Graz, Porto, Prag, Weimar, Brüssel, um nur einige zu nennen. Was haben all diese Städte gemeinsam? Sie waren Europäische Kulturhauptstadt. Und nun denken wir an Chemnitz. Ja wirklich, Chemnitz! Da mag so mancher sicherlich erst einmal verwundert sein: Wie bitte? Aber in der Tat – die Stadt wird Europäische Kulturhauptstadt 2025. Gemeinsam mit dem italienischen Gorizia und dem slowenischen Nova Gorica.
So wird der 18. Januar ein ganz besonderes Datum in der Geschichte der Stadt. Eine Uhr am Rathaus zählt die Tage. Für Oberbürgermeister Sven Schulze ist die Kulturhauptstadt vor allem „eine Investition in die Zukunft dieser Stadt“. Natürlich sei es teuer, aber das Geld werde doch zu einem beträchtlichen Teil in Infrastruktur investiert. Diese bleibe über das Jahr 2025 für die Bürger erhalten. Der Stadtobere hofft auf viele Touristen, die dann vielleicht auch das auf dem Kaßberg gelegene größte Gründerzeitviertel Deutschlands bewundern.
Großflächige Kulturhauptstadtregion
Schulze ist jedoch nicht der einzige Bürgermeister der Region, der sich über die erhoffte Aufmerksamkeit durch das Projekt freut. Schließlich war seine Stadt Anfang des 20. Jahrhunderts eine der reichsten Städte Deutschlands Lokomotiven von Richard Hartmann, dampften durch die Welt, Webstühle von Louis Ferdinand Schönherr summten überall, man trug Stümpfe und Trikotagen von Herbert Eugen Esche und viele weitere Industriebetriebe sorgten für Wohlstand. Letzter ließ sich und seine Familie sogar von Edvard Munch malen und seine Villa, die heute Museum ist, stammt von Henry van de Velde. Es war eine glanzvolle Zeit für die Stadt.
Die Kulturhauptstadtregion reicht jedoch über die Stadtgrenze hinaus. Von Chemnitz bis Zwickau und hinauf ins Erzgebirge. Eine Gegend geprägt von Industrie, Automobilbau, Musik und Bergbau und nicht zuletzt von Schwibbögen. Letztere sind in der Vorweihnachtszeit so etwas wie das Markenzeichen der Region.
Vom Trabant zum Volkswagen
Aber eben auch das Automobil spielte eine große Rolle. Beziehungsweise spielt es sogar noch. Baut doch in der Nähe von Zwickau, dort wo eins der Trabant vom Band lief, VW immer noch Autos. Angesichts der Krise bei VW stellt sich dort die bange Frage: Wie lange noch? Aber das ist ein anderes Thema. Tragisch wäre der Verlust allemal. Auch aus Traditionsgründen. Gründete doch August Horch 1904 in Zwickau sein Werk. Edle Automobile verließen über die Jahre das Werk. Kaiser Wilhelm II, Max Schmeling, Prinz Ludwig von Bayern, selbst der Sultan von Java und viele andere, die sich die damals schon sehr, sehr teuren Automobile leisten konnten, ließen sich damit chauffieren.
Einige dieser Mobile sind im sehr gut gestalteten Zwickauer Horch-Museum zu besichtigen. Dort geht es natürlich auch um die anderen zu den vier Ringen gehörenden Marken Wanderer, DKW und Audi. Fast 200 Autos lassen sich bewundern und ein Stück deutscher Automobilgeschichte in Erinnerung rufen. „Die Idee allein genügt nicht, es bedarf auch der Tatkraft, sie zu verwirklichen“, sagte einst Horch. Viele Tatkräftige kann man in der Region begegnen.
Auf Schumanns Spuren
So hätte sicherlich auch der Komponist Robert Schumann zu den Kunden von Horch gehört. Zu seiner Zeit, Anfang des 19. Jahrhunderts, war aber gerade mal die Eisenbahn auf dem Vormarsch. Sein Geburtshaus in Zwickau ist nun auch einer der Hotspots des Kulturhauptstadtjahres. Und wenn man Schumann glauben kann, ist komponieren ganz einfach: „Um zu komponieren, braucht man sich nur an eine Melodie zu erinnern, die noch niemandem eingefallen ist.“ Zwickau ist ansonsten nicht unbedingt ein touristisches Muss. Lediglich die Priesterhäuser am Dom sind noch sehenswert. Stammen sie doch aus dem 15. Jahrhundert und sind somit das älteste Bauensemble Sachsens.
