Fastenwandern – Verzichterfahrung in freier Natur

Fastwandern ist für viele eine neue Körpererfahrung. (Foto Karsten-Thilo Raab)
Fastwandern ist für viele eine neue Körpererfahrung. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Dr. Lennart Edrén hatte eine Idee, ja ein Vision. Er wollte beweisen, dass Fasten ungefährlich ist und im Selbstversuch ermitteln, was während des Fastens im Körper vor sich geht und wie sich das Ganze mit Bewegung an frischer Luft verträgt. Zudem war er von der Heilwirkung des Fastens überzeugt. Er selber hatte große Hautprobleme, die er hoffte, durch die Kombination von Nahrungsverzicht, Naturerlebnis und Bewegung in den Griff zu bekommen. Dies war im Jahre 1953. Damals begab sich der Schwede erstmals allein auf eine Fastenwanderung. Täglich legte er bis zu 50 Kilometer auf Schusters Rappen zurück und nahm dabei lediglich frisches Quellwasser zu sich. Und seine Rechnung sollte aufgehen. Die durchweg positiven Erfahrungen dieses Experimentes sowie die Bestätigung seiner Annahmen veranlassten ihn dazu, im Jahre 1954 einen Fastenmarsch über mehr als 500 Kilometer von Göteborg nach Stockholm zu organisieren. Begleitet wurde das ehrgeizige Vorhaben von der schwedischen Presse, die dem Fastenwandern damit erstmals ein breites öffentliches Forum einräumte. Damit avancierte der Vegetarier zum Pionier und Wegbereiter der Fastenwanderbewegung in Europa.

1964 wiederholte Dr. Lennart Edrén dann das Vorhaben – diesmal mit 20 Wagemutigen, zu denen auch Dr. Karl-Otto Aly, der Chefarzt des renommierten Gesundheitszentrums in Tallmograden, gehörte. Zudem fanden sich mit Professor Lars Carlsson und Sven Fröberg zwei Wissenschaftler, die vor und nach der Wanderung unter anderem die Blutzuckerwerte und den Cholesterinspiegel analysierten sowie EKG-Untersuchungen durchführten. Ganz wie Edrén angenommen hatte, erwies sich das Fastenwandern auch nach eingehenden medizinischen Untersuchungen als durchaus gesundheitsfördernd.

Beim Fastwandern braucht man nicht viel mehr als die Wanderschuhe udn genügend Flüssigkeit. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Schnell folgten andere dem Beispiel von Edrén. Der deutsche Theologe, Soziologe und Politologe Christoph Michl beispielsweise gehörte zu denjenigen, die Fastenmärsche nutzten, um der Friedens- und Umweltbewegung über so genannte Hungermärsche im In- und Ausland Gehör zu verschaffen. Unabhängig von der genannten Entwicklung zeugen zahlreiche Dokumente davon, dass es schon weit  vor Edréns Initiative Fastenwanderer gab. So soll Mahatma Gandhi 1946 drei Tage lang zu Fuß in gleißender Hitze durch Indien marschiert sein und dabei lediglich Wasser mit Zitrone und Honig zu sich genommen haben.

Doch nicht nur das Beispiel dieser prominenten Vorreiter zeigt: Wer einmal Fastenwandern versucht hat, ist begeistert. Die Verbindung von Bewegung an der frischen Luft mit  Verzicht auf Nahrung ist eine bewährte Methode, die oft ungesunde Hektik des Alltags hinter sich zu lassen. Eine Methode, die mehr und mehr Anhänger findet.

Beweggründe gibt es viele: Abnehmen, Entschlacken, Probleme und Krisen verarbeiten, Krankheiten wie Rheuma, Allergie, Arthrose spürbar lindern, Entspannen, den Einstieg in neue Ernährungsgewohnheiten finden und  Lebensfreude sowie Elan tanken. Beliebter Nebeneffekt: Überflüssige Pfunde bleiben schnell und effektiv auf der (Wander-) Strecke, ein neues Körperbewusstsein führt zu einem erhöhten Wohlgefühl und zu einem besseren Hautbild. Die „Entsorgung“ von seelischem und körperlichem „Müll“ und das Entschlacken führen außerdem spürbar zu einer Linderung verschiedener Leiden wie Allergien und Bluthochdruck.

