„Molly“ Brown und die Geister von Denver

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In Denver in Colorado hat Halloween eine lange Tradition. – Foto: Mortimer Reisemagazin

Das schaurig-schöne Gruselfest Halloween wird mittlerweile auch in Deutschland gefeiert. Vor allem bei den Jüngeren nimmt es dabei verstärkt US-amerikanische Züge an. In der Nacht des evangelischen Reformationstages auf das katholische Allerheiligenfest tummeln sich auch allerlei Gestalten, verkleidet als Geister, Vampire und Gespenster, auf den Straßen der US-Metropole Denver in Colorado. Das Brauchtum hat seinen Ursprung in Irland, das geprägt ist von heidnischen und keltischen Traditionen. Durch Einwanderer gelangte das Spektakel in die USA. Nach und nach verbreitete es sich auch in Rest-Europa. Beleuchtete Kürbisse vor Haustüren und Fenstern gelten dabei als Symbole für Halloween.

Spurensuche in Denver

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In Denver sollen Gespenster nicht nur als Zaungast anzutreffen sein. – Foto: Sabine Ludwig / Mortimer Reisemagazin

Echte Gespenster soll es tatsächlich auch noch in Denver geben. Sie zeigen sich vor allem auf dem ehemaligen Stadtfriedhof. Gegründet wurde er zu Beginn des Goldrausches im Jahr 1859. Mehr als 100.000 Menschen strömten nach Denver, besessen von dem Gedanken an schnellem Reichtum und einem besseren Leben. Und der Friedhof füllte sich mit Opfern des Goldfiebers, gestorben an Typhus, durch Schießereien und Hinrichtungen.

Vom ehemaligen Friedhof ist im Cheesman Park heute keine Spur mehr. – Foto: Sabine Ludwig / Mortimer Reisemagazin

1890 war die Stadtbevölkerung gewachsen, der Gottesacker sollte aus der Innenstadt weichen und zum Park im viktorianischen Stil werden, gemäß dem frühen Pionier und Namensgeber Walter Cheesman. Aber es gab ein Problem: Was sollte mit den mehr als 5.000 Beerdigten geschehen? Die Bürger bekamen mehrere Jahre Zeit, um die Überreste ihrer Angehörigen zu entfernen, aber die meisten der Toten waren Kriminelle und Arme, und niemand beanspruchte sie. So vergab die Stadt Denver 1893 einen Auftrag an den Bestatter E.P. McGovern, alle sterblichen Überreste jeweils zu einem „Paket-Preis“ von 1,90 Dollar zu entfernen.

Geschäft mit sterblichen Überresten

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Die Idylle im Cheesman Park trügt, soll es hier doch angeblich spuken. – Foto: Sabine Ludwig / Mortimer Reisemagazin

Doch warum sollte der Geschäftsmann nicht dreimal so viel Geld für jeden Bestatteten verdienen? Die Knochen müssten nur in kindgerechte Särge aufgeteilt werden. MCGoverns Plan ging auf. Da er jedoch nicht sehr sorgfältig arbeitete, fand man bis in die 1960er Jahren hinein noch menschliche Knochen im Cheesman-Park. Gerade an Halloween soll es vorkommen, dass einige der Verbliebenen als Geister aus dem Untergrund an die Oberfläche kommen.

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Das Wohnhaus von Margaret „Molly“ Brown ist heute ein beliebtes Museum. – Foto: Sabine Ludwig / Mortimer Reisemagazin

Unweit des Parks im gleichen Stadtteil lebte Margaret Brown zusammen mit ihrem zweiten Ehemann James Joseph, der seinen Reichtum mit Goldminen machte. Beide stammten von irischen Einwanderern ab. Die sozial engagierte Margaret half in Suppenküchen für die Arbeiter mit und gründete einen Frauenclub, der sich für weibliche Bildung, Gleichberechtigung und Förderung einsetzte. Neben zwei eigenen Kindern nahm sie auch die drei Sprösslinge ihres verwitweten Bruders auf.

„Warum ihr Spitzname Molly war, ist nicht bekannt“, sagt Amy Walsh, die als Gästeführerin Besuchergruppen durch das ehemalige Wohnhaus führt. „Margaret alias Molly war zudem eine gläubige Christin, eine große Gesellschafterin und perfekt im Spendensammeln.“

Christin und Stifterin

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Dank der Spendensammlung von Margaret Brown konnte die Basilika erbaut werden. – Foto: Sabine Ludwig / Mortimer Reisemagazin

Tatsächlich veranstaltete die gebürtige Südstaatlerin immer wieder und mit großem Erfolg Basare und unterstützte mit dem Erlös den Bau der heutigen Kathredalbasilika mitten in Denver. Als der Bau 1912 fertig gestellt wurde, waren die Eheleute Brown schon seit drei Jahren geschieden. Margaret arbeitete da schon längst an ihrer zukünftigen Karriere als Frauenrechtlerin. Sie schaffte es, eine internationale Frauenrechtskonferenz im Nordosten der USA erfolgreich zu organisieren. Von zahlreichen Menschenrechtsaktivistinnen wurde diese besucht und beachtet. Zudem stellte sich die nun in allen Gesellschaftskreisen bekannte Frau als Kandidatin für den US-Senat auf.

