Schwarzwälder Mutfrauen von St. Märgen

St. Märgen
Eine Bürgerinitiative rettete in St. Märgen einen Gasthof und ließ ihn wieder erblühen. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Im Schwarzwälder Bergdorf St. Märgen krempelten die Landfrauen vor 20 Jahren ihre Ärmel hoch und bewahrten einen alteingesessenen Gasthof vor dem Abriss. Heute zählt ihr Landfrauencafé zu den Attraktionen der Region.

Es war einmal ein Anwesen im Hochschwarzwald, ehemals Klosterherberge, später Grand Hotel, dann Gasthof. Dem drohte, wie manch anderem Betrieb auf dem Land, die Schließung und letztendlich der Abriss. Mittendrin im Luftkurort St. Märgen, 895 Meter über dem Meer, direkt gegenüber dem ehemaligen Kloster mitsamt seiner barocken Kirche. Die „Goldene Krone“, einer der zentralen Anlaufpunkte in der 2.000 Einwohner zählenden Gemeinde nach 250 Jahren einfach abreißen? Nein, das ging nicht. Nicht in St. Märgen, eine gute halbe Autostunde von Freiburg entfernt. Aus einer Bürgerinitiative heraus entstand der Verein „Lebendiges Dorf“, der das herrschaftliche, jedoch vom Verfall bedrohte Haus kaufte und aufwändig sanierte. Das Ziel: der Dorfkern sollte wiederbelebt und ein Gastronomiebetrieb angesiedelt werden. Das Problem: es fand sich kein Pächter. Wieder drohte das Aus.

St. Märgen
St. Märgen ist ein beschauliches Kleinod im Schwarzwald. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

„Da haben wir uns ein Herz gefasst“, erzählt Beate Waldera-Kynast. „Wir“ – das waren zwei Dutzend Frauen aus St. Märgen und Umgebung. Bodenständige Frauen, heimatverbunden, aufgeschlossen, im Umgang mit Menschen, Herd und Backofen bestens vertraut. Die Idee des Landfrauencafés war geboren. Waldera-Kynast war die treibende Kraft hinter diesem Projekt. Die Euphorie der Betreiberinnen war groß, die Skepsis im Dorf und darüber hinaus auch. „Manche haben uns noch nicht einmal ein Jahr gegeben“, blickt die Gründerin zurück. Zumal die Landfrauen keinerlei gastronomische Erfahrung hatten. „Wir hatten keinen Koch, keinen Konditor und auch kein professionelles Servicepersonal“, erinnert sich die Ideengeberin, die heute eine Bio-Bergkäse-Genossenschaft im schweizerischen Wallis leitet.

Einfach und gut – einfach gut!

Alle Kuchen stammen aus eigener Herstellung. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Stattdessen machten die Landfrauen das, was sie am besten konnten: sie machten es wie zu Hause. Und das mit viel Herz. Das kam an bei den Gästen. „Bei uns gibt es nur das Einfachste“, lautet das Credo: das tägliche Brot, dampfende Suppen und hausgemachte Kuchen, darunter die vermutlich weltbeste Schwarzwälder Kirschtorte. Als die Begriffe Bio, Regionalität und Nachhaltigkeit noch weitgehend Fremdworte waren, haben die Schwarzwälder Frauen sie intuitiv schon vor 20 Jahren konsequent gelebt.

Die Gäste stimmen mit den Füßen ab. Ohne Reservierung gibt es fast keinen Platz. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Verarbeitet werden ausschließlich frische Produkte aus St. Märgen und Umgebung. Die meisten davon haben Bio-Qualität, auch wenn nicht Bio draufsteht. Industrieprodukte wie beispielsweise Flüssigei aus dem Tetrapak, „hergestellt“ von Batteriehühnern, lehnen die Landfrauen konsequent ab. Auch wenn das Bio-Ei etwa zehnmal so teuer ist wie das Flüssigei, was bei einem Verbrauch von mehr als 10.000 Eiern im Jahr kräftig zu Buche schlägt. Einkaufen vor Ort dient nicht nur der Qualität, sondern hilft auch regionalen Direktvermarktern.

Keine Fertigprodukte, keine Cola

Die famose Schwarzwälderkirschtorte erfreut sich besonderer Beliebtheit. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Überhaupt habe man „der Lebensmittelindustrie, den Großkonzernen und den Fastfood-Ketten den Kampf erklärt“, heißt es selbstbewusst aus den südbadischen Bergen. Dass keinerlei Farbstoffe, Aromen, Geschmacksverstärker, Backmischungen und andere Fertigprodukte verwendet werden, gilt als selbstverständlich. Die Limonade ist hausgemacht, aus einem Sirup, den eine der Landfrauen in der heimischen Küche einkocht. Spezialität des Cafés ist der nach eigenem Rezept hergestellte „Käsemichel“: Schwarzwälder Bio-Weichkäse mit einem Deckel aus Butter-Quark-Teig, dazu hausgemachtes Johannisbeer-Kompott und ein kleiner Salat der Saison.

Fast schon legendär ist die Schwarzwälderkirschtorte in St. Märgen. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Anstatt von Metro & Co stammen nahezu alle Produkte von einem Dutzend Landwirten und Landfrauen aus der Region: Milchprodukte, Eier, Wurst- und Teigwaren, Getreide, Kartoffeln, Obst, Gemüse, Spirituosen, Kräuter, Honig und Eingemachtes. Selbst auf fast 1.000 Meter über dem Meer wächst mehr, als Flachländer es vermuten. „Wir kennen unsere Lieferanten persönlich und unterstützen ihre Arbeit, indem wir ihnen einen zuverlässigen Absatzmarkt bieten“, betonen die Landfrauen. So entstünden „kleine, aber starke Netzwerke, die in der globalisierten Welt bestehen können.“

Das Café hat sich zu einer In-Location in St. Märgen gemausert. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Aus diesem Grund gibt es auch keinen Lachs zum Frühstück und keine Erdbeeren im Winter.  Nachhaltigkeit ist schließlich mehr als nur CO2 einzusparen. Der Käse kommt von Schwarzwälder Bergbauern, das Holzofenbrot von einem Bäcker im Ort, das Bier aus der weit über die Region hinaus bekannten Rothaus-Brauerei („Tannezäpfle“). Cola sucht man vergeblich im Angebot.

Preisgekrönte Initiative

Der perfekte Genuss für alle mit einem süßen Zahn. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Der Betrieb ist genossenschaftlich organisiert, etwa 20 Frauen sind dort angestellt, die meisten in Teilzeit. Die Skepsis rund um das Landfrauencafé war schnell gewichen. Bereits ein Jahr nach der Gründung wurde es mit dem Baden-Württembergischen „Landwirtschaftspreis für unternehmerische Innovationen“ ausgezeichnet. Vier Jahre später gewannen die Hochschwarzwälderinnen den Ideenwettbewerb „Genießerland Baden-Württemberg“. 2022 erhielt Beate Waldera-Kynast für ihre Verdienste ums Gemeinwohl die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Heute kennt neben den Einheimischen nahezu jeder Tourist das Landfrauencafé in der „Goldenen Krone“. Wer es besuchen möchte, der sollte am besten vorher reservieren. Weitere Informationen unter www.cafe-goldene-krone.de.

An zwei Tagen pro Woche bleibt das Café geschlossen. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Klaus Pfenning

arbeitete jahrzehntelang in der Unternehmenskommunikation. Statt über Druckmaschinen, Schaltanlagen oder Gabelstapler schreibt er heute lieber über andere Dinge: guten Wein, tolles Essen, spannende Reisen.