„Viel Spaß im Heimaturlaub!“, wünscht uns Lisa, als wir unsere Reisetaschen im Wagen verstauen und startbereit sind. Heimaturlaub – was für eine köstliche Bezeichnung für unsere einwöchige Auszeit auf dem Priwall. Was Lisa nicht weiß: Für mich ist die vor uns liegende Woche in gewisser Weise eine Reise in die Vergangenheit …
Ich kann mich noch gut erinnern. Es muss Mitte der 1960er-Jahre gewesen sein. Da fuhren meine Eltern mit mir in unserem damaligen VW Käfer sonntags im Sommer ab und zu an die Ostsee. Es sind ja nur etwas über 50 Kilometer von Hamburg aus nach Travemünde. Aber nicht in den Hauptort. „Viel zu mondän“, sagte mein Vater. „Nur was für reiche Leute …“ Das Casino und so.
Stattdessen nahmen wir die Fähre hinüber auf den Priwall – diese nur wenige Kilometer lange Halbinsel, die genau genommen auch zu Travemünde gehört, was wiederum ein Stadtteil von Lübeck ist. Als Kind fand ich es toll. In meiner Erinnerung gab es immer nur sonnige, heiße Tage und ich konnte nach Herzenslust am breiten Strand im Sand buddeln.
ber die merkwürdigen Wachtürme in ein paar Hundert Metern Entfernung machte ich mir weiter keine Gedanken.
Ein paar Jahre später fuhr ich im Sommer wieder an den Priwall. Jetzt im eigenen VW Käfer, hoffnungslos überladen. Manchmal waren wir zu sechst – zwei Klassenkameraden, ich plus Freundinnen. Sowie mehrere Flaschen von billigem Rosenthaler Kadarka hinten im Kofferraum.
Wir nahmen die Autofähre, denn nun war der FKK-Strand unser Ziel. Warum es am Ende der Halbinsel einen Schlagbaum geben musste, der unser Land in zwei Staaten teilte, hatte sich mir immer noch nicht wirklich erschlossen. Aber den DDR-Grenzern in ihrem Turm, mit ihren Feldstechern im Anschlag, haben wir am FKK-Strand etwas geboten. So viel ist sicher.
Wiederum ein paar Jahre später fuhren wir zu dritt an den Priwall – meine Lebensgefährtin Anna, unser Labrador Max und ich. Das Ziel: der Hundestrand – weitläufig, naturbelassen, nahezu menschenleer. Einfach wunderbar.
Den Wachturm hatte man mittlerweile längst abgerissen. Und auch den Schlagbaum an der heutigen Kreisstraße 3 gab es natürlich nicht mehr. Stattdessen markierte jetzt ein Findling die Landesgrenze zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Mit einer Inschrift darauf: „Nie wieder geteilt!“
Und noch etwas hatte sich in der Zwischenzeit verändert: Hinter dem breiten Strand duckten sich jetzt neue Ferienhäuser in den Dünenstreifen. Eine kleine Kolonie, im dänischen Baustil errichtet. Sehr hübsch, echt gemütlich. „Lass uns mal für ein paar Tage hier herfahren“, schlug Anna vor. Ja, so entstand die Idee zu unserem „Heimaturlaub“. Eine Woche, mitten im deutschen Winter.
Es sind entspannte Tage. Lange ausschlafen. Am Strand spazieren gehen, nach Bernstein suchen, aber immer nur Muscheln finden. Etwas Leckeres kochen. In die hauseigene Sauna gehen. Am Kaminofen sitzen, Bücher lesen. Und immer wieder: aufs Meer schauen.
Genau gegenüber liegt Travemündes Hauptstrand. Überragt vom Maritim Hotel. Und davor, auf der Trave, gleiten die Fähren nach Trelleborg, Malmö, Helsinki und nach Lettland so nahe an einem vorbei, dass es im Magen wummert. Allmählich kennt man sie schon: die Riesen-Pötte der TT-Line, und Finnlines, ihre Abfahrts- und Ankunftszeiten.
Erst am vierten Tag verspüren Anna und ich das Bedürfnis nach etwas Abwechslung, machen ein bisschen Sightseeing, schauen uns die Travemünder Highlights an: die Passat, diese legendäre Viermastbark; den alten Leuchtturm aus dem Jahre 1539; die Steilküste des Brodtener Ufers; die schmucke Altstadt rund um die St.-Lorenz-Kirche. Das Spielcasino? Nein, das wurde 2012 geschlossen und zu einem 5-Sterne-Hotel umgebaut.
