Drei Thomas Mann Jubiläen auf einmal: 100 Jahre „Zauberberg“ (2024), 95 Jahre Literatur-Nobelpreis (2025) und Manns 150. Geburtstag (2025). – Foto: Sabine Ludwig
Kostbar wie einen Schatz trägt Paulo Bernardi das Silbertablett. Darauf liegen zwei Bände der Erstausgabe von Thomas Manns bekanntesten Werk „Der Zauberberg“. Seine Hände stecken in weißen Handschuhen. Fast zärtlich streicht der Hoteldirektor über die Buchrücken und sucht dann nach einem Literaturzitat in dem über 1000-Seiten Werk. Die Gäste des im klassischen Jugendstil erbauten Berghotels Schatzalp sind wegen dem 100-jährigen Jubiläum des Buches angereist. Die Aura des im Jahr 1900 errichteten früheren Sanatoriums erlaubt ihnen, sich in Manns Epoche perfekt hineinzuversetzen. Mit Hingabe, gar mit Demut, betrachten sie die antiquierten Bücher. Über den gezahlten Auktionspreis bewahrt Bernardi Stillschweigen.
Zurück im Jahre 1912
Ein Krankenzimmer von einst im Waldhotel. – Foto: Sabine Ludwig
Der Schriftsteller Thomas Mann reist im Sommer 1912 für drei Wochen ins schweizerische Davos, um seine an Tuberkulose erkrankte Frau Katia zu besuchen. Sie logiert unterhalb der Schatzalp im Waldsanatorium, heute das „Waldhotel“. „Viele Gäste kommen mit Erinnerungen oder Anekdoten aus dem Buch zu mir“, sagt Hotel-Chefin Marietta Zürcher und deutet auf die Türe von Zimmer 307, ehemals Katia Manns Krankenstube. Heute können sie ihre Gäste buchen, einschließlich der Original-Liege auf dem Balkon. Manns Frau logierte in diesem Zimmer sechs Monate, während Gatte Thomas gegenüber in der Villa am Stein wohnte. Geschuldet war die Trennung einer möglichen Infektionsgefahr, der sich der Schriftsteller nicht aussetzen wollte und daher ein Quartier in Sichtweite vorzog. „Gemeinsam lief das Ehepaar hoch zur Schatzalp, den Ort, der Mann schließlich zu seinem Jahrhundert-Roman inspirierte“, sagt Zürcher.
Schatzalp-Hoteldirektor Paulo Bernardi ist stolz auf die Erstausgabe vom „Zauberberg“. – Foto: Sabine Ludwig
Bequemer geht es mit der steilen Bergbahn hinauf. Heute ist das historische Hotel in die Jahre gekommen, hat aber nichts von seinem Flair eingebüßt. „Eröffnet wurde die Schatzalp kurz vor Weihnachten 1900 als Kurklinik, 53 Jahre später wurde das Gebäude zum Hotel“, sagt Bernardi und deutet von einem der Balkone aus hinüber ins Tal nach Monstein. Dort, im Kurhaus und jetzigen Hotel Ducan, soll einst Manns zentrale Romanfigur Hans Castorp übernachtet haben. Der idyllische Bergort schien den Schriftsteller so zu inspirieren, dass er seinen Protagonisten dort wandern und die Alpenküche genießen ließ. „Genau dokumentiert ist das aber nicht“, sagt Benjamin Schiblé, Pächter des Ducan. Monstein beherbergt darüber hinaus die höchstgelegene Brauerei Europas. In einem über 100 Jahre alten Gebäude auf 1620 Metern Höhe wird seit 1999 Bier gebraut. Mittlerweile ist das Monsteiner Bier weit über die Grenzen von Davos hinaus bekannt.
Hollywood im Berghotel
Die Schatzalp ist nicht für Literaturfreunde eine Legende. – Foto: Sabine Ludwig
„Durch die Lektüre des „Zauberberges“ entdecke ich das Hotel ständig neu“, ergänzt Bernardi. Auch sorgt das Haus immer wieder für Aha-Erlebnisse bei unseren Besuchern. Viele sind Stammgäste und kommen sowohl im Sommer wie auch im Winter.“ Der Altersdurchschnitt bei der dritten Generation liege bei rund 40 Jahren. Doch käme seit langer Zeit immer noch eine 92-jährige Dame als ältester Gast zum Jahresurlaub.
Die Schatzalp diente immer wieder auch als Filmkulisse. – Foto: Sabine Ludwig
Da „Der Zauberberg“ in 27 Sprachen übersetzt wurde, kommen auch Touristen aus Japan und Korea. Jüngeren Leuten sei die Schatzalp durch die Serie „Davos 1917“ bekannt. „Gedreht wurde hier im schneereichen Januar 2023 an nur fünf Tagen, von frühmorgens bis tief in die Nacht“, erinnert sich Bernardi. Der gesamte Hotelbetrieb wurde während der Dreharbeiten eingestellt. Anders sei es dagegen 2014 bei der Filmproduktion zu „Ewiger Jugend“ mit den Kino-Legenden Jane Fonda, Michael Caine und Harvey Keitel gewesen. „Der Betrieb unseres Hotels ging weiter, obwohl es ziemlich chaotisch war.“
Kaiserlicher Glanz
Erholung an der frischen Bergluft nimmt bis heute großen Raum ein. – Foto: Sabine Ludwig
Tatsächlich hatte auch Kaiser Wilhelm zwischen 1906 und 1918 drei Zimmer im Bergsanatorium für sich und seine Familienangehörigen reserviert. Im Krankheitsfalle wollte er sich gut aufgehoben wissen. Dafür wurden Bäder an die Zimmer angebaut. „Er kam jedoch nie“, ergänzt Bernardi.
