
Wer an die griechische Inselwelt denkt, hat nicht unbedingt Kefalonia auf dem Radar. Dabei punktet die größte der Ionischen Inseln mit spektakulären Buchten, hinreißenden Stränden, Naturwundern und viel Grün. Massentourismus und Bettenburgen findet man hier nicht.

Der Blick hinunter auf den Myrtos Beach raubt einem den Atem. Das türkisblaue Meer ist so kristallklar, dass die Boote in der Luft zu schweben scheinen. Sanfte Wellen umspülen den weißen Kieselstrand, der halbkreisförmig zwischen steilen Felswänden liegt. Die Sonne steht hoch am Himmel. Ihre im Wasser gebrochenen Strahlen werden von den schneeweißen Kieselsteinen reflektiert und schaffen ein faszinierendes Farbenspiel auf der Meeresoberfläche. Man kann fast nicht glauben, dass dieser Ort real ist. Der 800 Meter lange Myrtos im Nordwesten von Kefalonia zählt zu den spektakulärsten Stränden des Mittelmeeres und war 2001 Schauplatz einer Szene im Hollywood-Film „Captain Corellis Mandoline“ mit Penelope Cruz und Nicholas Cage. An der Küstenstraße nach Assos wurde eigens ein Viewpoint eingerichtet, denn die ganze Schönheit des Strandes erfasst man erst hier in 900 Metern Höhe.

Für noch mehr Atemraub sorgt ein paar serpentinenreiche Kilometer weiter das winzige Fischerdörfchen Assos. Mit seinen bunten Häusern, die sich in die zerklüfteten Hügel an der Hafenpromenade schmiegen und den unzähligen Oleanderbüschen könnte es ebenso gut an der italienischen Riviera liegen. Eine schmale Landbrücke verbindet das weniger als 100 Einwohner zählende Örtchen mit der gleichnamigen felsigen Halbinsel, auf deren höchstem Punkt eine gewaltige Burgruine thront. Sie ist ein Überbleibsel der Venezianer, die drei Jahrhunderte lang (1500-1797) auf der Insel herrschten.

Viel italienisches Flair versprüht Fiskárdo, Kefalonias nördlichster und malerischster Hafenort, der von dichten Wäldern umgeben ist. Das kleine Dorf mit seinen unverwechselbaren bunten Fensterläden ist vor allem bei italienischen Seglern sehr beliebt. An der langen Hafenmole, an der sich kleine Restaurants, Cafés und Souvenirläden aneinanderreihen, hört man im Sommer mehr Italienisch als Griechisch.
Magische Unterwelten

Die dünn besiedelte Insel geizt nicht mit Naturspektakeln. Eines der Faszinierendsten ist die über 150 Millionen Jahre alte Drogaráti-Tropfsteinhöhle bei Sami. Eine glitschige, moosbewachsene Treppe führt hinunter in den monumentalen Saal der Apotheose, wo unzählige gelbe und orangene Stalakiten und Stalagmiten in eine magische Welt entführen. Die Gebilde wecken reichlich Assoziationen – mit etwas Fantasie lassen sich Lebewesen, Körperteile und alle möglichen Dinge erkennen. Fast wäre die Höhle unentdeckt geblieben, hätte ein Erdbeben vor 300 Jahren nicht dazwischengefunkt und den Eingang freigelegt.
Sechs Kilometer weiter nördlich wartet das nächste Spektakel, der unterirdische See in der Melissáni-Höhle. Mit dem Ruderboot inklusive Fährmann geht es über das dunkelblau glitzernde Gewässer in die gewaltige Grotte der Nymphen. Wenn das Sonnenlicht durch das vor langer Zeit eingebrochene Deckengewölbe fällt, beginnt ein faszinierendes Licht- und Schattenspiel an den roten Höhlenwänden und auf dem See. Das Wasser verändert sich auf magische Weise von Tiefblau zu Türkis. Der Legende nach stürzte sich einst die Nymphe Melissáni aus Liebeskummer in den See. Schuld war Hirtengott Pan, der ihre Liebe nicht erwiderte.

