Wer traut sich ins Klüvernetz? Segel-Abenteuer vor Hollands Küste

Klüvernetz
Zwischendurch können sich die jungen Leichtmatrosen auch mal auf dem Oberdeck ausruhen. (Foto Ulrike Katrin Peters)

Bootsmann Tossing hat an Bord der “ Zeemeeuw“ alles im Griff. Seine knallblauen Augen leuchten, wenn der braungebrannte Holländer mit dem Wind zerzausten Haar seine Bariton-Stimmer anhebt: „Ladyyyyys and gentlemaaaaaan! Nu`solln`wir de´ Hauptsechels` settten!“. Fragezeichen auf den Gesichtern der Neu-Matrosen. Lachend zeigt Tossing auf mich – „Du, dieses Seil ziehen!“ – „Kraftich! Uuuund zieh`!“ Auch die Kinder werden von ihm charmant aber ohne Wiederspruch zu dulden an die Arbeit gebracht: „Und nu`, alle kleinen Matrosen an die Seileeee!“.

Sacht schwingt der Baum nach Backbord, es knarrt im Gebälk, die Sonne wird durch das Hauptsegel plötzlich abgeschirmt. Anerkennend hebt Tossing den Daumen. Ein echtes Kompliment an eine Mannschaft, die normalerweise mit Segeln nichts zu tun hat und aus lauter Kopfarbeitern verschiedenster Altersstufen besteht.

Der Heimathafen der "Seemöwe" in Haarlingen. (Foto Ulrike Katrin Peters)
Der Heimathafen der „Seemöwe“ in Harlingen. (Foto Ulrike Katrin Peters)

Vor dem Auslaufen aus dem Heimathafen im niederländischen Harlingen gilt es aber erst einmal, das Gepäck und die Vorräte an Bord des 37 Meter langen und 6,60Meter breiten Holztschiffes zu schaffen. Ist alles in den Kajüten verstaut, begrüßt Skipper Peter de Jong seine Gäste unter Deck des Dreimasters mit den drei auffälligen gelben Masten mit einem verwegenen Lächeln. Das Leben, so erzählt er grinsend, sei hagelhart auf der “ Zeemeeuw „. Und es gebe wichtige Regeln.

Das Klüvernetz wird zwischenzeitlich auch mal hoch gebunden. (Foto Ulrike Katrin Peters)
Das Klüvernetz wird zwischenzeitlich auch mal hoch gebunden. (Foto Ulrike Katrin Peters)

Die wichtigste Regel ist: Den frisch lackierten Tisch im Salon nicht mit dem Scheuerlappen bearbeiten. Wer das tut, so deutet der imposante Seebär an, wird kielgeholt. Man merkt, dass Peter de Jong sein Segelschiff liebt. Vom Salon-Tisch über den Rumpf bis zur Mastspitze.

Ebenso liebt er seinen Job. Launig hält er eine kleine Einleitung für alle Landratten. Im Eiltempo erzählt der temperamentvolle Lockenkopf über Klüversegel, Hauptsegel, Bramsegel und legt Grafiken auf den Tisch. Was tun, wenn der Wind von hinten, von vorne kommt? Wie kommen wir bei ablaufendem Wasser durch das Wattenmeer, wie bei auflaufendem Wasser zur Insel Terschelling? Schnell haben die Neu-Seefahrer das Wichtigste kapiert: Bei Seebär Peter sind sie in verantwortungsvollen Händen!

Nach der launigen Einführungsrunde erkunden die Nachwuchs-Matrosen sofort jeden Winkel des Dreimasters. Nur ein Bereich ist tabu: der hintere Bereich des Schiffes, wo sich die Kajüte des Kapitäns befindet. Nach Absprache ist Skipper Peter aber jederzeit bereit, Groß oder Klein ans riesige Steuerrad zu lassen. Dieser Moment, wenn die kleinen Knirpse ihre Hände um das blank polierte Holz legen, ist ein ganz feierlicher. Es fühlt sich herrlich verantwortungsvoll und wunderbar verwegen gleichzeitig an.

