Die Synagoge La Ghriba beherbergt eine der ältesten Thora-Rollen weltweit. Sie befindet sich hinter dieser Tür. – Foto: Enric Boixadós
Ein fürchterlicher Knall erschütterte am Spätnachmittag des 9. Mai 2023 das beschauliche Städtchen Erriadh auf der Insel Djerba im Süden Tunesiens. Es geschah am letzten Tag der jährlichen Lag Baomer-Wallfahrt zur bekannten Synagoge La Ghriba. Ein Angehöriger der tunesischen Küstenwache hatte auf dem Gelände des Gotteshauses zwei jüdische Wallfahrer aus Frankreich und Israel erschossen. Vorher hatte der Attentäter auf einem Marinestützpunkt einen Kameraden getötet.
Die Synagoge La Ghriba auf Djerba ist die älteste noch erhaltene Synagoge Afrikas. – Foto: Enric Boixadós
Schlimme Erinnerungen an das Al Quaida-Attentat im Jahr 2002 wurden wach, als es den jüdischen Pilgerort auf der Insel traf: Insgesamt wurden damals 19 Urlauber getötet, darunter 14 Deutsche. Immer wieder gab es Terroranschläge in dem nordafrikanischen Land, für das doch der Tourismus so überlebenswichtig ist. Urlauber blieben weg, das Land erhöhte seine Sicherheitskontrollen und ab 2018 wurde es endlich wieder ruhig und friedlich. Erholungssuchende zog es erneut in den kleinen Staat am Mittelmeer, der sich nach dem „Arabischen Frühling“ immer mehr gen Westen ausrichtete. Der Fremdenverkehr erholte sich allmählich, und bis heute gilt das Land als relativ sicher. Erst die Corona-Pandemie brachte schwere Rückschläge, die die Wirtschaft so gut wie lahm legten.
Hohepriester errichteten erste Synagoge
Der prachtvoll gestaltete Innenraum der Synagoge mit blauen Säulen, bunten Fliesen und Glasfenster. – Foto: Enric Boixadós
Das Kleinstädtchen Erriadh war Sitz der ersten jüdischen Gemeinde auf Djerba. Bereits 586 v. Christus wurde hier die Synagoge als Vorgängerin der heutigen von Hohepriestern errichtet. Wegen ihrer Einzigartigkeit steht sie auf dem Besuchsprogramm der Insel-Touristen ganz oben. Busladungen mit Menschen aus aller Welt halten jeden Tag auf dem Parkplatz, um das jüdische Juwel zu besichtigen. Alle Besucher werden durch ein Wachhäuschen mit Metalldetektor geschleust, hinzu kommen Ausweis- und Taschenkontrollen. Männer erhalten als Kopfbedeckung die traditionelle Kippa als kostenlose Leihgabe.
Gedenktafel in der Synagoge in deutscher Sprache. – Foto: Enric Boixadós
La Ghriba ist nicht nur die älteste noch erhaltene Synagoge Afrikas mit einer der historischsten Thora-Rollen weltweit, sondern auch beispiellos wegen ihres prachtvoll gestalteten Innenraums mit blauen Säulen, bunten Fliesen und Glasfenster. Die angrenzende weiß-blaue Herberge dient als Unterkunft für einen Teil der vielen Wallfahrer, die einmal im Jahr Erriadh überfluten. Fast pittoresk muten die barfüßigen älteren Männer an, die auf den Holzbänken beten oder sich mit Gleichgesinnten leise unterhalten.
Grundstein aus Jerusalemer Tempel
Der Grundstein der Synagoge La Ghriba stammt angeblich von einem Grundstein des zerstörten Tempels von Jerusalem. – Foto: Enric Boixadós
Das heutige jüdische Gotteshaus wurde 1920 auf den Überresten der ersten Synagoge gebaut, mit einem angeblich aus dem zerstörten Jerusalemer Tempel stammenden Grundstein. Zum Lag Baomer-Fest gedenken Juden ihres Aufstandes gegen die römische Besatzung. Der sogenannte Jüdische Krieg fand von 66 bis 70 nach Christus statt. Er begann als Rebellion der Juden in Palästina gegen die römische Herrschaft und endete als blutiger Bürgerkrieg in einer Katastrophe: Der Tempel von Jerusalem wurde vollkommen zerstört.
