Sommerkarneval im dänischen Aalborg

Während die Jecken Mitteleuropas ihren Fastnachts- und Faschingsbräuchen zur Vertreibung der kalten Jahreszeit zumeist bei frostigen Witterungsbedingungen zum Ende des Februar nachgehen, halten unsere nördlichen Nachbarn noch ihren wohlverdienten Winterschlaf. Sie warten mit ihren Brauchtumsvariationen bis zum Frühsommer, so wie im dänischen Aalborg, im Norden Jütlands.

„Unser Karneval ist noch recht jung und gut formbar. Wir haben nicht so strenge Regeln, keine gewachsenen Strukturen, keine starre Ordnung, die es zu beachten gilt,“ erklärt Klaus Bystrup, Organisator und Mädchen für alles im Aalborger Karneval, der 2012 dann doch schon zum 30. Male gefeiert wird. Längere Sätze sind ihm kaum zu entlocken, denn das permanente Klingeln seiner Mobiltelefone ist einer längeren Unterhaltung doch eher abträglich. „Wir haben uns angesehen, was Ihr in Deutschland so treibt, und auch, was in London oder Kopenhagen abgeht, daraus unsere Schlüsse gezogen und eine ganz eigenständige Veranstaltung geformt, den größten Karneval Nordeuropas. Und das mit Erfolg!“

Klaus blinzelt stolz in die Runde, sein Telefon schrillt. In der Tat kann sich sehen lassen, was er mit seinem kleinen, aber effektiven Team zwischenzeitlich auf die Beine gestellt hat. Das Knüpfen von Kontakten zu Karnevalsvereinen aus der ganzen Welt, die aus Spaß an der Freude und am Karneval nach Dänemark kommen, stellt dabei nur einen Teilaspekt dar. Dieser jedoch macht die Veranstaltung zu einem echten, internationalen Event, welches auch den kühlen Dänen ordentlich einheizt.

Freitag Nachmittag. Warme Strahlen der Maisonne überfluten Obels Plads im Herzen Aalborgs mit ihrem goldenen Licht. Die Terrassen der Restaurants und des Brauereiausschanks von Søgaards Mikrobryggeri sind zum Bersten gefüllt, als die ersten Vorboten des abendlichen Karnevalsumzuges auftauchen. Junge Damen, die flugs ihre Alltagsgarderobe mit grellbunten, oft knappen Kostümierungen tauschen, Gauklertruppen, die ihre Vorführungen zum x-ten Male einstudieren, Musikkapellen, die ihre Instrumente stimmen und zaghaft erste Takte ihrer Vorträge spielen. Im Stimmengewirr vernimmt, wer genau zuhört, karibisches Englisch, niederländisch, französisch und diverse skandinavische Intonationen. Immer mehr Zuschauer finden sich ein, beobachten das wuselig-chaotische Vorspiel eines spektakulären Umzuges.

In einer Ecke bastelt ein rastagelockter Jamaikaner seelenruhig an einer überdimensionalen Krinoline, die später zu den spektakulärsten und prunkvollsten Outfits gehören wird. Um ihn herum wird das Gedränge, wird der fröhliche Lärm immer größer. Pappmaché-Köpfe ragen aus dem Trubel heraus, Masken und farbenprächtige Federboas wirbeln scheinbar ziellos umher. Ein lustiges Gedränge, ein friedvolles Durcheinander aus Zugteilnehmern, Zuschauern und Ordnungskräften, in dem schon so mancher Tropfen durch die Kehlen rinnt. Dann endlich geht es los, die Glocken von St.Budolfi schlagen sechs und entladen die atmosphärische Hochspannung, die den ganzen Platz elektrisierte. Die Gruppen haben ihre vorgesehene Ordnung gefunden, der Umzug setzt sich in Bewegung.

Über die Flaniermeile Boulevarden zieht die bunte Gesellschaft quer durch die Stadt zum Kildeparken, wo später auf der Bühne im Park weitere Veranstaltungen, Tanz- und Sängerwettbewerbe stattfinden. Gesäumt von zahlreichen Zuschauern, die das ungewohnte Treiben mit Neugierde, wenn auch zuweilen etwas verständnislos, beobachten, präsentieren die Tanzgruppen ihre Show. Wilde Sambarhythmen hallen über den Boulevard, während hüftenschwingende, leicht bekleidete Weiblichkeit und manchmal auch Männlichkeit ihre Choreografien darbieten.