Wer in seinem Umfeld von seiner Absicht erzählt, fasten zu wollen, wird oft ungläubig belächelt und für einen stark religiösen Menschen oder einen Spinner gehalten. Viele Verwandte und Freunde werden auch von dem Verzicht auf Nahrung warnend abraten. Entweder, weil sie es für eine große Qual halten, eine, zwei Wochen auf feste Nahrung zu verzichten, oder sogar für gesundheitlich gefährlich. Dabei gibt es einen himmelweiten Unterschied zwischen Hungern und Fasten. Bei Letzteren handelt es sich um einen freiwilligen Verzicht auf Nahrung (und Genussmittel), bei dem man kein Hungergefühl erlebt, der Körper sich aus seinen eigenen Reserven ernährt und sich durch sanfte Unterstützung und viel Trinken von Wasser und Kräutertees von überflüssigem Ballast befreien kann.

Zum Fastenwandern eignen sich nahezu alle bekannten Wanderregionen. (Foto Karsten-Thilo Raab)

„Das Fasten hat zum einen gesicherte positive Auswirkungen auf Erkrankungen wie Arthritis, Bluthochdruck, chronische Schmerzerkrankungen und spezielle Formen von Allergien. Darüber hinaus vermittelt das Fasten aber einen idealen Einstieg in eine gesundheitsfördernde Lebensstilmodifikation. Dass heißt, eine gesunde Ernährung stellt den wesentlichsten Beitrag für die Prävention aber auch für die Therapie von chronischen Erkrankungen dar. Mittels Heilfastens können nachhaltiger Ernährungsumstellungen umgesetzt werden. Schließlich gibt es auch eine Reihe positiver Wirkungen auf das psychische und physische Befinden“, unterstreicht Dr. Andreas Michalsen, Vorstandsmitglied der Ärzte-Gesellschaft Heilfasten und Ernährung e. V. und Leitender Oberarzt an der Abteilung für Innere Medizin V, Naturheilkunde und Integrative Medizin der Kliniken Essen-Mitte, den gesundheitsfördernden Effekt des Fastenwanders.

Generell gilt: Jeder Gesunde kann fasten, auch Personen mit bestimmten chronischen Krankheiten und Stoffwechselerkrankungen, die durch die Ernährung bedingt sind. Bei manchen Krankheitsbildern ist es aber ratsam, sich in eine Heilfastenklinik zu begeben, und unter ständiger ärztlicher Aufsicht zu fasten. Oftmals bieten solche Kliniken dann Tageswanderungen an, so dass auch die in einer Klinik Fastenden zu ihrem Fastenwandererlebnis kommen. Zu diesen Krankheiten zählen Diabetes, chronische Hepatitis, Gicht, offene Beine, venöse Durchblutungsstörungen, arterielle Durchblutungsstörungen, starker Bluthochdruck oder niedriger Blutdruck, rheumatische Erkrankungen, Schuppenflechte, Bullemie und Esssucht. Personen mit starkem Übergewicht oder erhöhtem Herzinfarktrisiko sollten ebenfalls in einer Fastenklinik mit dem freiwilligen Verzicht auf Nahrung beginnen. Wer gerade eine schwere Operation oder lange Krankheit hinter sich hat, sollte aufs Fasten verzichten. Gleiches gilt für Schwangere und stillende Mütter.