Kefalonia ist reich an geologischen Denkmälern – es fiel der UNESCO nicht schwer, die Insel im April 2022 zusammen mit Ithaka zum „Globalen Geopark“ zu küren. Mehr über die faszinierende Geologie des Eilands erfährt man im multimedialen Zentrum des Geoparks im Inselhauptort Argostóli.
War Odysseus hier zuhause?

Am Rande des Dorfes Zanata bei Poros im Südosten führt eine gut befahrbare Schotterpiste zum „Mykenischen Königsgrab“ aus der Zeit um 1350 v. Chr. Entdeckt haben es Gerassimos Metaxas und seine holländische Frau Hettie. Schon lange sind sie davon überzeugt, dass nicht Ithaka, sondern Kefalonia die Insel und Poros der Heimathafen des Odysseus war. Mit Hilfe eines Hirten machten sie sich auf Suche nach dem Grab des antiken Superhelden und wurden 1991 fündig. Zu den Fundstücken der Ausgrabungen zwischen 1992-1994 gehört ein Siegelstein, der dem von Homer beschriebenen Familienwappen des Odysseus gleicht. Davon wollen die Bewohner der Nachbarinsel Itahka allerdings nichts wissen. Allein ihre Insel sei das Ithaka aus Homers Epos. Experten sind der Meinung, dass sich das die Heimatinsel des antiken Helden nicht bestimmen lasse, da sein Königreich alle Ionischen Inseln umfasste. Andererseits erkennt Odysseus nach seiner zehnjährigen Irrfahrt beim Einlaufen in den Heimathafen einen schwarzen Berg, der dem Enos auf Kefalonia gleicht.

Zum höchsten Berg der Insel führt eine serpentinenreiche Straße. Aus der Ferne wirkt der 1628 Meter hohe Enos recht düster. Das verdankt er der tiefdunklen Kefalonia-Tanne, die an seinen Hängen wächst und ihm ein fast schwarzes Aussehen verleiht. Die Venezianer nannten den Berg deshalb „Monte Negro“. Seine Gipfelregion wurde 1962 zum ersten Nationalparks Griechenlands ernannt. Beschilderte Wanderwege führen durch das 2.862 Hektar große Nationalparkgebiet, auf dessen höchstem Punkt ein gigantischer Ausblick über Kefalonia und die Nachbarinseln Ithaka, Lefkas und Zakynthos wartet.
Urbane Inselhauptstadt Argostóli

Nirgendwo auf dem Eiland ist man mehr als eine Autostunde vom Inselhauptort im Südwesten entfernt. Hier spielt sich das Leben in der quirligen Fußgängerzone Lithotstroto, am großen Hauptplatz Platía Valianou und auf der palmengesäumten Uferpromenade ab, die in südlicher Richtung zum farbenfrohen Obst- und Fischmarkt führt.
Am Vormittag, wenn die Fischer im Hafenbecken auf ihren Kuttern die Netze reinigen, tummeln sich Meeresschildkröten rings um die Boote. Sie gieren nach den Abfällen des täglichen Fangs, die die Fischer über Bord werfen. Das Wasser ist so klar, dass man die gepanzerten Schönheiten dabei beobachten kann, wie sie nach den fischigen Leckerlis schnappen.

Am südlichen Ende der Promenade befindet sich die De-Bosset-Brücke, die es 2018 als weltweit längste Meeresbrücke aus Stein ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft hat. Die knapp 700 Meter lange und sehr niedrige Brücke über die Bucht von Argostóli entstand 1813 und ist ein Werk des Schweizer Ingenieurs Charles de Bosset. Die Aussicht von der Brückenmitte auf Argostóli, das Meer und die Berge ist unschlagbar.
Halbinsel Palikí

Alle 30 Minuten fährt vom Fährhafen in Argostóli eine Fähre nach Lixouri, Kefalonias zweitgrößter Stadt, auf der langgestreckten Halbinsel Palikí. An der einsamen Westküste trifft man auf mehr Ziegen als Menschen, in der bergigen Landschaft im Norden laden abgelegene Buchten fernab des Strandrummels zum Baden ein.