Zahlreiche Exponate zeugen von dem beeindruckenden Engagement der Frauenrechtlerin und Titanic-Überlebenden. – Foto: Sabine Ludwig / Mortimer Reisemagazin

„Ihr Glaube gab Margaret genügend Kraft, ihre Ziele umzusetzen. Als Frauen noch kein Wahlrecht hatten, war sie zudem eine der ersten, die sich für ein öffentliches Amt aufstellen ließ. Wann immer sie in Denver war, besuchte sie die Kathedrale, um im Gebet ihre Dankbarkeit auszudrücken“, betont Walsh.

Überlebende des Titanic-Untergangs

Protestschilder erinnern an das Wirken der Frauenrechtlerin. – Foto: Sabine Ludwig / Mortimer Reisemagazin

Doch dankte sie Gott nicht nur für ihr spätes berufliches Durchsetzungsvermögen, sondern auch für das, was ihr im Eröffnungsjahr der Kathedrale zugestoßen war: Nach der Trennung von ihrem Ehemann begab sich die Mittvierzigerin erst einmal auf ausgedehnte Reisen ans Mittelmeer. Als sie erfuhr, dass ihr Enkel ernsthaft erkrankt war, buchte sie eine Überfahrt mit dem nächsten Dampfschiff zurück in die USA.

Erinnerungen an die schicksalhafte Seereise. – Foto: Sabine Ludwig / Mortimer Reisemagazin

Es war die „Titanic“. Als das Schiff am 14. April 1912 einen Eisblock rammte und zu sinken begann, konnte Margaret erst nach einer Weile dazu überredet werden, in das Rettungsboot Nummer 6 zu steigen. „Vorher hatte sie noch ihren Pelzmantel einem Mann gegeben, der an der Reling im Schlafanzug stand“, ergänzt Walsh. Mit ihr saßen noch 22 weitere Frauen und Männer im Rettungsboot.

Auch Margaret übernahm ein Ruder und setzte sich dafür ein, weitere Überlebende an Bord zu holen. Doch dieses Manöver misslang, da sich die anderen Schiffbrüchigen dagegen aussprachen, aus Sorge, ihr Boot könnte kentern. Im Morgengrauen wurden sie vom britischen Passagierdampfer Carpathia als zwei Dutzend von 706 Überlebenden gerettet. Noch im Rettungsboot gründete Brown einen Hilfsfonds für die Passagiere der dritten Klasse. „Drei Klassen gab es an Bord der Titanic“, sagte sie dazu später. „Und dann gab es nur noch die Klasse der Überlebenden.“

Mollys Geist an Halloween

Gästeführerin Amy Walsh betont, dass der Geist von Margaret schon oft an Halloween gesehen wurde. – Foto: Sabine Ludwig / Mortimer Reisemagazin

„Seitdem war sie nicht nur als Mäzenin, sondern auch als unsinkbare Heldin berühmt“, bekräftigt Walsh. Während des Ersten Weltkrieges war Brown zudem karitativ tätig und umsorgte zivile und militärische Kriegsopfer. Dabei engagierte sie sich besonders in Frankreich, ein Land, das sie liebte. Nach dem Krieg entdeckte sie ihre Leidenschaft für die Schauspielerei und studierte noch einmal mit Erfolg: In Paris und New York trat sie in Theatern auf. Schließlich starb sie 1932 mit 65 Jahren in New York an einem Hirntumor.

Jährlich über 45 000 Gäste besuchen das Molly-Brown-Museum an der 1340 Pennsylvania Street in Denver, wo Margaret (Molly) einst wohnte. Auch hier soll schon an Halloween ihr Geist gesehen worden sein. Weitere Informationen unter www.mollybrown.org.

Zu Halloween finden sich zahlreiche Blickfänge in Denver. – Foto: Sabine Ludwig / Mortimer Reisemagazin

Sabine Ludwig

ist deutsche Journalistin und Reiseautorin. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht und war als Kriegsberichterstatterin in Afghanistan, Südsudan, Irak und Mali. In ihrer Freizeit widmet sie sich neben diversen Sportarten ihrem Blog sl4lifestyle.com und ihrem Hund Brad. - Foto: Nicola Mesken