
Was ist die beste Gesundheitsprophylaxe, um trüben und stürmischen Herbst- und Wintertagen aktiv Paroli zu bieten? „Vitamin Sea“, was sonst? Noch einmal richtig Sonne und Wärme tanken, das Auge mit dem türkisblauen Meer verwöhnen und das am liebsten an einem einsamen Strand. Natürlich abseits vom Massentourismus, den es glücklicherweise auf Lesbos nicht gibt. Was nicht bedeutet, dass die drittgrößte Insel Griechenlands nicht ihre Liebhaber hat.

Die wunderbare Tarti Beach gibt es am südöstlichen Zipfel des Platanenblatts – so die Form des Eilands – zu entdecken. Wer diesen Ort in der Nachsaison und in der Woche ansteuert, hat ihn fast für sich allein und kann der erholsamen Langeweile frönen. Auf dem Weg dorthin ist allerdings Wachsamkeit geboten, um die entsprechenden Wegmarkierungen nicht zu verpassen. An der „Tavern Sebastian“ links ab und dann noch 300 Meter, gibt es ausreichend Parkplätze. 300 Meter, die reichlich amüsieren, ob ihrer Serpentinen und Topographie.
Entspannte Genussmomente

Wie eine Sprungschanze erscheinen die letzten Meter, die Vollgas und Mut einfordern, ohne sehen zu können, was danach kommt. On top geht es ebenso rasant steil hinab zum Meer. Da bleibt der Rückweg auch spannend. Im Restaurant sitzt ein älterer Grieche, der sich über das Bedenken der Besucherin amüsiert: „Von wo kommen Sie? Aus den flachen Niederlanden?“ Bei „Germany“ bricht er in großes Gelächter aus: „Ihr habt doch auch Berge in Bayern, das hier dürfte das doch kein Problem sein…“.

Lesbos ist mit seinen die ornitho-touristischen Höhepunkten vor allem für passionierte Vogelkundler und -fotografen aller Nationen der „Hot spot“, besonders natürlich im Frühjahr. Ausgerüstet mit Kameras und Teleskopen mit den Ausmaßen eines Megaphons und dem Wert eines Kleinwagens, schwärmen sie unerschrocken wie der Wanderfalke in aller Herrgottsfrühe aus. Der frühe Vogel fängt den Wurm und die Ornithologen ergattern ihre Chancen die Inselhoheit – den Türkenkleiber – vor das Objekt zu bekommen. Oder den Maskenwürger, den Türkenkleiber, den Bienenfresser, die Schabrackenlibelle, die Orpheusgrasmücke oder weitere Schönheiten von 300 hier existierenden Vogelarten und der 50 Schmetterlings- und 80 Orchideenarten.
Treffpunkt für Ornithologen

An der Hafenlinie der Hauptstadt Mytilini prunkt sie auf einem hohen Sockel: Sappho (um 612/630 v. Chr.), die erste Lyrikerin der Geschichte und einer der Größten der Antike. Ihre Dichtung, die sich auf die Liebe zu Frauen konzentrierte und ihre erotisch gefärbte Zuneigung zu den Mädchen, die sie in ihrem Zirkel unterrichtete, machte sie zu einer Ikone in der Frauengeschichte und der Frauenwelt auch außerhalb ihres Geburtsortes Skala Eressoú.

In diesem Jahr feierte das „International Eressos Women‘s Festival“ in Skala Eressoú bereits sein 25-Jähriges. Alljährlich kommen hier Frauen aus aller Welt zusammen, um zu feiern, sich auszutauschen, Konzerte und Workshops vielfältiger Art gemeinsam zu genießen.
Einflussreiche Powerfrau

Die Griechin Tzeli Hadjidimitriou ist Filmemacherin, Fotografin und Autorin (A girls guide to Lesbos) und hat unlängst den Dokumentarfilm „Lesvia“ herausgebracht. Er erzählt ihre lesbische Autobiografie und die Geschichte der Frauengemeinschaft, die sich seit den 1970er Jahren in Skala Eressoú formierte.

