Ba’ Game – Massenfußball auf den Orkney Inseln

„Das Spiel selbst ist eigentlich gar nicht so ungewöhnlich, eine Art Straßenrugby oder -football eben,“ erklärt der ehemalige deutsche Honorarkonsul, John Robertson, am Silvesterabend in seinem Haus am Ortsrand von Kirkwall, der Hauptstadt der Orkney Inseln. „Es sind mehr die Zahl der Teilnehmer, der Austragungsort und der etwas ungewöhnliche Spieltermin, die andernorts Staunen und Verwunderung auslösen.“ The Ba‘ Game, was schlicht und ausgesprochen harmlos das Ballspiel bedeutet, wird nämlich meist von etwa 200 Spielern, aufgeteilt in die Mannschaften der Ober- und der Unterstadt (Uppies oder Up-the-gates und Doonies oder Down-the -gates), auf den Straßen Kirkwalls gespielt. Und zwar einmal am ersten Weihnachjtstag und dann noch einmal am Neujahr. So haben beide Teams in recht kurzem Zeitabstand die Gelegenheit, Sieg und Ruhm zu erringen.

The Ba‘, der Ball, das Objekt der Begierde also, sieht aus wie ein traditioneller, braun-schwarzer Lederfußball, bringt allerdings gut 1,5 Kilogramm auf die Waage. „Die Anfertigung des Ba ist recht aufwändig und teuer. Er muss sorgfältig mit Korkgranulat gestopft und anschließend sauber vernäht werden, denn eine sanfte Behandlung erfährt das Sportgerät während des Spiels nicht.“ John, als Vorsitzender des Ba‘ Komitees, welches sich aus Vertretern der jeweiligen Mannschaften zusammensetzt und die organisatorische Verantwortung inne hat, präsentiert stolz die schwere, eher unhandliche Lederkugel, mit der am nächsten Tag gespielt werden wird. Darüber hinaus besitzt er auch einige historische Bälle aus den vergangenen beiden Jahrhunderten, in denen nachweislich dieser kuriose Sport betrieben wurde. Diese wirken leicht verknautscht, sind jedoch noch voll intakt.

Für den Boys´Ba , das Spiel der Jungen bis etwa 16 Jahre, wird ein etwas kleinerer, jedoch ebenso fester und stabiler Ball verwendet. Ihr Spiel beginnt drei Stunden vor dem Hauptmatch der Männer. Ziel des Spiels ist es nicht etwa, den Ball im gegnerischen Tor unter zu bringen, sondern ihn vielmehr in den eigenen Hoheitsbereich zu bugsieren. Dieser befindet sich für die Uppies am Ortsausgang, für die Doonies am bzw. im Hafen. Der Einwurf erfolgt traditionell in der Ortsmitte am Market Cross, zu Füßen der imposanten Kathedrale von Kirkwall. Zum Schutz ihres Eigentums haben Anwohner vorsorglich ihre Fenster verbarrikadiert, Zäune schützen die Schaufenster der Geschäfte entlang der Spielstrecke, wovon die Löcher der Befestigungsbolzen in der Fassade während des ganzen Jahres zeugen.

Kurz vor 10 Uhr am Neujahrsmorgen treffen die beiden Jugendmannschaften zusammen und bauen sich vor dem Anwurfpunkt auf, der bereits von einer großen Anzahl Zuschauer gesäumt ist. Weder Trikots noch andere Erkennungsmerkmale kennzeichnen die Teams. Es stehen einfach die beiden rivalisierenden Gruppen nebeneinander, gekleidet im üblichen Freizeitstaat. Hier kennt wohl jeder jeden und weiß, wer zu welchem Team gehört. Denn man kommt bereits als Uppie oder Doonie auf die Welt, abhängig von der Lage des Geburtshauses näher zum Wasser oder zum Landesinneren. Zugereiste, die mit dem Schiff nach Orkney gelangen, treten automatisch in den Stand der Doonies, Anreisende mit dem Flugzeug in den der Uppies – und man bleibt es ein Leben lang.

