Kein geringerer als der spätere Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck gilt als einer der wohl berühmtesten Vorboten der Göttinger Genussmomente. Der umstrittene Staatsmann wurde wegen „stetem Unfleiß“ während seiner Studentenzeit in Göttingen mehrfach in den „Karzer“ gesperrt. Dem Vernehmen nach hatte er zu viel und zu oft den schönen Dingen des Lebens gefrönt. Besondere Genussmomente prägten wohl statt des gewünschten Wissensdursts seinen Studentenalltag.

Einige werden nicht müde zu betonen, der nicht unumstrittene Otto Fürst von Bismarck sei trotzdem die Karriereleiter hochgepurzelt. Und doch sind es andere Namen, die eher mit der niedersächsischen Universitätsstadt in Verbindung gebracht werden. Dazu zählen bis heute nicht weniger als 46 Nobelpreisträger. Wobei die Göttinger Rechnung sehr wohlwollend aufgestellt ist. So wird Blechtrommel-Autor Günter Grass diesem erlauchten Kreis zugeordnet, obwohl er nie an der berühmten Georg-August-Universität eingeschrieben war oder in der Stadt lebte. Die einzige Verbindung des Literaturnobelpreis-Trägers zu Göttingen ist die Tatsache, dass der Steidl Verlag, mit dem er zusammenarbeitete, hier seinen Sitz hat.

Dafür wirkten etwa Deutschlands wohl berühmtesten „Märchen-Onkel“ in der heutigen 135.000-Seelen-Gemeinde. Die Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm arbeiteten von 1829 bis 1837 als Bibliothekare und Professoren an der Georg-August-Universität und publizierten in jener Zeit zwei Bände zur „Deutschen Grammatik“, den „Reinhart (Reineke) Fuchs“, die „Deutsche Mythologie“ sowie die „Kinder- und Hausmärchen“.

Stummes Zeugnis ihrer Göttinger Zeit ist die Gedenktafel in der Goetheallee Nummer 6, wo einst ihr Wohnhaus stand. Auch die Paulinerkirche mit dem eindrucksvollen historischen Bibliothekssaal weckt Erinnerungen an die Arbeitsstätte der Brüder Grimm. Und die Universitätsaula am Wilhelmsplatz beherbergt eine Büste von Jacob Grimm.

Ob die Grimms wie dereinst Bismarck freudetrunken um die Häuser der Innenstadt zogen, ist nicht bekannt. Sicher ist nur, dass der eine oder andere der gut 34.000 Studierenden heutzutage gerne mal in den Kneipen und Restaurants der Altstadt Zerstreuung und besondere Genussmomente sucht. Allerdings in der Regel ohne – wie Bismarck – die eine oder andere Nacht hinter Gittern verbringen zu müssen.

In der von Fachwerk dominierten Studentenstadt in Südniedersachsen gehört beispielsweise das Restaurant im Freigeist Hotel zu den offenen Geheimtipps. Denn im „Intuu“ wird eine ebenso ungewöhnliche wie faszinierende und schmackhafte Mischung aus spanischer und peruanische Küche serviert.

Einen nicht minder großen Genuss verspricht die Bar des Freigeist, die den schönen Namen „Herbarium“ trägt. Hier werden ganz besondere Cocktails serviert, die alles andere als 08/15 sind und auf die persönlichen Geschmacksvorlieben abgestimmt sind. Die Kräuter für die individuellen Mischgetränke wachsen zum Großteil im Vertikalgarten hinter dem Tresen – der Rest gedeiht im Botanischen Garten der Stadt Göttingen, mit dem eine enge Kooperation besteht.

Hochgeistige Getränke sind auch im Bullerjahn im Untergeschoss des Historischen Rathauses im Ausschank. Lokaler ist da schon die empfehlenswerte Bierprobe mit verschieden Bieren aus Göttingen und der nahegelegenen Bockbier-Heimat Einbeck. Passend dazu kommen vorwiegend deftige regionale Speisen auf den Tisch des Hauses.