Sehnsüchtig halten die Leichtmatrosen Ausschau nach Land. (Foto Ulrike Katrin Peters)
Sehnsüchtig halten die Leichtmatrosen Ausschau nach Land. (Foto Ulrike Katrin Peters)

Ist der Pirateninstinkt erst einmal geweckt, so wollen die lütten Matrosen meist direkt im Anschluss in das Klüvernetz klettern, das vor dem Bug des Schiffes am Klüverbaum baumelt. „Nur mit Schwimmweste, mine kleenen Matrosen!“ ruft Bootsmann Tossing gut gelaunt und man sieht ihm an, dass er die Freude der Kinder an diesem Abenteuer teilt.

Die großen Passagiere kostet es meist ungleich mehr Überwindung, über die Reling zu klettern und sich vertrauensvoll in das grobmaschige Netz zu legen. Unter einem rauscht die Gischt und der Wind zerzaust das Haar. So fühlt sich Freiheit an. Da die Reling extrahoch ist, kann man Kinder ab circa fünf Jahren auch gut die Freiheit gewähren, sich an Bord der „Seemöwe“, wie die Kleinen schnell übersetzt haben, frei zu bewegen.

Auch die erwachsenen Landratten müssen an Bord mit Hand anlegen. (Foto Ulrike Katrin Peters)
Auch die erwachsenen Landratten müssen an Bord mit Hand anlegen. (Foto Ulrike Katrin Peters)

Im gemütlichen Salon unter Deck berät die Reisegruppe auch gemeinsam mit dem Kapitän, wo es am nächsten Tag hingehen soll. Je nach Wetterlage bietet sich das geschüztere Segelrevier des IJsselmeeres mit seinen pittoresken Städtchen an oder, bei sommerlichem Badewetter das Übernachten auf einer Sandbank. Bei dem so genannten „Trocken fallen lassen“ kann die gesamte Mannschaft zum Buddeln und Baden das Schiff verlassen. In der Nacht muss allerdings immer einer wach bleiben.

Die Ankerwache ist hier eine obligatorische Pflicht. Durch den platten Boden und einem Tiefgang von nur 1,5 Metern eignet sich das Plattbodenschiff hervorragend für das Trockenfallen und Schippern auch in flachen Wattenmeergewässern.

Einlaufen in den Hafen von Terschelling. (Foto Ulrike Katrin Peters)
Einlaufen in den Hafen von Terschelling. (Foto Ulrike Katrin Peters)

Ein besonderes Erlebnis ist auch das Ansteuern von Terschelling. Das zu den Westfriesischen Inseln gehörende Eiland liegt rund 15 Kilometer von der niederländischen Nordseeküste entfernt und wartet vor allem mit einem herrlichen, 30 Kilometer langen und an manchen Stellen bis zu einem Kilometer breiten Sandstrand auf. Auf einer Gesamtfläche von 674 Qudratkilometern verbreitet Terschelling  maritimen Charme. Und das nicht nur wegen der zahlreichen Plattbodenschiffe, die im Hafen vor Anker liegen. Auch der kantige Leuchtturm und die zahlreichen, liebevoll eingerichteten Geschäfte und Restaurants verströmen Urlaubsflair pur.

Sacht, unaufgeregt und gemütlich scheint die Zeemouve durch die Wellen zu gleiten. Das entspannte Miteinander der Segler hat man schnell übernommen. Ganz selbstverständlich setzt man seinen Füß auf fremde Boote. Gezwungenermaßen – denn anders kann man das Plattbodenschiff im Hafen nicht verlassen.

Weite, einladende Strände finden sich auf Terschelling. (Foto Ulrike Katrin Peters)
Weite, einladende Strände finden sich auf Terschelling. (Foto Ulrike Katrin Peters)

Denn Häfen wir Haarlingen oder der der Insel Terschelling sind so beliebt, dass die Schiffe dort gleich in mehreren Reihen und aneinander vertäut festmachen müssen. Behende legt der Skipper mit seinem Bootsmann die Gehbretter aus, über die man dann das Festland erreichen kann. Kinder, Hunde, Lasten, alles wird sicher über diese schmalen Bretter, die auch den Zwischenraum zwischen den Booten überwinden, transportiert.