Das große Gemurmel, die gespannte Unruhe ebbt ab, je mehr sich der Zeiger der Turmuhr der vollen Stunde nähert. Schlag 10 herrscht atemlose Stille, der Einwurf des Ba erfolgt durch einen ausgewählten Repräsentanten, doch sobald die Lederkugel durch die Luft fliegt bricht großes Gejohle aus. Ein schier undurchdringliches Durcheinander an Kommandos und Anweisungen Außenstehender wie Spieler erfüllt explosionsartig die Luft. Die Kugel verschwindet zwischen ausgestreckten Armen und Händen unversehens in der Menge und ward nicht mehr gesehen. Meist taucht sie für das Publikum erst wieder auf, wenn eine der Mannschaften erfolgreich im Ziel angelangt ist. Nun folgt ein kaum zu beschreibendes Geschiebe von Menschen und Körpern, die sich eng zusammen gequetscht um den Ba gruppiert haben. Für Momente steht alles still im Zentrum der Bewegung, dann wieder werden schnell mehrere Meter zurück gelegt. Der Ball bleibt unsichtbar, man kann nur vermuten, wo er sich gerade befindet. Die Masse schwappt und wabert umher, Zuschauer weichen zurück, um nicht mitgerissen zu werden.

„Mit unfairen Mitteln wird nicht gekämpft, obwohl es keinerlei Regeln im Spiel gibt.“ John Robertson lächelt angesichts des Bildes, das sich ihm und den Umstehenden bietet. Tendenziell treibt die Menge der Jungen zäh, aber stetig in Richtung Victoria Road, in Richtung des Tores der Uppies. Kleine Nebelwölkchen aufsteigenden Schweißes liegen über der kämpfenden Menge. Erstaunlich angesichts der eher frostigen Außentemperaturen. „Niemand wird absichtlich verletzt. Man schiebt und drückt, versucht den Ball abzuschirmen und gleichzeitig voran zu treiben. Sollte jemand einen Schwächeanfall erleiden, wird er aus dem Kern des Geschehens heraus genommen und nach hinten durchgegeben.“ Augenzwinkernd berichtet er von dem einmaligen Ereignis in den 40er Jahren, als es ein Ladies Ba‘ gab. Die Damen jedoch, offenbar von übermäßigem Ehrgeiz getrieben, schafften es nicht die ungeschriebenen Regeln einzuhalten. Da wurde gebissen und geboxt, es ging derart unfair zur Sache, dass man sich eiligst gegen eine Fortsetzung des Damenspiels entschied. Und dass der Legende nach die Wikinger, denen die archaischen Ursprünge des Spieles zugeschrieben werden, einst mit Feindesköpfen zu spielen pflegten, hält Mr. Robertson schlicht für Unfug.Nach knapp zwei Stunden haben die Boys ihren Sieger ermittelt, wieder – wie schon in den Vorjahren – gewinnen die Uppies verschwitzt, entkräftet aber glücklich das Match.

„Nicht immer geht es auf dem direkten Weg ins Ziel,“ erläutert John in der Pause bevor das Spiel der Männer beginnt. „Manchmal führt der Spielverlauf über Dächer, durch Hinterhöfe und Gärten, durch die allerschmalsten Gassen.“ In denen dann schon mal eine Mauer bedenklich ins Wanken gerät, wie Chronisten berichten. Auch Häuser wurden schon mal zum Entsetzen der Bewohner mit der Lederkugel durchquert. „Dies sind jedoch Ausnahmen. Meist gelingt es nicht auch nur einen Meter unbehelligt mit dem Ball zurück zu legen.“ Taktische Spielzüge sind kaum möglich, Verwirrung lässt sich indes schaffen, indem ein Nebenschauplatz kreiert wird und es plötzlich den Anschein hat, als ob zwei Bälle im Spiel wären. Derartige Ablenkungsmänover können einem Team entscheidende Vorteile verschaffen.