Nach dem einen oder anderen Gläschen kommt auch so mancher Gast schon mal auf den Gedanken, den frisch examinierten Doktoranden der altehrwürdigen Göttinger Universität nachzueifern. Nicht in punkto Lehre und Wissen, sondern mit Blick auf eine seit vielen, vielen Jahrzehnten gepflegte Tradition. Denn die erfolgreiche Absolventen ziehen bis heute fröhlich durch die Stadt, erklimmen am Marktplatz vor dem Historischen Rathaus den Brunnen, stecken der Brunnenfigur, dem Gänseliesel, einen Blumenstrauß in den Baldachin und geben ihr einen Kuss auf die Wange. Ein Brauch, der die bronzene Figur über die Jahre zum wohl „meist geküssten Mädchen“ der Welt hat werden lassen.

Einen Genuss ganz anderer Art hält Soumela Alrutz vor. „Meli“, wie die 67-jährige, gelernte Berufskraftfahrerin von Freunden genannt wird, arbeitet und experimentiert seit dem Jahre 2012 mit großem Erfolg mit essbaren Blüten. Auf der Speisekarte stehen dabei beispielsweise Blüten von Kapuzinerkresse, Korn- und Ringelblumen, Veilchen, Malve, Rosen, Stiefmütterchen, Taglilien oder Löwenzahn.

Die Pflanzen baut sie überwiegend im eigenen Garten an, um daraus verschiedene Nahrungsmittel zu fertigen. Der Bogen spannt sich von kandierten Veilchen, Marmelade und Rosenzucker über Tee, Essig, Sirup und Likören bis hin zu hochwertiger Salzmischungen. Wobei sich besonders Melis Blütensalz zu einem „Renner“ unter Feinschmeckern entwickelt hat.

„Für das Blütensalz verwendet ich zwölf verschiedene Zutaten – ansonsten ist die Rezeptur streng geheim“, verrät Meli lediglich, dass zumindest Taglilien, Rosen und Kapuzinerkresse zu den Bestandteilen gehören.

Das eigentliche Salz bezieht die gebürtige Griechin von der nur wenige Kilometer Luftlinie entfernten Saline Luisenhall, die nicht nur für Genussmenschen eine beliebte Anlaufstelle ist. Das faszinierende Industriedenkmal mit seinem schweren Eichenfachwerk und seinen aus dem 19. Jahrhundert stammenden technischen Einrichtungen ist die letzte produzierende Pfannen-Saline in Europa.

Im Jahre 1850 wurde in einer Tiefe von 467 Meter eine erste Sole entdeckt. Seither wird die 27-prozentige, gesättigte Lösung von dort ans Tageslicht gepumpt, gereinigt und anschließend in den vier riesigen Pfannen der beiden Sudhäuser erhitzt, bis das Salz kristallisiert und abgeschöpft werden kann.

„Im Gegensatz zum gebräuchlichen, raffinierten Speisesalz, das fast nur aus Natriumchlorid besteht, bleiben beim naturbelassenen Luisenhaller alle Mineralien und Spurenelemente erhalten“, unterstreicht Gästeführerin Barbara Fink, dass die Zellen des menschliche Körpers ohne Salz keine Nährstoffe aufnehmen könnten und austrocknen würden. Zudem sei das Salz wichtig für den Elektrolyte-Haushalt.

Letzterer lässt sich nach dem Besuch des Industriedenkmals zumindest punktuell ausgleichen. Denn nach der Führung liegt der Geschmack der Saline leicht auf der Zunge. Wer mit dieser die Handoberfläche berührt, schmeckt das hochwertige Salz. Um eine bessere Vergleichsmöglichkeit mit Industriesalzen zu haben, erhält der Besucher am Ende der Tour noch zwei Tütchen mit ein paar Gramm Luisenhaller und raffiniertem Speisesalz. Quasi ein Geschmackstest to go.

Der Vollständigkeit halber sollte natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass in Göttingen auch alle Naschkatzen auf ihre Kosten kommen können. Wer einen süßen Zahn hat, sollte unbedingt die Traditionskonditorei Cron und Lanz im Herzen der Fußgängerzone aufsuchen. Zu den Spezialitäten des Hauses gehören die mit Schokolade überzogenen Vanille-Schiffchen. Aber auch sonst wartet Feinstes aus dem Konditoreihandwerk darauf, probiert zu werden. Schließlich gibt sich Göttingen ja ganzjährig ganz genüsslich…

Weitere Informationen unter www.reiseland-niedersachsen.de und unter www.goettingen-tourismus.de

Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.