In der zweitgrößten Karnevals-Hochburg der Welt, Santa Cruz de Tenerife, der Hauptstadt der Kanareninsel Teneriffa, erreicht der Karneval wahrlich einmal mehr ein gigantisches Ausmaß: Hunderttausende versammeln sich in der Karnevalszeit vom 24. Januar bis zum 1. März 2020 auf den Kanarischen Inseln. Während im offiziellen Teil verschiedene Gruppen und Artisten sowie Tänzer und Schauspieler die Städte der Kanaren in klangvolle und lichtgeflutete Partymeilen verwandeln, liegt die Aufmerksamkeit beim Straßenkarneval auf den Possenreißern und Straßenmusikern, welche gemeinsam mit den Besuchern bis in die frühen Morgenstunden um die Häuser Teneriffas ziehen. Wer also nicht eine Ewigkeit im Flugzeug zum Karneval nach Brasilien sitzen möchte, erreicht in nur fünf Stunden bequem die kleine, spanische Schwester von Rio de Janeiros Karneval.
Krönung der Königin im Karneval
Für viele Einheimische ist es das Highlight der Festzeit: Die Krönungs-Zeremonie der Karnevalskönigin Wahlgala. Zum Auftakt zeigen Dutzende von Teilnehmern ihre sorgfältig geschneiderten Kostüme. Über viele Monate hinweg werden sie von geschulten Handwerkern wie Santi Castro in kleinen Werkstätten rund um Santa Cruz de Tenerife hergestellt. Castro ist Präsident der „Association of Carnival Designers“ auf Teneriffa und beherrscht das Handwerk wie kaum ein anderer: Seit vierzig Jahren entwirft er spektakuläre Kostüme für die Karnevals-Königinnen. Neben Stoffen werden auch Kunststoffe, Pappe, Aluminium, Pailletten und Acrylsteine zu lebenden Kunstwerken veredelt. Einige von ihnen sind mehrere Tausend Euro wert.
Ein fertiges Kostüm bringt schnell ein ordentliches Gewicht auf die Waage. Bis zu 500 Kilogramm tragen die Anwärterinnen auf ihren Schultern. Der Einsatz von Stütz-Rädern ist für sie daher normal. Die Nachfrage nach immer wuchtigeren Outfits kennt jedoch kein Ende: Zur Sicherheit für die Trägerinnen legten die Organisatoren eine Grenze von 5 x 4,3 x 6 Metern für die Kleidergröße fest. Santi Castros Empfehlung für jeden Besucher ist, ein paar Stunden mit den Handwerkern zu verbringen. So lassen sich die wahre Natur des Karnevals und seine Bedeutung für die Einwohner der Kanaren hautnah erleben.
Künstlerische Proteste und Schabernack
Nachdem die Königin gekrönt und das Volk besänftigt ist, laden die „Murgas“ die Karnevals-Besucher ein, gemeinsam durch die Straßen zu ziehen. Murgas sind Zusammenschlüsse verschiedenster Musikanten und Artisten. Ausgerüstet mit zynischen Choreographien und provozierenden Chören kritisieren sie dabei offen die Missstände ihrer Heimat. Die Urgesteine der Murgas sind die „Diablos Locos“, die verrückten Teufel. Angeführt werden sie von ihrem Direktor Masi Carvajal. Seit knapp 60 Jahren unterhalten die Teufel die Besucher nicht nur mit ihren Gesängen und Choreographien, sondern prangern viele gegenwärtige Zustände an: Sozioökonomische Probleme, Arbeitslosigkeit, Korruption, geschlechterspezifische Ungleichheit und Gewalt werden dabei melodisch untermalt und weit in das politische Herz Teneriffas getragen.
Neben dem öffentlichen Protest geht es den Locos vor allem um Spaß, Schabernack, Zusammengehörigkeit und vor allem den Hauptpreis. Jedes Jahr werden die die besten Choreographien, Gesänge und Darstellungen mit einem begehrten Preis ausgezeichnet. Carvajal empfiehlt daher den Zuschauern, gemeinsam mit den Künstlern lachend und singend durch die Straßen zu ziehen, sich an den Wettbewerben zu erfreuen und die Vielfalt des Kanarischen Karnevals zu genießen. Weitere Mehr Informationen unter www.hallokanarischeinseln.com.
Gründe, die fünfte Jahreszeit auf den Kanaren zu verbringen
- Seit 1998 verwandeln sich die Männer in Las Palmas de Gran Canaria in prunkvoll gekleidete Frauen. Bei dem international renommierten Drag-Queen Event konkurrieren die Teilnehmer mit Tanzdarstellungen um die gelungenste Verwandlung.
- Kubanisches Straßenfeeling begeistert seit mehr als 50 Jahren die Teilnehmer des Los Indianos Karnevals in Santa Cruz de La Palma. Der Hauptplatz der Stadt ähnelt dann der kubanischen Hauptstadt Havanna und jeder Teilnehmer der lustigen Prozession verschwindet meist unfreiwillig unter einer Wolke aus Talkumpuder, die von den Einheimischen verstreut wird.
- Ebenfalls staubig sind die Straßen von San Sebastián de La Gomera beim jährlichen Talk-Pulver-Karneval: Alle Beteiligten benutzen Talkumpuder, Mehl oder sogar Indigopigment, um sich zu verkleiden, verstecken und gegenseitig zu erschrecken.
- Währenddessen geistern in Tigaday auf der Insel El Hierro Dämonen umher. Das Event entspringt einer altertümlichen Tradition: In einem schaurig-schönen Spektakel tarnen sich Jugendliche mit übelriechenden, getrockneten Widderhäuten, ziehen durch die Öffentlichkeit und übergießen jeden, den sie finden, mit schwarzer Farbe.
- Seit mehr als fünf Jahrhunderten erschrecken die Teilnehmer des Diabletes de Teguise auf Lanzarote in ihren traditionellen Kostümen aus Ochsenköpfen und Ziegenzungen die Einwohner. Seit neuestem zählen auch harmlose Touristen zu den Überraschungsopfern.
- Das Mitbringen einer Badehose ist Pflicht für jeden Jecken und Narren während der Arretrancos- und Achipencos-Festivals auf Fuerteventura: Mit ihren selbst gebastelten Fahrzeugen liefern sich die Teilnehmer ein Wettrennen vom Festland in das Wasser.
Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.