Zurück in die Hauptstadt. Das Flanieren durch die Altstadt von Mytilini lohnt sich. Moderne Geschäfte wechseln sich hier ab mit lost places, die der Kamera außergewöhnliche Motive liefern. Wie in vielen anderen Städten europaweit nagt auch hier der Zahn der Zeit und der Wirtschaftswandel an einigen Lokalitäten.

Lesbos geriet vor allem besonders 2015/16 durch den großen Flüchtlingsstrom aus Syrien und anderen Ländern weltweit in die Medien. Da die Insel nur knapp zehn Kilometer von der Türkei entfernt ist, entwickelte sie sich zur attraktiven ersten Anlaufstelle. Nahe Moria befand sich eine ehemalige Armeeanlage, die als Flüchtlingsunterkunft diente.
Spuren der Flüchtlingskrise

Ausgelegt war die Anlage für etwa 2.800 Menschen, beherbergte aber teilweise die zehnfache Personenzahl. Ein Brand zerstörte das Lager 2020, woraufhin die Menschen an andere Orte umgesiedelt wurden. Heute leben etwa 700 Flüchtlinge im Camp Kara Tepe nordöstlich der Hauptstadt. Ein weiteres Camp ist im Inland, in Vastria geplant, wurde jedoch aufgrund von Menschenrechts- und Umweltbedenken gestoppt.

„Empathie ist die Medizin, die die Welt braucht“, so liest sich die Empfehlung im Fenster von Ubuntu, die die Flaneurin veranlasst, kurz zu Verweilen. Ubuntu ist ein Begriff aus der afrikanischen Philosophie und ist ein Plädoyer – „ich bin, weil wir sind“ – für ein menschliches Miteinander. Diesen Namen gab sich die örtliche Flüchtlingsinitiative, die die Menschen unterstützt, um hier gut anzukommen. „Wir begleiten sie beispielsweise auf dem Weg, offizielle Papiere zu bekommen, ein Bankkonto zu eröffnen und eine Krankenversicherung zu organisieren, damit es schneller geht“, erklärt Stavros Mirogiannis, einer der Hauptakteure. Aktivitäten für Kinder werden hier angeboten sowie Sprachkurse in Englisch und Griechisch.
Auf den Spuren der Geschichte

Bereits im 2. und 3. Jahrhundert waren die Römer hier unterwegs. Unter anderem, um in der Nähe von Moria inmitten von Olivenhainen, ein dreistöckiges Aquädukt zu bauen. Seinerzeit verlief die Leitung über mehr als 25 Kilometer vom Berg Olympos bis nach Mytilini. 17 Bögen, bis zu 27 Meter hoch, umfasste das Aquädukt, das sich auf 170 Metern Länge über das Tal spannte. Die imposanten Überreste lassen sich heute noch bestaunen.

Eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 Stundenkilometermuss auf der Insel wohl nicht diskutiert werden. Die Straßen sind in einem sehr guten Zustand, erlauben aber selten mehr als 50 bis 70 Stundenkilometer. Umso schöner, umso entspannter. Lässt sich das sanfte Cruisen über die Serpentinen, vorbei an Olivenhainen (bis zu zwölf Millionen Exemplare soll es auf der Insel geben), die mit ihren knorrigen Exemplaren wie Skulpturengärten anmuten, und das wunderbare Meer zu einer Seite, so doch am besten genießen.
Landpartie mit Entspannungsfaktor

Wobei sich manchmal auch das Gefühl einstellt, durch ein Wohnzimmer zu fahren. Wenn beispielsweise mitten in der Kurve rechts ein Fischhändler auftaucht und links ein Restaurant. Amüsant auch, wenn sich Reisebus oder Betonmischer mit einem Pkw die Fahrbahn teilen, während einige betagte Herrschaften auf kleinen Stühlen auf dem recht schmalen Bürgersteig sitzen, um das illustre Schauspiel zu verfolgen.

