Erst 40 Jahre später ist das bis zu 51 Grad Celsius heiße Wasser in Leukerbad zu genießen. So lange lassen sich die Abermillionen Regentropfen Zeit, um sich erst mal 3.000 Meter von oben auf dem Gemmi-Massiv durch die Schieferberge zu schlängeln.
Aber es geht noch tiefer. So suchen sich die nassen Tropfen weitere 500 Meter unter dem Meeresspiegel ihre Endstation. Dann wird es doch zu heiß, dort unten in der Tiefe. Nichts wie nach oben. Ziel ist eine der circa 68 heißen Quellen des 1.411 Meter hoch gelegenen Kurorts Leukerbad im schweizerischen Wallis. Hier warten schon die bade- und gesundheitsbewussten Gäste auf das heiße Gut. Im „51 Grad“ in der Kurparkstrasse 49 müssen sich die Badenixen und Wassermänner sogar noch etwas länger gedulden. Den großen Zeh in so heißes Wasser zu stecken, wäre keine gute Idee. So braucht die dampfende Quelle erst mal selbst eine kleine Abkühlung.
300 Tage Sonnenschein
Bei schlechterem Wetter – was im Wallis mit seinen 300 Tagen Sonnenschein eher selten vorkommt – wirken die romantischen Sträßchen in Leukerbad schnell wie ausgestorben. Alle zieht es ins kuschelige Nass. Kuschelig ist es dann alle mal, da die Badenden nicht mehr ganz alleine das nasse Element genießen können.
Wie viele Römer das gesundheitsfördernde Wasser in voller Montur genossen haben, ist nicht überliefert. Aber, dass sie da waren schon. Nun, wenn das Wasser gut 40 Jahre zum Versickern braucht, baden die Badenden vielleicht zusammen mit Wassertropfen, die eine lange Geschichte haben. Wer weiß das schon? Aber es geht noch weiter in die Vergangenheit zurück. Schon in der Bronzezeit um 1.800 vor Christus diente der Gemmi als Passübergang und heiße Quellen waren immer gerne willkommen.
Wasser, der Quell des Lebens
Als Kenner der traumhaft schönen Gegend, Naturfotograf und Wanderführer mit Herz und Leidenschaft erzählt Philippe Doisy mit einem verschmitzten Lächeln „Wir haben hier eher das Problem, kaltes Wasser zu bekommen.“ Sein sonnenverwöhntes Gesicht bestätigt, dass der ältere, drahtige Herr viel Zeit draußen in der Natur und auf den Bergen verbringt.
Hoch auf die Berge. Der Blick schweift über die schmucken Holzhäuser, die sich dekorativ den Berg hochziehen und weiter nach oben auf die massiven Felsen mit ihren oft schneebedeckten Spitzen. Trainierte Bergfreunde erklimmen den 2.350 Meter hohen Gemmi selbstverständlich zu Fuß.
Hoch hinauf auf den Gemmi
Für den durchtrainierten, ehemaligen Professor der Physik, Philippe, kein Problem. „In eineinhalb Stunden bin ich oben“, meint er – mit Sicherheit – ohne zu übertreiben. Gut, dass es für die Flachlandjünger jede halbe Stunde die Gemmi-Bahn gibt, die dafür sorgt, dass diese gut und gesund oben ankommen. Die entspannte Fahrt führt zuerst über saftig grüne Wiesen, um dann vorbei an Bäumen gemächlich über die helle Felswand zu schweben.
Philippe zeigt nicht nur die dunkelbraunen Gämse, die geschickt über die Felsen springen. Besonderen Augenmerk legt er auf den Wanderweg, der sich im Zickzackkurs nach oben schlängelt. Nichts für schwache Nerven, für Philippe kein Thema. „Der Weg ist immer mindestens einen Schuh breit, also kein Problem.“ Auch die filigran wirkende Metallleiter, die überwunden werden muss, bleibt nicht unerläutert. „Da muss man halt ein bisschen aufpassen!“
Aktivitäten pur oberhalb von Leukerbad
Aber immerhin gibt er einen guten Ratschlag. „Von unten nach oben ist es einfacher, anders herum etwas schwieriger, da man immer in den Abgrund schaut.“ Die Gäste in der Bahn, die sich mal vorsichtshalber an der Reling festhalten, nicken und tun so, als wäre das ja eh klar.
Aber Spaß bei Seite. Leukerbad ist definitiv mehr als nur „Bad“. Abwechslungsreiches Wandern, Klettern in verschiedenen Schwierigkeitsstufen, Mountainbiking auf gut ausgebauten Trails und Paragliding mit weitläufigen Landeplätzen sind nur ein paar der Sportarten, die hier fester Bestandteil der Aktivitäten ausmachen.