Jüdisches Handwerk auf Djerba: Der Färber. – Foto: Enric Boixadós
Ursprünglich wurde das Pilgerfest von den Juden in Tunesien und Libyen gefeiert. Heute kommen zu den zweitägigen Feierlichkeiten tunesische Juden, die in alle Welt ausgewandert sind und durch die Wallfahrt Gelegenheit haben, zu ihren Wurzeln zurückzukehren. Dabei ist die Insel Djerba bekannt dafür, Besucher unterschiedlichster Glaubensrichtungen willkommen zu heißen. Noch heute leben hier verschiedene religiöse Gemeinschaften friedlich zusammen.
Reiches jüdisches Handwerk
Lohneendes Ziel auf Djerba: Das Musee du Patrimoine. – Foto: Enric Boixadós
In Tunesien lebten bis Mitte des 20. Jahrhunderts ungefähr 100.000 Juden, heute sind es weniger als 20 Prozent davon. Es war die Goldschmiedekunst, die sie perfekt beherrschten, ein Handwerk, das sich immer wieder durch den Reichtum seines Repertoires aufgrund verschiedener Einflüsse auszeichnete. Die Liebe zum Detail machte Filigranarbeiten, Schnitzereien und Glasuren unverwechselbar.
Erriadh ist nicht nur Sitz der Synagoge sondern auch bekannt für seine fantasievollen Streetart-Graffitis. – Foto: Enric Boixadós
Diese feinen Arbeiten sind auch heute noch im Heritage Museum in Houmt Souk zu besichtigen. Auf Besonderheiten der lokalen hebräischen Kultur und der La Ghriba-Wallfahrt wird hier eingegangen.Ein typisch jüdisches Handwerk auf Djerba war die Färberei, wie es im interessanten „Musée de Patrimoine“ in Guellala gezeigt wird. Szenen verdeutlichen auch die Beschneidung von jüdischen Jungen am achten Tag nach der Geburt. Beide Museen liegen unweit von Erriadh und sind nach wenigen Auto-Kilometern zu erreichen.
Fantasievolles Djerbahood
Das Kulturprojekt Djerbahood begeistert mit zahlreichen Kunstwerken im öffentlichen Raum. – Foto: Enric Boixadós
Ein weiteres Highlight erlebt der kunstinteressierte Besucher unweit der Synagoge an den vielen Wänden und Hausmauern von Erriadh. Streetart-Künstler haben die Wände im Rahmen des Kunstprojektes „Djerbahood“ mit Graffiti besprüht und den Ort zu einer begehbaren Galerie gemacht. Gerade durch ihre Streetart-Projekte ist die Insel im Süden Tunesiens immer noch ein Geheimtipp und besonders für Kunst- und Kulturbegeisterte eine Reise wert. Auch während der kälteren Jahreszeit gibt es genug zu sehen und zu entdecken. Ein angenehmes Mittelmeer-Klima sorgt dafür, dass Djerba als ganzjähriges Reiseziel Besucher aus aller Welt anlockt.
Jüdische Beschneidung am 8. Tag nach der Geburt auf Djerba
Übrigens, das nächste Lag Baomer-Pilgerfest auf der tunesischen Insel Djerba beginnt am 26. Mai 2024.
Sabine Ludwig
ist deutsche Journalistin und Reiseautorin. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht und war als Kriegsberichterstatterin in Afghanistan, Südsudan, Irak und Mali. In ihrer Freizeit widmet sie sich neben diversen Sportarten ihrem Blog sl4lifestyle.com und ihrem Hund Brad. - Foto: Nicola Mesken
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