Wer zum Seile-Ziehen an Deck übrigens zu entspannt oder faul ist, für den hält Bootsmann Tossing eine andere Aufgabe bereit: Die Seile sollen hier sorgfältig zu einer großen acht auf das Deck gelegt werden, dort sorgfältig an Haken aufgehangen und andererorts zu einem großen Kreis gelegt werden.

Überaus charmant und einladend zeigt sich Terschelling. (Foto Ulrike Katrin Peters)
Überaus charmant und einladend zeigt sich Terschelling. (Foto Ulrike Katrin Peters)

Als man hiermit fertig ist, wischt der Bootsmann alles wieder glatt und macht es selber. Schaut man ihn fragend an so grinst er gleichermaßen schief wie charmant: „War nur Beschäftigungstherapie für Euch, dass Ihr nicht meutert!“.

Dass die „Zeemeeuw“ so robust daherkommt hat natürlich einen guten Grund. Ursprünglich wurde das im Jahre 1924 gebaute Schiffe konstruiert, um in den rauen nordeuropäischen Gewässern stand zu halten. Auch nach der kompletten Renovierung im Jahre 1990 hat der Dreimaster nichts von seiner ursprünglichen Gestaltung verloren. An Komfort muss man trotzdem nichts missen.

Begenung mit einem bauähnlichen Plattbodenschiff vor Terschelling. (Foto Ulrike Katrin Peters)
Begenung mit einem bauähnlichen Plattbodenschiff vor Terschelling. (Foto Ulrike Katrin Peters)

Der gemütliche Salon ist stilvoll mit Mahagonieholz ausgestattet und bietet Platz für gemütliche Runden am Abend, bei denen alle Passagiere um die großen Tische Platz finden. Eine voll ausgestattete Küche sowie eine gemütliche Bar bieten alles, was das Selbstversorgerherz wünscht. Die zehn Zweipersonenkabinen und drei Vierpersonenkabinen bieten Platz für insgesamt 32 Passagiere.

Jede Kabine verfügt über ein eine Heizung, ein eigenes Waschbecken, und über jeder Koje findet man eine gemütliche Leselampe. Die drei Duschen und vier Toiletten sind tip-top sauber und mit einem kleinem Bullauge versehen, durch die frische Luft und Möwengekreische hereindringt.. Wenn aber Tossings Baritonstimme wieder anhebt und er Groß und Klein „An die Tauuuueeeen!“ ruft, dann heißt es schnell an Deck klettern und den gemütlichen Bauch des Schiffes verlassen.

M it vereinten Kräften wird das Schiff seetüchtig gemacht. (Foto Ulrike Katrin Peters)
M it vereinten Kräften wird das Schiff seetüchtig gemacht. (Foto Ulrike Katrin Peters)

Als wir am Sonntagabend mit der Sonne im Rücken wieder im Hafen von Harlingen einlaufen wird schnell klar, dass die Tour unbedingt wiederholt werden soll. Das geruhsame Fahren, die körperliche Tätigkeit, das gesellige Miteinander und nicht zuletzt die herrliche Landschaft des niederländischen Wattenmeeres bilden eine perfekte Kombi für alle, die Familienzeit miteinander verbringen möchten und richtig abschalten wollen. Wer die Planken der Zeemeeuw betritt, der vergisst alles, was außerhalb des Decks an Land passiert. Aktives Nichtstun – für viele der Stammgäste ist dies die beste Art, mal richtig abzuschalten.

Weitere Informationen: Holland Sail, Stationsplein 3, 1601 EN Enkhuizen , Nederland , Telefon 0031-228-31 21 33, Email: info@hollandsail.nl; www.hollandsail.nl


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