Seit dem jahre 1758 ist das nasse Gut der lebensspendende Antrieb für die über 50 Fontänen und Wasserspiele, die alle ihr zauberhaftes Plätschern durch die natürliche Kraft des Wassers präsentieren. Richtig, kein Strom, keine Pumpen unterstützen das fröhliche und sprudelnde Spektakel.

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Ein Plätzchen zum Genießen und dem Plätschern zuzuhören. – Foto: Susanne Timmann

Doch wie funktioniert das? Ganze 30 Meter höher entspringt das nasse Elixier in vier Quellen und wird mittels ausgetüftelten Kanälen zum Park geleitet. Ganz oben befindet sich der Grand Canal. Mit 400 Meter Länge der größte Wasserspeicher des Parks. Früher wurde dieser sogar für kleine Bootstouren eingesetzt. Eine vergnügliche kleine Runde mit wunderschönem Blick auf das Schloss und die weitläufige, zwölf Hektar große Parkanlage. Auch die 52 Lindenbäume wurde wieder aufgeforstet. Ganz so, wie es auf den alten Plänen angedacht war.

Neue Entdeckungen hinter jeder Ecke

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Wunderschön anzuschauen: Der große Fächer und der Große Wasserspeier. – Foto: Susanne Timmann

Die unbändige Kraft des sprudelnden Quells ergießt sich in insgesamt vier Gefällen nach unten. Jede Stufe präsentiert ihre eigenen Fontänen und Wasserspiele – einfach großartig. Immer wieder erhascht der Besucher ein Blick auf die quasi miteinander kommunizierenden Wasserkanäle und -röhren, die ober- und unterirdisch verlaufen. Das Wasser versorgt die komplette Anlage durch das einfache Naturgesetz der Niveauunterschiede und des Wasserdrucks.

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Liebevoll sind die Wassergärten von Annevoie angelegt. – Foto: Susanne Timmann

Drei Stilrichtungen prägen die Wassergärten von Annevoie. Der symmetrische, akkurate französische Stil bändig streng die Natur. Verpönt sind Kurven und Windungen, keine weichen Elemente dürfen die geradlinigen Perspektiven stören. Ganz anders der italienische Stil. Fein und fast natürlich fügen sich die Wasserspiele, die im Mittelpunkt der Architektur stehen, in das Gesamtbild ein.

Zeit zum Zuhören nehmen

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Überall sprudelt es vergnüglich. – Foto: Susanne Timmann

Abwechslungsreich, mit immer wieder neuen Blickwinkeln bleibt der Spaziergang durch den Park stets spannend und das Plätschern begleitet. „Zurück zur Natur“ prägt den englischen Stil. Natürliche Elemente werden kunstvoll nachgeahmt, ganz nach den Vorstellungen der englischen Romantik.

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Kleine Blickfänge, die zum Schmunzeln anregen. – Foto: Susanne Timmann

Doch nochmals zurück zu Philippe und Elsemarie, die noch immer die exakten Kieslinien am Eingangsbereich bewundert. Mit vorsichtigen, knirschenden Schritten geht es zuerst nach rechts, wo sich der Blick auf den Le Grand Eventail, den großen Fächer, eröffnet, der für den ersten Fototermin einlädt. Direkt dahinter schießt der „große Wasserspeier,“ dank der Versorgung mit dem kühlenden Nass aus dem großen Kanal ganz oben, seine mehr als sieben Meter hohe Fontäne in die Luft.

Wassergott Neptun lässt grüßen

Ein Highlight der Gärten: Die Wassertreppe gespeist von Neptun. – Foto: Susanne Timmann

Gefolgt vom ältesten Bauwerk der Wassergärten von Annevoie, die große Kaskade, erbaut von von Charles-Alexis. Ein wunderbares Beispiel des französischen Stils mit seiner strengen, symmetrischen Gestaltung. Seit mehr als 250 Jahren plätschert hier ununterbrochen das nasse Element über die Stufen. Erst später folgte Die englische Kaskade, eine perfekte Nachbildung der Natur, die sich direkt anschließt.

Spannend, aber auch etwas ernüchternd ist der rückseitige Blick auf Neptun. – Foto: Susanne Timmann

Dann eröffnet sich der Blick auf das beeindruckende, in hellem Gelb erstrahlende Wasserschloss. Früh am Morgen tummeln sich noch stolze Schwäne am Teich, die noch die Ruhe genießen. Zauberhaft spiegelt sich das Schloss im Teich. Fast noch beeindruckender ist die La Buffet d´eau, die Wassertreppe, die bereits seit dem Jahre 1760 ununterbrochen, im einwandfreien Zustand ihr plätscherndes Werk vollführt und begeistert. Hoch oben speist die große, weiße Figur des Meeresgottes Neptun die Kaskaden. Wobei der Schein trübt. Die Technik der Imitation eines Reliefs, die Trompe-I´oeil, stellt den Meeresgott deutlich schmaler dar. Eine überraschende Erkenntnis.

