
Es gibt ja den legendären Fußballerspruch „Egal ob Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien!“ Nun will man Andi Möller sicherlich nicht zum Philosophen erheben. Recht hatte er allerdings. Das bemerkt man umso mehr, selbst nach zehn, zwanzig oder gar einhundert Brennerüberquerungen. Da sind immer wieder kleine Orte zu entdecken, an denen man oft achtlos vorbeigefahren ist. So wie etwa Borghetto mit seinen Wassermühlen, südlich des Gardasees, der kleine Ort Marina di San Vito, wenige Kilometer von Pescara entfernt, in den sich jüngst sogar Designer Philipp Plein sowie Bill Kaulitz verirrten.

Manch Tourist wird sicherlich auf dem Weg zu den Stränden von Rimini und Riccione quer durch das Po-Delta gefahren sein ohne Halt zu machen. Dabei kann man gerade hier Italien erleben. Besonders wenn Traditionen gefeiert werden. So etwa im Herbst die Sagra dell’Anguilla. Ist die Region doch gerade für ihre Aale bekannt. Schon 1955 schlüpfte Sophia Loren in die Rolle der Frau am Fluss (La Donna del Fiume) und brachte das harte Leben der Einheimischen auf die Leinwand. Gedreht wurde der Film in Comacchio, was so etwas wie die Hauptstadt des Deltas ist. Manch einer nennt die Stadt auch das kleine Venedig. Doch diesen Titel beansprucht auch schon das etwas nördlich liegenden Chioggia.
Filmschönheit auf 13 Inseln

Apropos Film – Comacchio zog neben der Loren später auch immer wieder Filmgrößen an. Michelangelo Antonioni etwa oder auch Wim Wenders, wie Chiara von Po-Delta-Tourism erzählte. Besonders ein Laubengang der fast 600 Meter schnurgerade ein Kloster mit der Stadt verband sowie die alte Fischmanufaktur hatten es den Cineasten dabei angetan. Die alte Fabrik wird übrigens noch heute teilweise genutzt, dient aber ansonsten als Veranstaltungsort. So auch beim Galaabend des Aalfestes. Die Tradition lebt und es gibt kaum ein Restaurant oder Geschäft im Ort, das nicht mit dem Aal wirbt.

In der Tat war und ist Comacchio mit Venedig vergleichbar. Auf 13 Inseln siedelten sich die Menschen an und bauten ihre Häuser genau wie in Venedig auf Pfählen. Erst zur Mitte des 20. Jahrhunderts gab es dann den ersten Damm und damit eine Straßenverbindung. Kanäle durchziehen das Zentrum und verbinden die Stadt mit der Adria. Von dort wurde der in Dosen verpackt geräucherte Aal verschickt. Zur Fischverarbeitung ist auch Salz unerlässlich. Das kam viele Jahre ebenfalls aus der Lagune Comacchios. Die Saline ist heutzutage jedoch nur noch Museum.
Zwischen Lagune und Palästen

Viele kleine Restaurants liegen an den Ufern, alte Paläste (das alte Krankenhaus, welches wirklich wie ein Palast daherkommt, beherbergt heute das Museum Delta Antico) und natürlich Brücken, Brücken, Brücken. Wobei besonders Trepponti wohl das meistabgelichtete Motiv der Comacchios sein dürfte. Doch wie gesagt, der wirklich kleine, pittoreske Ort ist eben die Hauptstadt des Deltas von Italiens längstem Fluss Po (652 Kilometer). Da gibt es vieles zu entdecken. Flamingos (es geht die Geschichte, dass sich davon die amerikanische-italienische Mafia inspirieren ließ und deshalb das erste Casino in Las Vegas Flamingo nannte), etliche andere Vögel, man kann Bootstouren machen und die Stille der Landschaft genießen.