Gongschlag 13 Uhr fliegt wieder ein lederner Ba in die begehrlich wartende Menge gestandener Mannsbilder. Und verschwindet wie zuvor bei den Jugendlichen. Die Bilder gleichen sich, wenngleich die Rufe der Männer wesentlich kerniger ausfallen und die berechtigte Vermutung nahe liegt, dass hier etwas robuster zur Sache gegangen wird. Schnell sind erste Schweißwolken sichtbar, ohne große Rücksicht drängen die Spieler gefährlich nah ans Publikum, das erschrocken ob der plötzlichen Nähe zum aktiven Spielgeschehen zur Seite weicht.

Die Spielermeute kämpft verbissen um jeden Meter, tendenziell jedoch haben erneut die Uppies das etwas stärkere Team. Dennoch dauert es gut fünf Stunden, längst ist die Dunkelheit über die Hauptstadt der Orkneys hereingebrochen, bis letztlich ein strahlender Sieger aus den Reihen der Uppies den Lederball stolz in die Höhe reckt. Es ist derjenige, der die Kugel beim Passieren der Zielmarkierung in Händen hält. Und er darf sie zudem als Trophäe für den heimischen Kaminsims behalten. Gewinnen die Doonies das Spiel wird es für den siegreichen Spieler ungleich ungemütlicher, denn er muss ihn zunächst ins garantiert kalte Hafenbecken befördern und dann auch wieder herausholen. Später in den Pubs des Ortes wird heftig über den einmal mehr spannenden und unterhaltsamen Spielverlauf dieser kuriosen Sportart debattiert.

Weitere Information unter www.visitorkney.com

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Anreise: Das Archipel der Orkney Inseln liegt wenige Meilen nördlich des schottischen Festlandes. Fähren sorgen für die Verbindung zwischen den bewohnten Inseln sowie dem Mainland. Schneller geht es mit dem Flugzeug von Edinburgh oder Aberdeen aus. Hier hat FlyBe die Routen der ehemaligen British Airways Tochter Loganair übernommen. iNformationen unter
www.flybe.com.

Unterkunft: Einige Hotels haben zum Jahreswechsel geöffnet. Sehr empfehlenswert das West End Hotel an der Main Street, das direkt am Spielfeld liegt, wenn die Uppies Oberhand gewinnen.

Klima: Da die Orkney Inseln recht ungeschützt den Unbilden des Nordatlantik ausgesetzt sind, kann das Wetter um Neujahr durchaus einmal äußerst ungemütlich bei nicht allzu hohen Temperaturen werden. Trotzdem bietet die Sonne ein spektakuläres Licht und des Nachts können Nordlichter beobachtet werden.

Aktivitäten:  Warme Kleidung ist sinnvoll beim Zuschauen des Ba‘ Game, da das Spiel mehrere Stunden dauern kann. Und nicht zu nah ans Spielgeschehen herangehen, da plötzliche Wendungen im Spiel möglich sind und die Teams ihre Umgebung nicht wahrnehmen. An Silvester wird am Market Square gefeiert, mit Auld Lang Syne, Dudelsack und zahlreichen Pints oder Highland Park Whisky. Die historischen Stätten der Inseln, wie Steinkreise und Steinsetzungen, können auf Wanderungen oder bei Ausflügen mit dem Mietauto besichtigt werden.

Buchtipps: Ulrike Katrin Peters, Karsten-Thilo Raab: Britannia Kuriosa, Westflügel Verlag, ISBN 978-3-939408-08-8, Preis 14,90 Euro. Erhältlich ist der Titel im Buchhandel oder direkt beim Verlag.

Ulrike Katrin Peters & Karsten-Thilo Raab: Oh, diese Briten, Conrad-Stein-Verlag, ISBN 978-3-86686-800-7. Das Buch ist im Buchhandel oder auch direkt beim Verlag erhältlich.

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