So landen wir bei der nächsten Station in Limbach-Oberfrohna, wo ein anderer Tatkräftiger seine Spuren hinterlassen hat. Heinrich Mauersberger entwickelte hier in den 50iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Nähwirktechnik MALIMO, welche heute weltweit Anwendung findet. In Limbach-Oberfrohna war übrigens auch eine der Strumpffabriken des bereits erwähnten Herbert Eugen Esche. Einer seiner Vorfahren, Johann Esche, legte im 18. Jahrhundert den Grundstein für die Textilherstellung im Ort. Im Museum lassen sich noch funktionsfähige Webstühle besichtigen. Bis zu 500 Strumpffabriken und Stoffhandschuhproduktionen waren es dereinst. Um 1900 war Limbach-Oberfrohna gar Welthauptstadt des Handschuhs.
Über Kunst lässt sich nicht streiten
Apropos Handschuhe – denen kann man auch in Schneeberg noch einmal begegnen. Oder sollte man vielleicht besser sagen gerade noch. Findet sich doch im Ort eine der letzten Lederhandschuhmanufakturen Deutschlands. Gerade einmal fünf gibt es noch. Und da es kein Lehrberuf ist, sieht die Zukunft dieses Handwerks nicht gerade rosig aus. Immerhin hat Nils Bergauer, dessen Familie seit Generationen Handschuhe auf Maß fertigt, einen jungen Mann gefunden, dem er seine Kunst weitergeben kann. In früheren Zeiten hätte sich Bergauer wohl Hoflieferant nennen können. Angela Merkel und Michael Kretschmar wärmen ihre Hände mit seinen Handschuhen.
In Schneeberg neben der imposanten Kirche mit einem Cranach-Altar findet sich auch eine Skulptur des anlässlich des Kulturhauptstadtjahres eingerichteten Purple Path genannten Kunst- und Skulpturenwegs. Unsere Gruppe stand allerdings vor dem Werk, welche aufgestapelte Münzen zeigen soll, etwas ungläubig. Manchen erinnerte es eher an aufgestapelte Gewichte aus dem Fitnessstudio. Nun ja, Kunst eben.
Vielseitige Museumslandschaft
Noch heftiger ist es indes im Museum für sächsische Fahrzeuge in Chemnitz, welches in einer der ersten Hochgaragen Deutschlands untergebracht ist. In einem Fahrstuhl, der einst Autos beförderte, steht ein Metallregal. Auf einer Seite mit ordentlich und geputzt hingelegten Ersatzteilen, die andere Seite eher so wie man es in einer Autowerkstatt erwartet. Niemand aus unserer Gruppe kam zunächst darauf, dass es sich um ein Kunstwerk handeln könnte. Egal. Das Museum ist allemal sehenswert. Ebenso wie das Industriemuseum Chemnitz.
Zum Schluss dieser kleinen Tour durch die Kulturhauptstadtregion Chemnitz 2025 geht es noch unter die Erde. Gehört oder besser gehörte doch der Bergbau (Uran, Silber, Zinn) zur DNA der Region. In Ehrenfriedersdorf kann man in einen Stollen fast 120 Meter tief einfahren und die Schwere der Arbeit erleben, welche die Kumpel dort einst leisteten. Auch hier gibt es ein Kunstwerk des Purple Path. Es zeigt Wildschweine, die der Legende nach einst das Zinn an der Oberfläche freigelegt haben. Genutzt werden die Stollen heutzutage jedoch nicht nur für Touristen. Eine Bäckerei lagert dort unten Stollengebäck zum Reifen.
Vieles lässt sich in der Region noch entdecken. Etwa die Silbermannorgel im benachbarten Freiberg oder eine Fahrt über die tschechische Grenze nach Jachymov/Joachimsthal, wo aus dem dort geförderten Silber der Joachimsthaler geprägt wurde, der über seine Abkürzung Taler später zum Dollar wurde. Nicht zuletzt bietet Chemnitz den Nischel. Aber das ist noch eine ganz andere Geschichte, die sich nicht nur 2025 erkunden lässt…
Informationen: www.chemnitz2025.de und www.sachsen-tourismus.de
Die Recherche fand auf Einladung / mit Unterstützung von Sachsen Tourismus und Chemnitz 2025 statt.
Honza Klein
Der Berliner hat für diverse Radiosender gearbeitet, war viele Jahre Redakteur bei der Berliner Morgenpost, hat an Büchern über Berlin mitgearbeitet und ist u.a. Autor für die Super Illu und Gastgeber einer Talksendung bei TV Berlin.