Wer es etwas aktiver mag, schwingt sich auf ein Pferd oder auch den Sattel eines Rades und umrundet die große Lagune. Zirka 50 Kilometer ist die Tour, aber dank der flachen Landschaft und eines modernen E-Bikes locker zu bewältigen. Besonders die Fahrt über einen gut sechs Kilometer langen, schmalen Damm ist ein Erlebnis. Die Strecke wurde zu einem der schönsten Radwege Italiens gekürt.
Weltkulturerbe mit Strahlkraft

Nach so viel Aktivität wird es Zeit für leibliche Genüsse. Natürlich Aal kommt auf den Tisch, dazu Wein, der ebenfalls im Delta kultiviert wird. Merlot, Sauvignon oder auch Trebbiano gedeihen und erhalten durch die Nähe zum Meer ein besonderes Aroma. Die Nähe zum Meer ermöglicht auch einen entspannten Strandurlaub. Nur wenige Minuten entfernt liegt Porto Garibaldi, von wo, wie bereits erwähnt, der Fisch exportiert wurde. Dort reihen sich wie an einer Perlenkette bzw. wie einer Fangleine mehre Lidi auf. Scrachi, Estensi Volano,der Lido di Spina beispielsweise. Mit breiten Stränden und den üblichen Angeboten an der Adriaküste.

Nun versteht sich Comacchio als Hauptstadt des Deltas. Den Eingang bildet jedoch das westlich gelegene Ferrara. Dort residierte einst die Familie Este die der gesamten Region im Mittelalter ihr Siegel aufdrückte. Schon auf dem Weg von Comacchio nach Ferrara finden sich Villen und Landsitze der Familie und erst recht das Castello Estense in Ferrara beeindruckt. Auch das ist ein Grund, dass die Stadt und die gesamte Region Po-Delta zum UNESCO-Weltkulturrebe wurde.
Fahrradkult in alten Stadtmauern

Im Palazzo Schifanoia können alte Wandmalereien bewundert werden, in den Gassen der Altstadt schließt man die Augen und wähnt sich im Mittelalter und der Renaissance. Vieles ist so wie es immer war. Eien Stadt als Museum. Dabei ist Ferrara eine lebendige Stadt und die alten Plätze und Bauten werden durchaus für mehr als nur Geschichtsbetrachtung genutzt. Der Hof den Castells etwa für Technopartys. Vorteil durch die dicken Mauern dringt kaum Lärm nach draußen in die Stadt.

Auch oder gerade in Ferrara spielt das Fahrrad eine bedeutende Rolle. Die Statistik weist 131.000 Einwohner und mehr als 250.000 Fahrräder aus, womit man sich den Titel als eine der fahrradfreundlichsten Städte Italiens eroberte. Per Rad kann man etwa entlang der alten Stadtmauer die Stadt erkunden und auch innerhalb der Mauern scheint das Rad Vorrang zu besitzen.

Der größte Sohn der Stadt, den auch ein großes Denkmal verehrt, war übrigens Girolamo Savonarola, der etwas zu eifrige Dominikanermönch. 1498 endete er in Florenz auf dem Scheiterhaufen. Vermutlich hätten ihn heutige Technopartys wohl zu einigen Predigten oder schlimmeren getrieben. Doch das ist Geschichte. Dies und mehr lässt sich zwischen Ferrara, Comacchio und der Adria entdecken. Um nun mal ein ganz simples Bonmot zu bemühen: Es ist eine Region, in der man sich gut aalen kann.

Die Recherche fand – ohne Einfluss auf die journalistische Ausarbeitung – auf Einladung / mit Unterstützung von Po Delta Tourism in Zusammenarbeit mit Maggioni Gretz statt.

Honza Klein
Der Berliner hat für diverse Radiosender gearbeitet, war viele Jahre Redakteur bei der Berliner Morgenpost, hat an Büchern über Berlin mitgearbeitet und ist u.a. Autor für die Super Illu und Gastgeber einer Talksendung bei TV Berlin.