
Als ich Kollegen und Freunden erzählte, dass ich zwei Wochen nach Kolumbien reisen werde, hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Die häufigste Reaktion war: „Pass auf Dich auf.“ Assoziiert man Kolumbien doch als erstes mit Drogenbanden, Entführungen eben ganz schlicht, mit unkalkulierbarer Kriminalität. Jedoch wie sagte Alexander von Humboldt: „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung derer, welche sich die Welt nie angeschaut haben.“ Auf geht’s!

Nach gut zwölf Stunden Flug hat man es geschafft und landet dort wovon all die Eroberer wie Francisco Pizarro oder auch Hernán Cortés und vor ihnen auch Christoph Kolumbus geträumt haben: El Dorado. So der Name des Flughafens der kolumbianischen Hauptstadt Bogota.
Schmuckloses Bogota

Bei der Fahrt in die Sieben-Millionen-Einwohner Stadt kommt indes kein Gefühl von sagenhaftem Reichtum auf, wie man ihn mit dem Begriff El Dorado verbindet. Eher schmucklose Häuser. Als ich im Hotel nachfrage, welche Sehenswürdigkeiten ich gesehen haben müsse, empfiehlt mir der Concierge ein nahegelegenes Shoppingcenter. Die Zuständige der Tourismusagentur meint, ich solle mir irgendeine Bar anschauen. Und überhaupt sei es in der Stadt nicht so sicher. Ich lasse mich nicht abschrecken und sage dem Taxifahrer er solle mich in die City bringen.

Schnell wird klar, Bogota gehört nicht zu den Städten, die man gesehen haben muss. Immerhin rings um den Präsidentenpalast gibt es so etwas wie eine Altstadt mit einigen historischen Gebäuden aus der spanischen Kolonialzeit. Doch gleich um die Ecke drängen sich tausende Menschen auf der Straße. Jeder versucht, irgendetwas zu verkaufen und mittendrin fühle ich mich wie ein Außerirdischer. Sieht man in anderen Metropolen der Welt Touristen flanieren, fühlt man sich in Bogota doch sehr allein.
Liebe auf den zweiten Blick

Indes gibt es etliche Gründe dem Land doch einen Besuch abzustatten. Als einziges südamerikanisches Land kann Kolumbien Strände zweier Ozeane bieten. Pazifik im Westen, Karibik im Norden. Ganz im Süden trifft das Wort magisch ganz sicher zu. Dort fließt der Amazonas ein Stück durch das Land. Im Grenzgebiet Peru, Brasilien. Im Landesinneren gibt es wilde Berglandschaften und verträumte kleine Orte wie man sie sich in Lateinamerika besser nicht vorstellen kann. Etwa der kleine Ort Jardin, der mitten in der Kaffeeregion des Landes liegt.

Die nicht allzu weit entfernte zweite Metropole Kolumbiens, Medellín, lockt immerhin mit einer landschaftlich interessanten Lage, Botero-Plastiken, einem schönen Naturpark gleich am Stadtrand und einer pulsierenden Kneipenszene. Dazu ein ganzjähriges Frühlingsklima. Die Zeiten der Drogenkriege sind längst vorbei. Touristisches Potential ist vorhanden. Vor allem ist da der bereits erwähnte Fluss. Also genug der Vorrede, ab zum Flughafen und in gut zwei Stunden ist man ganz im Süden des Landes.
Faszination Regenwald

Sicherlich ist es kein Ort für einen Erholungsurlaub. Amazonas bedeutet Abenteuer, bedeutet Hitze und unglaubliche Luftfeuchtigkeit. Das alles gepaart mit einem artenreichen Regenwald. Lediglich der Nil überragt ihn um gerade mal 400 Kilometer. Gut sechseinhalbtausend Kilometer schlängelt er sich durchs nördliche Südamerika. Sein Einzugsgebiet indes ist, ob der vielen Nebenflüsse, u.a. der Orinoco, auf dem auch Humboldt unterwegs war, weit größer als das des afrikanischen längsten Stroms der Erde. Vielleicht ist auch sein Name etwas magischer: Amazonas.

Die Entdeckungsreise zu diesem Sehnsuchtsort begann im südkolumbianischen Leticia. Schon der Flug über das Land lässt einen erahnen, was wohl die frühen Konquistadoren für Strapazen auszuhalten hatten. Regenwald, Regenwald, Regenwald, soweit das Auge blicken kann. Man bekommt ein Gefühl dafür, wie sich die Konquistadoren gefühlt haben müssen, als sie im 15. und 16. Jahrhundert die unberührte Wildnis auf der Suche nach El Dorado durchstreiften. Dieses Gefühl verstärkt sich augenblicklich, wenn man in Leticia aus dem Flugzeug entsteigt. Fast 85 Prozent Luftfeuchtigkeit, bei fast 30 Grad im Dezember.
Freiländereck am Amazonas