In der Gruppe kann Fastenwandern durchaus leichter fallen, als alleine auf Schusters Rappen unterwegs zu sein. (Foto Karsten-Thilo Raab)

Fasten und Wandern sind natürliche, naturgegebene Fähigkeiten. Einige Erst-Fastenwanderer fürchten, dass sie während des Nahrungsverzichts schlapp sind – aber das Gegenteil ist der Fall: Ein Hungergefühl tritt eigentlich nicht auf, da Magen und Darm entleert sind. Was jedoch ganz wesentlich ist, Fastenwandern ist kein Leistungssport, bei dem es um zurückgelegte Tageskilometer oder Höchstleistungen beim Wandertempo geht. Vielmehr sollte man einen zügigen, meditativen Schritt finden, der fordert, ohne zu überfordern. Es geht nicht darum, Tempo zu machen, sondern darum, zu erleben.

Benötigt werden im Grunde lediglich der Entschluss zum Fastenwandern und ein paar anständige Wanderschuhe. Natürlich bedarf es auch einer guten Planung, beispielsweise ob man sich einer Fastengruppe anschließen möchte. Oder, wer sein Fastenwanderung selber planen möchte, ob man allein unterwegs sein oder mit Freunden in das Abenteuer des Fastenwanderns starten will. Auch die Wahl des Reisziels sollte gründlich vorgenommen werden. Potenzielle Fastenwanderer sollten sich Gedanken darüber machen, ob sie lieber in heimischen Gefilden fastenwandern oder unter südlicher Sonne. Auf jeden Fall sollte es auf Schusters Rappen durch Wälder, über Höhenzüge oder am Meer entlang gehen – nicht jedoch über asphaltierte Landstraßen. Schwierigkeiten unterwegs entstehen meistens durch zu lange Tagesetappen, durch ungenügende Kondition und durch Blasen an den Füßen. Aber, nach einer warmen Dusche, einer Tasse Tee und einer durchgeschlafenen Nacht sind meist alle Beschwerden vergessen.

Informationen: Deutsche Fasten-Wander-Zentrale, Postfach 2869, 67616 Kaiserslautern, Telefon und Fax: 0631-47472,  www.fasten-wander-zentrale.de. Die Deutsche Fasten-Wander-Zentrale bemüht sich, die Fasten-Wander-Idee auszubreiten und informiert über 450 Angebote von 50 verschiedenen Fasten-Wander-Anbietern.

Deutsche Fastenakademie, Gerti Neu, Obergasse 10, 69469 Weinheim, Telefon 06201–2559732, Fax 06201–2559735, www.fastenakademie.de. Die Deutsche Fastenakademie bietet die Ausbildung zum Fastenleiter an. Darüber hinaus sammelt die DFA zertifizierte Fastenferienangebote sowie Fastenfreizeitangebote für das jeweils aktuelle Jahr, die auf der Internetseite veröffentlicht werden. Auch wer mit professioneller Unterstützung am Wohnort fasten möchte, findet über die DFA Adressen von Fastenleiter, die Fasten anbieten.

Verband für unabhängige Gesundheitsberatung, Sandusweg 3, 35435 Wettenberg, Telefon 0641-808960, Fax 0641-8089650, www.ugb.de. Der Verband für unabhängige Gesundheitsberatung (UGB) bildet Fastenleiter aus und hat spezielle Konzepte für Fastenkurse entwickelt.

Sonstiges: Informationen über die jährliche Fastenaktion der evangelischen Kirche „7 Wochen Ohne“, die inzwischen 20jähriges Bestehen feiert, können online unter www.7-wochen-ohne.de abgerufen werden.
Informationen zur Fastenaktion der katholischen Kirche, die jährlich unter ein anderes Motto gestellt wird, können im Internet unter www.miseor.de abgerufen werden.

Literaturtipp: Ulrike Katrin Peters & Karsten-Thilo Raab: Fastenwandern, Conrad-Stein-Verlag, ISBN 3-89392-565-1, 7,90 €. Das Buch greift alle Fragen rund um das Fastwandern auf, beleuchtet Effekte und mögliche Nebenwirkungen und bietet neben entsprechenden Checklisten zur Vorbereitung einen geschichtlichen Überblick sowie Informationen über die medizinische Einordnung des Fastwanderns. Erhältlich ist der Titel im Buchhandel oder direkt beim Conrad-Stein-Verlag.