Berg mit traumhafter Aussicht
Gemächlich ruckeltet die Gemmi-Gondel in ihre Endstation und wie erwartet, werden die Jacken etwas enger gezogen. Neben dem oft kalten Wind, der über das Plateau fegt, sind es einige, deutlich spürbare Grade kälter als unten im Städtchen. So kann auch schon mal Mitte September ein eisiger, mit Schneeflocken angereicherter Wind, einem um die Nase fegen.
Oben eröffnen sich grandiose Aussichten auf mehrere 4.000 Meter hohe Berge wie zum Beispiel das Nadelhorn, den Dom, den Nord-End und das Matterhorn. Wanderwege, wie der fünf Kilometer lange Gemmiweg, laden ein, die karge Landschaft weiter zu Fuß zu erkunden. Mit einer Höhendifferenz von 900 Metern, eine grandiose Erfahrung für geübte Wanderer. Wobei die Strecke seit dem Jahre 1.740 sogar leichter begehbar gemacht wurde. Tiroler Bergleute erschufen an den schwierigsten Stellen Treppen. Wer noch mehr will, erklimmt den Klettersteig Gemmiwand oder den großen Klettersteig Daubenhorn, der zu den längsten und schwierigsten in Europa zählt.
Seltene Fauna und Flora
Rund um den höchst gelegenen Natursees Europas, dem Daubensee, sprießen nur wenige Pflanzen. Seinen Höchststand erreicht er im Juli, wenn er vom Schmelzwasser getränkt wird. Dann versickert das Wasser im porösen Boden bis etwa Oktober und es bleibt ein ausgetrockneter See, der im Winter für Langlauf genutzt werden kann. Wo das Wasser dann nach mehr als 40 Jahren wieder nach oben tritt, ist ja kein Geheimnis mehr.
Schautafeln im Ankunftsbereich verdeutlichen die Vielzahl der Tiere, die hier oben auf den Bergen ihr Zuhause haben. Glücklich sind die, die einen Blick auf den majestätischen Bartgeier, mit seinen bis zu drei Metern Flügelspannweite, werfen können. Als Knochen- und Aasvernichter sorgt er für eine ausgeglichene, gesunde Natur.
Malerisches Städtchen Leukerbad
Tief beeindruckt und verzaubert von dem Panorama, der frischen, vor allen Dingen in den Morgenstunden, klaren Luft, fährt es sich gemütlich wieder nach unten, zurück ins Grüne und ins malerische Städtchen Leukerbad mit seinen schmucken Holzhäusern, einladenden Restaurants und kleinen Läden, für einen Bummel durch den Thermalkurort.
Und schon lockt das nächste Highlight, das diese traumhafte Landschaft im Süden der Schweiz zu bieten hat. Noch ein kurzer Spaziergang durchs Dorf. Plötzlich bleibt Philippe erst mal an einem uralten Holzhäuschen stehen. Er deutet mit einem aufmerksamen Blick, unten auf den Sockel des Häuschens, auf einen Balken, der aussieht, als wenn er die Holzhütte stützen würde.
Geschichten von früher
Kurioserweise steckt zwischen dem senkrechten Balken ein riesiger Stein. „Warum wohl sind diese brachialen Steine so eingefügt worden?“, fragt er in die ratlosen Gesichter rundum. „Vielleicht wegen der Stabilität?“, ratet ein älterer Herr mit schwarzem Hut einfach mal drauf los. Die anderen Spaziergänger, die neugierig stehen geblieben sind, nicken sich eifrig zu. „Nein,“ lacht Philippe laut auf. Diese Antwort hat er natürlich erwartet. „Diese so genannten Mäusesteine wurden immer da angebracht, wo die unbeliebten Nagetierchen ausgeschlossen werden sollten.“
Dann erklärt er weiter: „Zum Beispiel wenn Nahrungsmittel in den Häusern oder Hütten gelagert wurden. Die Mäuschen schaffen es ohne Mühe, die Holzbalken zu erklimmen, aber an den waagrechten Steinen sind sie nicht vorbeigekommen.“ Noch nicht ganz ausgesprochen, scheint das so logisch, wie es nur logisch sein kann.
Rein in die Dalaschlucht
Einige Zeit weiter und ein gut sichtbarer Wegweiser mit der Aufschrift „Dalaschlucht“ zeigt den Weg zuerst gemächlich hinein in den Wald, den alle erwartungsvoll einschlagen. Und dann verrät das tosende Rauschen des Flusses, was es auf sich hat, mit der berühmten Dalaschlucht. Rechts der Schlucht, nach oben führend, ermöglicht der Thermalquellen-Steg die famosen Blicke über das laut rauschende Flussbett.
In der für manche vielleicht schon schwindelerregender Höhe von vier Metern über dem Wasser, erstreckt sich der fast 600 Meter lange Metallsteg. Der Blick geht durch den Gitterboden nach unten, Metallseile ermöglichen einen festen Halt, so dass niemand wirklich ins Schwanken kommt. Der Weg zieht sich langsam den Berg hinauf und ist auch gut für wenig geübte Wanderer machbar.