In Leticia kann man sich entscheiden, welches Land man für eine Amazonastour nutzen möchte. Kolumbien, Brasilien und Peru bilden hier ein Dreieck. Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich Kolumbien in einen Krieg mit Peru diesen Zipfel und damit den Zugang zum Amazonas gesichert. Verschiedene Anbieter offerieren Touren in die Region. Bei unserer Fahrt in Richtung Puerto Narino wird deutlich, der Fluss ist so etwas wie die Hauptschlagader der Region. Die Schnellboote der Lineas Amazonas (so etwas wie die S-Bahn der Gegend) sind allgegenwärtig, etliche kleine Langboote surren beladen zu abgelegenen Siedlungen, Fischer gehen ihrem Tagwerk nach (immerhin zählt der Amazonas zu den artenreichsten Flüssen der Welt).

Links Peru, rechts Kolumbien erreichen wir nach gut zwei Stunden den zweitgrößten Ort des kolumbianischen Amazonas. Immerhin es gibt so etwas wie ein Hotel. Nach europäischen Maßstäben hätte es jedoch nicht mal einen Stern. Aber es ist sauber und steht zum Verkauf. Vielleicht etwas für abenteuerlustige Auswanderer. Touristisch hätte man da allerdings noch einiges zu tun. Nichts ist da, was man hierzulande touristische Infrastruktur nennt. Dabei wäre doch vielleicht gerade das etwas, was den Einwohnern ein Einkommen und dem Land auch mehr Touristen bringen könnte.
Piranha als Essgenuss

Der Ort ist wie alle in der Region nur per Boot erreichbar. Ein Blick von einem hölzernen Aussichtsturm zeigt in alle Richtungen nur grün. Fischfang ist die Hauptarbeit der Einwohner. Trotz der für einen Europäer unerträglichen Luftfeuchtigkeit und der hohen Temperaturen, kicken Jugendliche. Vielleicht die einzige mögliche Abwechslung. Am frühen Morgen, nachdem wir einen Ausflug auf einen kleinen See gemacht haben, um Amazonasdelfine und das morgendliche Erwachen der Vögel zu beobachten, sind bei der Rückkehr nach Puerto Narino gefühlt alle Einwohner am Ufer. Frischer Fisch- unter anderem Piranha wird gehandelt, Obst, Maismehl, Reis. Viel mehr gibt die Speisekarte nicht her. Doch immerhin gibt es eine kleine Bar im Ort und noch so etwas wie den Anschein von Zivilisation.

Die ändert sich bei der Weiterfahrt zum Amacayacu River. Dort fühlt man sich endgültig angekommen im Dschungel. Kaum ein Boot begegnet uns noch. Nur hier und da noch ein einsamer Fischer in einem Einbaum. San Martin ist eine winzige Siedlung der Ureinwohner. Eine Holländerin betreibt hier die Casa Gregorio – Boutique Hotel & Restaurant. Hört sich an sich nicht schlecht an. Sind aber lediglich ein paar zusammen gehämmerte Bretterbauten. Das Duschwasser kommt aus Regenwasser-Sammelbehältern, Strom gibt es stundenweise von einem Generator, das Handy ist ohne Empfang, Ananas kann man im Dschungel frisch pflücken. Willkommen im natürlichen Amazonasleben.
Unerlässliche Gummistiefel

Da es irgendwie immer wieder mal regnet, sollte man bei seiner Reise dringend an ein Regencape und Gummistiefel denken. Bei Wanderungen durch den Wald kann man schnell mal mehr als knöcheltief im Schlamm versinken. Besonders wenn man einen Reiseführer wie den meinen hat, der meint nun wirklich an die Grenzen gehen zu müssen. Also eine Nachtwanderung durch den finsteren Regenwald mit den abenteuerlichsten Geräuschen der Begegnung mit Jaguar-Jägern und dem ständigen Blick nach Schlangen. Wenn dann noch bei der geplant eineinhalbstündigen Rückfahrt auf dem Amacayacu nach wenigen Minuten das Benzin alle ist, ist das Abenteuer komplett.

Immerhin ein Paddel rettete uns bis zu einem verlassenen Haus, von dem der Guide wusste, dass es da ein Telefon gibt. Dann warten auf das Boot mit neuem Benzin. Dies war wieder ein Beispiel für die touristische Unbedarftheit der Einheimischen. Man mag sich nicht vorstellen, was wohl normale Touristen nach so einem Erlebnis alles angestellt hätten. Fast vier Stunden auf einem schmalen dunklen, besser gesagt schwarzen Fluss, abendliche Kühle und Feuchtigkeit, rings herum das Konzert des Regenwaldes und überall blinkende Glühwürmchen. Es wird deutlich, dass der Regenwald vor allem ein gigantisches Hörspiel ist.
Gut getarnte Artenvielfalt

Die meisten Tiere sind Fluchttiere und so erlebt man kaum mehr als ihre Geräusche. Nun ja, wir haben es überlebt. Aber wie gesagt. Eine normale Touristengruppe hätte hinterher sicherlich einen Anwalt beschäftigt. Zumal es unser Führer nicht mal für nötig befand, ein Wort der Entschuldigung zu finden. Doch zum Glück war der Aufenthalt in dem sogenannten Hotel nur eine Nacht. Auch die versprochene Artenvielfalt hielt sich versteckt.