Lärm, Lust und Tanzfreude erreichen beim Zug um die Häuserblöcke beinahe brasilianisches Niveau, der Funke springt bald über ins Publikum, das nach zögerlichem Beginn mit verhaltenem Beifall fast schon in skandinavisch-frenetischen Jubel verfällt. Musik-Combos und Tänzer treffen sich im Anschluss an den Umzug auf der Bühne wieder, um mit einem Kurzprogramm um die Gunst und den wohlwollenden Applaus der zahlreichen Zuhörer und Zuschauer zu werben, die bis tief in die Nacht den Park in eine fröhliche Partyzone verwandeln.

„Der Samstag, die Grande Parade, übertrifft das alles bei weitem!“ Am späten Abend ist Klaus Bystrup sichtlich erschöpft, aber auch erleichtert über den gelungen Verlauf des ersten Tages. Und er soll Recht behalten. Was am dänischen Karnevalssamstag, also am letzten Maiwochenende, passiert, mag niemand glauben, der nicht selbst dabei gewesen ist. Als offizieller Startplatz der Parade ist nun der Honnørkai gegenüber des Aalborghus Schlosses ausgewählt worden. Sternförmig kommen aus verschiedenen Teilen der Stadt kleine Gruppen, die sich zum Teil aus den Akteuren des vorhergehenden Tages zusammensetzen, hierher, um dann gemeinsam loszugehen.

Mit dem Eintreffen der Karnevalsqueen, einer TV-Schönheit, und ihrer Adjutanz, die vom Bürgermeister für diesen einen Tag den Schlüssel zur Stadt ausgehändigt bekommen, wird die Grande Parade eingeläutet. Die Damen führen im rosa Cadillac die große Parade an, Tanz- und Folkloregruppen folgen im freudigen Rhythmus. Wie ein gigantischer Bienenschwarm tauchen urplötzlich aus allen Ecken weitere, gut gelaunte Kostümierte auf, die sich zwanglos einreihen. Gekleidet frei nach dem Motto: erlaubt ist, was gefällt. Clowns und Soldaten, Punks und Piraten, Hexen, Feen und Showgirls geben ihr Stelldichein. Wichtigstes Kleidungsstück: ein Behältnis mit vorzugsweise hochprozentigem Inhalt, denn bereits nach wenigen hundert Metern des Weges schwanken einige Teilnehmer ganz erheblich.

Nur mühsam bewegt sich die Karawane jetzt vorwärts, längst ist die Grenze zwischen Teilnehmern und Publikum verschwunden. Man folgt einfach dem Tross, der einfach nicht enden will und so mehrere Stunden dauert, tanzt, singt und grölt ausgelassen, lässt die Ghettoblaster von einigen, wenigen improvisierten Karnevalswagen dröhnen. Die Atmosphäre, das ganze Ambiente weckt Erinnerungen an Bilder ausgelassener Straßenfeste wie der Love Parade. Wieder endet der Umzug mit einer riesigen Party im Park, mit skurrilen Bühnenshows und einem abschließenden, mitternächtlichen Feuerwerk, dass die Dächer der viertgrößten Stadt Dänemarks kunstvoll illuminiert. Das Bemerkenswerteste jedoch ist: es bleibt trotz ausgiebigen Alkoholkonsums eine durch und durch friedliche Veranstaltung.

Informationen: Visit Denmark, Postfach 101329, 20008 Hamburg, Tel.040/320210, Fax.040/32021111, www.visitdenmark.com

Aalborg Turist Bureau, Østerågade 8, DK-9000 Aalborg, Tel. 0045/99306090, www.visitaalborg.com

Termin: Der Karneval in Aalborg findet  vom 19.-26. Mai statt, dieses Jahr unter dem Thema Karnevals neue Kleider; Kinder-Karneval am 19.5., Battle of Carnival Bands am 25.5., Grande Parade unter dem Motto Karneval der Kilder mit anschließender Party im Kildepark am 26. Mai. Mehr unter http://aalborgkarneval.dk

Unterkünfte gibt es in allen Qualitäten und Preislagen von Camping bis 5-Sterne-Hotel. Besonders empfehlenswert, weil günstig am Kildeparken und an der Bahnstation gelegen, das Hotel Het Hvide Hus, www.hotelhvidehus.dk

Anreise mit dem PKW über die Autobahn E45, von Flensburg etwa 3 Stunden Fahrtzeit. Bequem auch mit dem Zug, hier gibt es direkte Verbindungen von Hamburg aus, evt. ist ein Umsteigen in Fredericia notwendig.

Tipp: Neben dem Karneval hat Aalborg natürlich noch vieles mehr zu bieten: von der urigen Kneipenmeile Jomfru Ane Gade über die feine Hausbrauerei Søgaard am Obels Plads, den Eisbrecher Elbjørn bis hin zu den Ruinen des ungewöhnlichen Franziskanerklosters, die nur per Aufzug in der Fußgängerzone zu erreichen sind. 

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