Trompe-I´oeil Figuren, mehr Schein als sein

Die Trompe-I´oeil Figuren sind für eine Überraschung gut. – Foto: Susanne Timmann

Rechter Hand führt der Weg zur Großen Allee. Blumenbeete zieren die Wege zu weiteren vier Trompe-I´oeil Figuren. Die Kindheit, die Jugend, die Reife und das Alter überblicken die Große Allee. Neben Spalierobstbäumen befindet sich weiter oben der liebevoll angelegte Gemüsegarten, dessen Ertrag die Bewohner des Schlosses, gerne und genüsslich verspeisen.

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Einen kühlen Spaziergang durch die Seuzfer-Allee. – Foto: Susanne Timmann

Die grün beschattete Seufzer-Allee mit dunklen Hainbuchen ermöglicht, nicht nur Verliebten, einen kühlen und wenig einsehbaren Spaziergang. Ein Schelm, der bei dem Namen sich so das eine oder andere denkt. Aber Tatsache ist, dass die La Fontaine de l´Amour, die Liebes-Fontäne, dazu verführt, diese zu zweit zu bändigen. Zumindest Elsemarie und Philippe müssen dieses einmal ausprobieren. Warum die zwei dann Arm in Arm weiterschlendern, weiß wohl nur die La Fontaine de l´Amour …

Vom Lieben und Leben lassen

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Viele Wege führen durch die beeindruckende Parkanlage. – Foto: Susanne Timmann

Weniger romantisch ist allerdings das Ende der geheimnisvollen Seufzer-Allee. Blicken die Turteltäubchen doch in das finstere Gesicht eines riesigen Wildschweines. Das prachtvolle Tier aus Bronze stammt aus dem 18. Jahrhundert. Doch falsch am Platz ist es hier in der Gartenanlage nicht. Ist doch das Wildschwein das Symbol für die Ardennen, dem wilden und naturverbundenen Teil der Wallonie.

Wunderschöner Blick auf das halb versteckte Schloss entlang des Kleinen Kanals. – Foto: Susanne Timmann

Vorbei am Kabinett der Minerva lockt der Kleine Kanal in der moosbewachsenen Höhle zu einem weiteren Zwischenstopp. Früher, so erzählt Philippe, gab es dort eine Sitzmöglichkeit, um das verborgene Eckchen in Ruhe genießen zu können. Ganz gentlement-like bietet er Elsemarie an, auf seinem angewinkelten Bein Platz zu nehmen. Doch Elsemarie genießt lieber das kalte Nass und erfrischt sich mit einem Spritzer Wasser ins Gesicht. „Ein wunderbarer Blick auf den Park ist es von hier,“ sagt sie schmunzelnd und beschwingt geht es weiter.

Gedenken an die Gründerfamilie

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In der Krypta liegt Charles-Alexis de Montepellier mit seinen Nachkommen. – Foto: Susanne Timmann

Am südwestlichen Ende der Wassergärten von Annevoie liegt in einer Kapelle, der Krypta, Charles-Alexis de Montepellier mit seinen Nachkommen. Philippe berichtet: „Zur Kapelle gibt es zwei Eingänge, einen für die Damen und einen für die Herren. Von hier aus haben die Bewohner des Schlosses die Kapelle betreten. Die Dorfbewohner hatten hinter der Mauer, die das Grundstück umgibt, einen separaten Eingang.“

Wie aus der Natur entsprungen mutet die Löwenhöhle an. – Foto: Susanne Timmann

Wildromatisch mutet der Löwenfels an. Die Grotte ist keine natürlich entstandene, nein, es handelt sich um eine Imitation, die häufiger im 17.und 18. Jahrhundert in vielen italienischen und englischen Gärten zu finden waren.

Auf den Geschmack gekommen

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Am Eingangsbereich befinden sich der Shop, eine kleine Ausstellung und das Restaurant. – Foto: Susanne Timmann

Zurück am Eingangsbereich kann noch eine interessante Ausstellung über die Geschichte des Parks besucht werden. Viele alte Bilder und Illustrationen veranschaulichen die lange Geschichte der Wassergärten von Annevoie. Und wer auf den Geschmack gekommen ist, kann sich für weitere, großartige Gartenanlagen inspirieren lassen, die mit großen Fotos beschrieben werden.

Blick vom Restaurant auf einen Teil des Parks. – Foto: Susanne Timmann

Ein kleiner, nett sortierter Laden verführt zum Kauf von Andenken und das Selbstbedienungsrestaurant bietet heiße wie kalte Erfrischungen an. Ob Elsemarie und Philippe hier noch ein Gläschen Weißwein aus der Wallonie genossen haben? Das bleibt wohl ein Geheimnis.