Dies änderte sich im auf peruanischem Gebiet gelegenen Reserva Natural Marasha. Etwa drei Kilometer vom Ufer des Amazonas entfernt ist die Hauptanlage des Parks an einem See gelegen. Es gibt sogar einen Pool. Ein Zaunkäfig am Rande einer Steganlage soll baden möglich machen. Ein kleiner Junge probierte es und wurde prompt von einem Piranha gebissen. Immerhin war es kein Kaimane. Hunderte Vögel in den Wipfeln der Bäume sorgen für ein Begrüßungskonzert, Papageien krächzen ein Olá, ein Tucan ist völlig unbeeindruckt. Am Abend gesellte sich eine gutmütige Familie Capybara (Wasserschweine) hinzu. Doch auch hier gibt es Strom nur stundenweise (schnell wieder die Fotoakkus aufladen!), das Telefon bleibt wiederum stumm. Dies ist vielleicht mal ganz schön. Man schläft in einem im See gelegenen Haus. Nur per Boot zu erreichen.
Wo Mangel zum Konzept gehört

Warum es nicht möglich ist im Speisesaal auch ein Bier oder Wein oder Rum/Cola oder sonstiges anbieten zu können, erschließt sich nicht. Wäre das doch eine Möglichkeit, Einnahmen zu generieren, die dann wieder zur Verbesserung der Infrastruktur genutzt werden könnten. Doch dies nur am Rande.

In der Dämmerung und Nacht ist eine Fahrt über den See besonders beeindruckend, ja fast magisch. Ein Teil der Bewohner geht zur Ruh, ein anderer erwacht. So kann man jetzt kurz über der spiegelglatten Wasseroberfläche die leuchtenden Augen von Kaimanen entdecken. Mit viel Glück sieht man eine Anakonda. Tagsüber werden Wanderungen und Angeltouren angeboten oder man paddelt einfach durch schmale Mangroven gesäumte Kanäle. Wobei man tunlichst nicht kentern sollte. Denn außer den erwähnten Piranhas, sind da eben auch Kaimane und Schlangen und wer weiß was noch alles.

Piranhas stehen übrigens hin und wieder auch auf der Speisekarte. Oder besser gesagt kommen auf den Tisch. Eine Speisekarte wäre ziemlich leer. Es gibt Reis und Fisch, wahlweise Fisch und Reis, dazu Fruchtsäfte, Kaffee und Wasser. Gewürze jedweder Art sind nicht vorhanden und man wundert sich, wie man an sich guten Fisch so trocken braten bzw. grillen kann.
Ein Hauch von Zivilisation

Nach fast einer Woche jenseits der Welt war ich dann wirklich froh wieder in Leticia zu sein. Auch wenn der Ort nur sehr klein ist, versprach er doch Zivilisation und einen kalten Drink. Von dort noch der Flug nach Bogota, ins Hotel und endlich eine schöne lange warme Dusche.
Man muss sich auf eine Reise zum und auf dem Amazonas einlassen. Dann jedoch ist es ein unvergleichliches Abenteuer und vielleicht das Beste, was man je erlebt hat.
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Pressestimmen
„Das handliche Buch hält neben allerlei Historischem und Kuriosem vor allem Unmengen an Tipps rund ums Defäkieren und Urinieren außerhalb des geschützten Rahmens der heimischen Toilette bereit – eine echte Leseempfehlung für alle, die tiefer ins Thema einsteigen wollen“, urteilte die Saarbrücker Zeitung„Der ultimative Klo-Ratgeber für Natur-Liebhaber“, befand die Hamburger Morgenpost. „How to shit in the woods (…) erklärt auf 96 Seiten viel Einleuchtendes zur Theorie des Sich-Erleichterns“, schrieb Die ZEIT; „eine gleichermaßen nützliche wie vergnügliche Lektüre“ lautete das Fazit der Wanderlust und „allerhand Tipps für das dringende Bedürfnis in der Wildnis“, wertete die Bild-Zeitung.
Karsten-Thilo Raab berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen gemacht als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführer sowie Bildbänden.
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Honza Klein
Der Berliner hat für diverse Radiosender gearbeitet, war viele Jahre Redakteur bei der Berliner Morgenpost, hat an Büchern über Berlin mitgearbeitet und ist u.a. Autor für die Super Illu und Gastgeber einer Talksendung bei TV Berlin.