Gärtner aus Leidenschaft: Fabian Reppel. – Foto: Sabine Ludwig
Fabian Reppel ist Gärtner im Alpinum der Schatzalp. Im Sommer kümmert er sich um Glockenblumen, Schafgarben, Vergissmeinnichte, Alpenglocken, Schlüsselblumen und Enziane. Außerdem gedeiht hier die größte Ansammlung von Edelweißen. Weltweit gibt es von ihnen rund 50 Arten. Ein Großteil kommt im Himalaya vor und eben kultiviert im Botanikum auf der Schatzalp. Bei einer Führung erleben die Besucher diese einzigartige Kostbarkeit. Reppel ist stolz auf seinen Beruf. Nach dem Gartenbau-Studium in Freising hat der gebürtige Hamburger Staudengärtner gelernt. „Die Königsdisziplin ist das alpine Gärtnern“, sagt er und deutet auf sein blühendes Reich, dem im Jahr 1906 angelegten fünf Hektar großen botanischen Garten mit rund 5.000 unterschiedlichen Gebirgspflanzen.
Literatur-Nobelpreis für Thomas Mann
Die weltweit größte Ansammlung von Edelweißen gibt es im botanischen Garten des Berghotels Schatzalp.
Auf der geschützten Sonnenterrasse wartet bereits Klaus Bergamin. Im Alter von 15 Jahren erhielt der heute 86-Jährige die niederschmetternde Diagnose einer Tuberkulose-Erkrankung. Seine Eltern mit sechs Kindern aus dem nahen Bergdorf Schmitten konnten sich die 500 Franken im Monat, die das Sanatorium Sanitas in Davos kostete, nicht leisten. Bezahlen mussten sie für den Aufenthalt ihres Sohnes aber nie, denn der musisch begabte Junge gestaltete sowohl Wunschkonzerte für die Patienten wie auch das Orgelspiel beim sonntäglichen Gottesdienst. Bergamin gefiel die Zeit im Sanitas, das ab dem Jahr 2012 zur privaten Wohnresidenz Bellagio umgebaut wurde.
Klaus Bergamin: „Genau wie im Zauberberg beschrieben, war auch für mich jeder Tag gleich.“ – Foto: Sabine Ludwig
„Während meines Kuraufenthaltes habe ich auch den Zauberberg gelesen. Ich sah darin Parallelen zu meinem Leben. Genau wie im Buch war auch für mich jeder Tag gleich.“ Daraufhin habe er einen Fernkurs in Literatur absolviert. Vielleicht sogar inspiriert vom „Zauberberg“ hat Bergamin selbst geschrieben: Sein Buch „Zeit des Krankseins – Zeit des Gesundens“ enthält zugleich auch seltene Einblicke in die Davoser Geschichte von 1860 bis 1950.
Wandel vom Heil- zum Skiort
Manns Romanfigur Hans Castorp soll im Hotel Ducan übernachtet haben. „Genau dokumentiert ist das aber nicht“, sagt Pächter Benjamin Schiblé. – Foto: Sabine Ludwig
Die in die Jahre gekommene Bob-Bahn von der Schatzalp hinunter ins Dorf gibt es immer noch. Auf ihr wurden einst die in der Höhenklinik Verstorbenen diskret ins Tal befördert. Katia Manns Tuberkulose-Erkrankung stellte sich später übrigens als Fehldiagnose heraus. Thomas Mann verdankt dieser jedoch seinen Nobelpreis für Literatur im Jahr 1929.
Die höchstgelegene Brauerei Europas liegt mitten im Alpenidyll um Davos. – Foto: Sabine Ludwig
Nachdem der Trend der Lungensanatorien endete, war Davos nicht viel mehr als ein Tuberkulose-Heilort. Der ehemalige High Society-Kurort, den sich Franz Kafka nicht einmal leisten konnte, bekam eine neue Bestimmung als Metropole des Wintersports. Bis heute.
Wissenswertes rund um Thomas Mann
Das Thomas Mann-Zentrum im Lübecker Budenbrookhaus. – Foto: Sabine Ludwig
„Der Zauberberg“, eine Thomas Mann-Dokumentation, kann in der Arte-Mediathek bis 12. Januar 2025 abgerufen werden.
Die Jubiläumstagung der Deutschen Thomas Mann-Gesellschaft steigt in Lübeck vom 5. bis 8. Juni 2025
Verschiedene themenbezogene Veranstaltungen sind im Lübecker Buddenbrookhaus (Thomas Mann-Zentrum, ähnlich dem Haus seiner Großeltern) zu sehen.
Sabine Ludwig
ist deutsche Journalistin und Reiseautorin. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht und war als Kriegsberichterstatterin in Afghanistan, Südsudan, Irak und Mali. In ihrer Freizeit widmet sie sich neben diversen Sportarten ihrem Blog sl4lifestyle.com und ihrem Hund Brad. - Foto: Nicola Mesken
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