Weitere, wunderbare Gärten der Wallonie

Der Schlossparks von Freÿr liegt wunderschön im Maastal. – Foto: Susanne Timmann

Nicht nur die Wassergärten von Annevoie überzeugen. Ein Besuch des Schlossparks von Freÿr, ein klassischer Garten in romantischem Rahmen, lohnt ebenfalls. Sehenswert sind die kleinen, teilweise über 300 Jahre alten Orangenbäume, die den Winter in der Orangerie überdauern. Das Schloss ist ebenfalls zu besichtigen. Auch das Maastal mit den markanten Felsen ist ein sehenswerter Teil der zauberhaften Wallonie. Die Domaine de Freÿr gehört zu den „Jardins remarquables“, den bemerkenswerten Gärten der Wallonie.

Adresse: Freyr 12, 5540 Hastière, weitere Informationen unter www.freyr.be

Die Gärten von Schloss Modave stehen den Besuchern offen. – Foto: Susanne Timmann

Das Schloss Modave, das auf einem Felssporn über dem Tal des Flusses Hoyou thront, bietet ebenfalls einen spannenden Gartenpark, der kostenlos besucht werden kann. Der Schlosspark liegt in einem 450 Hektar großen Naturreservat. Bemerkenswert ist der Swimming-Pool aus dem Jahre 1923 und der 35 Meter hohe Tulpenbaum, der besonders in der Blütezeit mit unzähligen tulpenartigen Blüten überrascht. Auch dieser Park gehört zu den „Jardins remarquables“ der Wallonie.

Adresse: Rue du Parc 4, 4577 Modave, weitere Informationen unter www.modave-castle.be

Eine schöne Kombination sind die Gärten der Abtei von Villers la-Ville und die romantischen Ruinen. – Foto: Susanne Timmann

Sehr beliebt und ebenfalls sehr lohnenswert ist der Besuch der Gärten der Abtei von Villers la-Ville in der Provinz Wallonisch Brabant. Zu den romantischen Ruinen gehören verschiedene Heilgärten, Ziergärten, ein meditativer Pfad sowie Obstgärten. Eine ganz anmutende Stimmung in den noch gut erhaltenen Ruinen macht diese Anlage so besonders. Auch sie gehören zu den bemerkenswerten Gärten der Wallonie.

Adresse: Rue de l’Abbaye 55, 1495 Villers-la-Ville, weitere Informationen unter www.villers.be

Die Gärten Sous-Bois von Philippe Taminiaux versprechen spannende Entdeckungen. – Foto: Susanne Timmann

Ein ganz außergewöhnliches Erlebnis ist sicherlich der Besucher der wunderschönen Gärten von Sous-Bois, die Eigentümer Philippe Taminiaux angelegt hat. Neben weiteren Tätigkeiten ist er Gründer und Präsident des Internationalen Naturfilm-Festivals von Namur. In dem Garten hat sich Philippe Taminiaux seinen Lebenstraum verwirklicht, in dem er unbeobachtet die Natur beobachten kann. Er lebt dort mit dem Großteil seiner Familie. Die Gärten bieten Blick auf das Maastal und sind an Wochenenden in den Sommermonaten oder nach Reservierung mit Gruppen zu besichtigen.

Adresse: Chemin des Vignerons 32, 5100 Wépion, weitere Informationen unter www.lesousbois.be

Tipps und Informationen zur Wallonie

Geschmacksexplosionen im Restaurant Le Jardin de Fiorine. – Foto: Susanne Timmann

Allgemeine Informationen: www.visitwallonia.de

Essen & Trinken: Ein bezauberndes Städtchen mit Saxophon-Hintergrund ist Dinant, der Geburtsort von Adolphe Sax, dem Erfinder des Saxophons. Ausgezeichnet lässt es sich im Restaurant Le Jardin de Fiorine in der Rue Georges Cousot 3, 5500 Dinant speisen, www.lejardindefiorine.eatbu.com

Perfekt für einen Zwischenstopp ist das Café Mur Coffee & Cycling. – Foto: Susanne Timmann

Für einen kleinen Lunch zwischendurch empfiehlt sich das Café Mur Coffee & Cycling am Pl. St Séverin 3 in 4500 Huy mit sehr schönem Blick auf die Kathedrale, www.murcoffee.be

Modern mutet das Hotel Dolce by Wyndham La Hulpe an. – Foto: Susanne Timmann

Übernachtung: Versteckt in einem großen Waldgebiet bietet das Hotel Dolce by Wyndham La Hulpe nicht nur Tagungsgästen eine ruhige Unterkunft mit einem vorzüglichen Essen und Erholung im Spa-Bereich. Adresse: Chaussée de Bruxelles 135, 1310 La Hulpe, www.wyndhamhotels.com


Die Recherche fand auf Einladung / in Zusammenarbeit mit Visit Wallonia statt.

Susanne Timmann

lebt im Rheinland, ist aber in der Welt zuhause. Seit 2022 fungiert sie als stellvertretende Chefredakteurin des Mortimer Reisemagazins, für das sie Beiträge in Wort und (Bewegt-) Bild über Destinationen weltweit verfasst.