Mehr durch Zufall entdecken wir in der Kurgartenstraße 94 ein Fischgeschäft. Räucherei Wöbke. Der kleine Laden ist so voll, dass sich kaum noch die Tür öffnen lässt. Und bald wissen wir auch, warum. Die geräucherten Fische – unter anderem Aal, Heilbutt, Lachs –, die wir an einem der Stehtische verzehren, sind derart lecker, dass man extra dafür aus Hamburg anreisen möchte …
Auf dem Rückweg zu unserem Auto schlendern wir am Wasser entlang. Wo vielleicht schon der Maler Edvard Munch lustwandelte, den an der Ostsee so sehr das Licht faszinierte. Oder Nobelpreisträger Thomas Mann, der hier gern die Sommerfrische genoss und den Seebadbetrieb des 19. Jahrhunderts in seinen „Buddenbrooks“ beschrieb. Wer weiß …
Ganz real steht direkt an der Trave jedenfalls die Filiale einer namhaften Konditorei. Und daran kommen Anna und ich an diesem Tag einfach nicht vorbei. Niederegger, das Traditionshaus. Hier wird Marzipan gelebt. Es duftet schon danach, sobald man das Café betritt. Selbstverständlich gibt es Marzipantorte. Und auch der Cappuccino hat das entsprechende Aroma.
Im Obergeschoss des Cafés genießen wir den Blick rüber zu „unserer“ Halbinsel, zum Priwall. Es ist ein Ort mit einer bewegten Geschichte, zum Teil bedingt durch seine exponierte geografische Lage. 1847 wurde auf dem Priwall eine Badeanstalt eröffnet, 1880 die ersten Ferienunterkünfte für bedürftige Familien. 1935 beanspruchte die Reichsluftwaffe das Gelände für sich. Von 1939 bis 1945 war der Priwall für die Zivilbevölkerung gesperrt. Die Nazis hatten hier mehrere Lager für Zwangsarbeiter errichtet.
Ebenso geschichtsträchtig: Lübeck, die alte Hansestadt, nur etwa 20 Kilometer vom Priwall entfernt. Zweifellos ein äußerst lohnenswertes Reiseziel: das Zentrum, mit über 1.000 Gebäuden Teil des UNESCO-Weltkulturerbes, das berühmte Holstentor, das Buddenbrookshaus etc. In diesem „Heimaturlaub“ nehmen wir uns nur die Zeit für eine viel zu kurze Stippvisite. Aber eins ist sicher: Wir werden wiederkommen. Und bis dahin müssen ja nicht erneut Jahre ins Land gehen …
Weitere Informationen: Welcome Center Travemünde (Touristbüro), Strandbahnhof, Bertlingstraße 21, Telefon 0451 8899700, www.travemuende-tourismus.de
Beste Reisezeit: Ganzjährig. Die Ostseeküste hat zu jeder Jahreszeit ihren Reiz. Besonders schön ist es im Mai und Juni, wenn der Raps sonnengelb blüht.
Klima: Gemäßigt. Nicht zu heiß im Sommer, nicht zu kalt im Winter.
Sprache: Hochdeutsch und Plattdeutsch. Übliche Begrüßung: „Moin!“ Unabhängig von der Tageszeit.
Dokumente: Der Urlaub ist kurabgabepflichtig. Die Ostseecard bietet freien Strandzugang in 17 Ostseebädern und jede Menge Vorteile.
Gesundheit: Das milde Reizklima stärkt das Immunsystem und hilft bei Atembeschwerden. Auch Hauterkrankungen können durch die salzhaltige Luft und ein Bad im Meerwasser gelindert werden.
Essen & Trinken: An der Küste isst man natürlich viel frischen Fisch. Bekannte Spezialitäten sind Maischolle, Heringe und Matjes (Heringe eingelegt in Salzlake). Zwischendurch darf es auch mal ein Fischbrötchen oder Backfisch sein. Ansonsten ist die Küche Schleswig-Holsteins bekannt für ihre deftigen Gerichte, z. B. Grünkohl mit Kochwurst und Schweinebacke. Außerdem gehört traditionell söötsuur (Süßsaures) auf die Speisekarte wie Birnen, Bohnen, Speck. Und zum Nachtisch: rote Grütze oder Fliederbeersuppe. Weitere Spezialitäten der Region sind Lübecker Marzipan und Rotspon – ein französischer Rotwein, der in Lübeck gelagert wird. Wer „Lütt un’ Lütt“ bestellt, bekommt ein Bier und einen klaren Schnaps dazu.
Sehenswert: Strandpromenade von Travemünde, der Fischereihafen, die „Passat“, das Brodtener Ufer (Steilküste zwischen Travemünde und Niendorf). Lübeck: Der mittelalterliche Stadtkern gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe.
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Mortimer
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