Einer der schönsten Strände ist der kleine Fteri Beach, den man nur per Wassertaxi ab Zola oder zu Fuß erreichen kann. Letzteres erfordert gutes Schuhwerk und Trittsicherheit, denn der steile Pfad hinunter zum Strand führt durch eine wilde, weitgehend sich selbst überlassene Natur. Es geht durch ein ausgetrocknetes Flussbett, durch bewaldetes Gebiet, über Stock und Stein, Geröll und umgestürzte Bäume. Bunte Markierungen weisen den Weg, für Akustik sorgt Grillengezirpe und hin und wieder das Meckern einer Ziege.

Am Ende des mühsamen Weges wartet ein weißer Kieselstrand zwischen Steilklippen und Wasser, das türkisblauer nicht sein könnte. Die britische Zeitung „The Guardian“ wählte das Strandjuwel 2022 zu einem der schönsten Strände in Europa.

Weingut mit Wow-Effekt
„Paradiesisch, einfach paradiesisch“ ist das erste Adjektiv, das einem beim Betreten des Haritatos Weinguts in den Sinn kommt. Gefolgt von himmlisch, märchenhaft und idyllisch. Das ökologische Weingut bei Lixouri ist umgeben von Weinbergen, Olivenhainen und prächtigen Gärten, in denen es jede Menge schattige Sitzgelegenheiten gibt. Überall stehen größere und kleinere Skulpturen, Hunde und Katzen dösen unter Bäumen.

Das kleine Weingut befindet sich seit 1863 in der Familie Haritatos, Weinbau wurde jedoch nie hauptberuflich betrieben. Viele Familienmitglieder waren und sind Apotheker und Ärzte. Bis auf Ionna Haritatou (im Griechischen werden Nachnamen dem Geschlecht angepasst), die nach ihrem Jurastudium in den diplomatischen Dienst ging. Seit ihrer Pensionierung leitet sie das Weingut mit ihren beiden Brüdern. Zentrum des Anwesens bildet ein langgestrecktes Landhaus aus dem 19. Jahrhundert, nicht weit davon steht auf einer Anhöhe eine kleine mit Ikonen geschmückte Kapelle, in der die Familie Ostern und Hochzeiten feiert.

Weinbegeisterte sind jederzeit zu einer Kostprobe der roten, weißen und roséfarbenen Haritatos-Weine willkommen. Sitzt man erst einmal mit einem Glas kühlen Wein in der Hand unter einem der alten Bäume, möchte man sich von diesem kleinen Stück Paradies am liebsten nicht mehr wegbewegen.

Allgemeine Informationen: www.visitgreece.gr
Anreise: Direktflug mit Condor ab Frankfurt nach Argostóli
Tipp: Wandertouren und andere Aktivitäten werden auf der Website des Geoparks beschrieben.
Essen & Trinken: Oinops Weinbar in Argostolí, Leoforos Vergoti/Ecke Ithakis. Leckere griechische Klassiker, auch in der vegetarischen und veganen Variante. Täglich ab 17 Uhr.
Unterkunft: Hotel Mirabel im Zentrum von Argostolí. Zweckmäßige Zimmer, hervorragendes Frühstücksbuffet. Doppelzimmer ab 130 Euro.
Die Recherchereise wurde vom Tourismusverband Kefalonia unterstützt.

Cornelia Lohs
Die Journalistin und Reisebuchautorin lebt und schreibt in ihrer Heimatstadt Heidelberg, wenn sie nicht gerade irgendwo in der Welt unterwegs ist. Und das ist sie an über 100 Tagen im Jahr. Besonders angetan haben es ihr die nordischen Länder, Irland, Nord- und Lateinamerika.