Die Kraft des Wassers
Faszinierend, wie der Fluss mit all seiner Kraft sich durch das Gestein seinen ganz eigenen Weg ausgespült hat. Immer wieder sammelt sich das Wasser in kleinen Becken, um sich dann wieder rauschend und tobend weiter ins Tal aufzumachen. Brachiale, hohe Felswände gegenüber zeigen eindrucksvoll die Gesteinsschichten in bunten Farben. Rostrote Stellen erklären den Eisengehalt des Thermalwassers, das sich aus den Felsen herausdrückt.
Der Blick zurück lohnt allemal. Unten das helle Flussbett mit seinem Gebirgswasser, oft bemooste Gesteinsflächen, grüne Bäume und Sträucher, im Hintergrund die Felswände des Gemmis und der meist strahlend blaue Himmel. Wird der Blick wieder weiter oben gerichtet, erscheinen die 21 Meter lange Hängebrücke und die Metalltreppen, die noch überwunden werden müssen.
Thermalquelle zum Greifen nah
Aber zuerst lohnt ein Stopp an einem Schild, das auf eine Thermalquelle tief unten neben dem Flussbett aufmerksam macht. Mit einem Seilantrieb kann ein Töpfchen nach unten befördert und das heiße Wasser nach oben gezogen werden. Ein Muss ist es, die Hände ins Töpfchen zu halten. Überraschend, wie warm das Thermalwasser doch ist.
Nach dieser weiteren Abwechslung geht es über die Hängebrücke, die natürlich leicht wackelt beim Überqueren, und dann über Treppenleitern neben dem 35 Meter hohen Wasserfall hinauf. Ein bisschen schwindelfrei sollten die Wanderer sein, doch wenn sich Zeit gelassen wird, ist dies auch für weniger Geübte problemlos machbar.
Natur pur
Wer sich direkt wieder ins Dorf aufmacht, nimmt den beschilderten Weg nach rechts über eine kleine Holzbrücke und erreicht in etwa 20 Minuten wieder Leuckerbad. Viele nutzen die Zeit aber und machen sich auf, die Berge und die wunderschöne Landschaft weiter zu erkunden.
Wieder in Leukerbad eingetroffen kommt Philippe Doisy nochmals auf die gesundheitsfördernden Thermalquellen im Dorf zurück. „Wissen sie,“ meint er mit einem Blick auf die Mountainbiker, die sportlich durch die enge Dorfstraße donnern, „die, die Sport machen, wissen wenigstens warum sie manchmal Wehwehchen haben, die die kein Sport machen, haben auch Wehwehchen, wissen aber nicht warum.“ Schmunzelnd machen sich dann alle auf, um ein entspannendes Bad in einer der heißen Thermalquellen von Leuckerbad zu genießen. Und noch eine kleine Anmerkung: das Wallis ist günstiger als gedacht.
Wissenswertes zu Leukerbad und Tipps in Kurzform
Informationen: www.wallis.ch und www.leukerbad.ch
Tipps zur Anfahrt: Entspanntes Anreisen mit dem Swiss Travel Pass des Swiss Travel System (STS) für unbegrenztes Reisen mit Bahn, Bus und Schiff durch die Schweiz plus Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel in 90 Städten. Zusätzlich noch freier Eintritt in über 500 Museen, Bergausflüge: Rigi, Stanserhorn und Stoos sowie bis zu 50 Prozent Rabatt auf weitere Bergausflüge. Weitere Informationen unter www.sbb.ch.
Übernachtungstipp: Ruhig, in der Nähe des Kurparks gelegen, bietet der Quellenhof verschiedene Zimmerkategorien und beherbergt ein sehr gutes Restaurant. Hier werden die Gäste herzlich willkommen geheißen. Weitere Informationen unter: www.quellenhof-leukerbad.ch
Preise im Wallis: Interessanterweise ist es im Wallis nicht so teuer, wie vermutet. So kostet ein halber Liter frisch gezapftes Bier in dem wunderschönen Gemmi Panoramarestaurant ab 5,80 Franken und das mit grandioser Aussicht.
Oder leckeres Fondue für 25 Franken pro Person auch mit traumhaftem Panoramablick auf die Mont-Blanc-Kette auf 1.970 Metern Höhe im Restaurant Emosson. Je nach Saison wird auch Raclette für 25 Franken pro Person angeboten. Dann Nachschlag so viel wie gewünscht oder essbar. Anreisetipp: Fahrt mit dem Mont Blanc Express nach Finhaut und dann mit dem VerticAlp
Emosson zum Staudamm.
Die Recherche fand auf Einladung / mit Unterstützung von Schweiz Tourismus statt.
Susanne Timmann
lebt im Rheinland, ist aber in der Welt zuhause. Seit 2022 fungiert sie als stellvertretende Chefredakteurin des Mortimer Reisemagazins, für das sie Beiträge in Wort und (Bewegt-) Bild über Destinationen weltweit verfasst.