
Graffitis sind nicht jedermanns Sache. Wohl auch, weil sie oft als sinnbefreite Schmierereien an Hausfassaden, Brückenpfeilern oder Schallschutzmauern auftreten. Doch es gibt auch die andere Seite der Graffitis, die von vielen als Streetart geschätzt wird. Beispiele dafür sind etwa die international gefeierten Werke des britischen Guerilla-Künstlers Banksy. Auch in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf findet sich eine große, überaus aktive Streetart-Szene. Deren Aushängeschild ist die Kiefernstraße. Ein jäher Kontrast zum Prunk der Königsallee, der Vorzeigeflaniermeile der Rheinmetropole, oder zur Pracht des Medienhafens.
Über gerade einmal 380 Metern Länge erstreckt sich die Kiefernstraße im Stadtteil Flingern zwischen der Erkrather Straße und der Fichtenstraße. Dabei avanciert das durch ihre frühere Hausbesetzerszene bekannt gewordene Wohnareal zu einem Gesamtkunstwerk. Nahezu alle Eingänge und Fassaden sind künstlerisch mit Graffitis verziert.
Graffitis als Ausdruck der Kreativität

Zu sehen sind Comic- und Fantasie-Figuren, gigantische Drachen und kuriose Formen, aber auch kleine Seitenhiebe an die Obrigkeit wie ein Polizeiauto gepaart mit der Spießigkeit von Gartenzwergen oder ein Hund, der sich in Form eines AfD-Häufchens erleichtert. Egal ob politische Botschaft oder abstrakte Kunst – die beeindruckenden Graffitis entlang der Kiefernstraße sind Ausdruck der Kreativität und des freien Geistes der Bewohner.

In den 1980er Jahren stand die Straße nicht nur wegen der zahlreichen illegalen Hausbesetzer im Fokus, sondern wurde zudem immer auch mit der Terrororganisation RAF in Verbindung gebracht. All dies ist heute kaum mehr als eine Notiz in den Stadtannalen.
Alternativer Lebensstil

Viele unrechtmäßig okkupierte Wohnungen wandelten sich in geordnete Mietverhältnisse – oft mit den einstigen Besetzern als heutigen Mieter. So leben heute unweit des Düsseldorfer Amts- und Landgerichts gut 800 Bewohner aus fast vier Dutzend Nationen.

Geblieben ist die Vorliebe für einen alternativen Lebensstil, die auf besondere Art und Weise in den Graffitis zum Ausdruck kommt und die Kiefernstraße in eine riesige Freiluft-Galerie mit zahllosen famosen Blickfängen verwandelt.
Wandel zur Arbeitersiedlung

Lange befand sich die Kiefernstraße inmitten eines weitläufigen Industriegebiets, in dem vorwiegend Stahl gekocht wurde. Um die Wege der Arbeiter zu verkürzen, ließen die Klöckner-Werke zwischen den Jahren 1905 und 1910 eine Reihe von Arbeiterwohnungen entlang der Kiefernstraße errichten.

Diese Unterkünfte waren mit gerade einmal 15 Quadratmetern zuzüglich einer Wohnküche überschaubar groß. Die Toilette befand sich in der Regel zwischen zwei Etagen auf halber Höhe und wurden von mehreren Mietern genutzt. Mitte der 1970er Jahre stellte Klöckner im Zuge der Stahlkrise den Betrieb ein und die Wohnungen wurden von der Stadt Düsseldorf übernommen. Ab 1977 begann die Entmietung, obwohl bezahlbarer Wohnraum in Düsseldorf knapp war.
Demos, Hausbesetzungen und Razzias

Als in zu Beginn der 1980er Jahren bereits gut 100 der runtergekommenen Wohneinheiten leergezogen waren und abgerissen werden sollten, wurden mehr und mehr Wohnungen von Aktivisten besetzt. Es folgten Räumungsversuche und Demonstrationen, mit dem Ergebnis, dass ab 1981 erste Bewohner offizielle Mietverträge erhielten.

Keine zwölf Monate später machte die Stadt eine Rolle rückwärts und wollte die Häuserzeilen abreißen lassen, um Platz für ein neues Gewerbegebiet zu schaffen. Mit der Folge, dass es abermals zu Hausbesetzungen und Demonstrationen kam. 1984 beschloss die Politik schließlich die Abrisspläne endgültig zu verwerfen und stattdessen die Häuser an der Kiefernstraße sanieren zu lassen.
Kunstgenuss im Vorbeigehen

Im August 1986 wurde in Rüsselsheim das RAF-Mitglied Eva Haule zusammen mit zwei Bewohnern der Kiefernstraße von der Polizei in Gewahrsam genommen. Dies zog eine Großrazzia sowie über Monate weitere Polizeieinsätze nach sich, was der Kiefernstraße bundesweit mediale Aufmerksamkeit verschaffte. Die Kiefernstraße wurde zu einem Symbol des Widerstands und der alternativen Lebensweise.

Knapp zwei Jahrzehnte später wurden die ersten Häuser auf Initiative des Kulturbüros Kiefernstraße künstlerisch gestaltet. Mittlerweile sind nahezu alle Fassaden mit einem neuen, teils frechen wie bunten Aussehen verschönert und lassen den Straßenzug zu einem Hotspot für die Instagram-affine Generation avancieren. Und für die gibt es jede Menge auf den Digitalchip der Handykamera zu bannen. Denn die Kiefernstraße besticht durch seine einzigartige Mischung aus Kunst, Geschichte und multikulturellem Leben und ist ein Paradebeispiel dafür, wie urbaner Raum kreativ genutzt werden kann. Mehr unter www.kiefern.org.

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Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.