„Votsala“ bedeutet aus dem griechischen übersetzt „Kiesel“. Diesen Namen trägt eine charmante Hotelanlage in Pirgis Thermi aus den 1960er Jahren. Dieser Kiesel, ist wahrhaftig ein kleiner Diamant, unweit der Hauptstadt. „Hotel Votsala“ ist eine der besten Adresse für Gäste, die im Urlaub gerne entspannen, aber auch andere Menschen kennenlernen möchten und offen sind für Unternehmungen.
Sich bequem betten…

Die „Votsalians“ versprechen: kein TV, kein Swimming Pool, kein all-inclusive, keine fake greek nights“. Das Hotel wird von Lina Troumpouni, ihrem Mann Christophe sowie ihren Eltern Iannis und Daphne sehr persönlich und familiär – mittlerweile in der dritten Generation – geführt. Das Familienunternehmen begeistert Jahr für Jahr immer wieder nicht nur die vielen Stammgäste. Warum? Weil der Besucher hier das gute Gefühl bekommt bei Freunden zu Gast zu sein.

Das Konzept: Ein angenehmes Miteinander. Damit die Gäste zwanglos zusammenfinden gibt es je nach Saison „special weeks“ mit historischen Wanderungen, Radtouren, Olivenernte, Yoga-Kursen und afrikanischem Trommeln.
Streifzug durch die Vergangenheit

Schwiegersohn Christophe kennt sich aus. Nicht nur auf der Insel. Der Historiker nimmt die Gäste gerne mit ins Umland, um ihnen spannende Geschichten von Sappho, den Byzantinern und den Ottomanen zu erzählen. Langweilig wird es dabei nicht.

„Wir wollen, dass unsere Gäste freundlich zueinander finden. Keiner wird allein gelassen. So entwickeln sich oftmals Freundschaften, unabhängig vom Alter und der Nationalität sowieso“, lässt Seniorchefin Daphne wissen. „Irgendwie sind wir doch alle international. Meine Vorfahren kamen auch aus der Türkei.“

Wie sehr die „Votsalians“ Gemeinwohl orientiert sind, spiegelt sich auch in vielen kleinen Annehmlichkeiten wider. So wie beim großem Büchertisch und dem sechs Meter langen Bücherregal mit internationalen Titeln zum Stöbern.
Späte Beatle-Mania

Nebendran steht ein Korb mit Sonnencreme verschiedener Güteklassen. Hinterlassenschaften von Gästen, ebenfalls zur freien Verfügung. Gut behüten kann sich auch derjenige, der seine Kopfbedeckung vergessen hat. Eine freie Auswahl hängt gleich nebenan am Kleiderständer.

In der abendlichen Runde gehört die britische Seniorin mit schlohweißem Haar immer mal wieder dazu. Mittlerweile lebt sie hier auf der Insel. Als der Barkeeper bei der Spontansession mit der Gitarre Beatles-Songs anstimmt, flippt sie aus: „Yeah, ich habe sie live gesehen, 1964“. Frage: „Habt ihr da mitgesungen?“ Antwort: „Nein, wir haben nur geschrien vor Begeisterung und gar nicht gehört, was sie gesungen haben,“ amüsiert sie sich. Interessant. Interessant auch das dieser zeitlose Freigeist im nächsten Jahr gleich nebenan in der dazugehörigen „Villa Daphnis & Chloe“ einen Yogakursus anbietet.

Wen wundert es, dass beim Rückflug mit dem Panoramablick auf das Platanenblatt-förmige Eiland, Sappho, die verehrte Tochter der Insel eine „Papierschwalbe“ vorbeischickt, die ihre Abschiedsworte „Vergiss nicht, wie lieb du mir warst!“ in Erinnerung rufen?

Buchtipp: Als informativer Begleiter empfiehlt sich der Reiseführer „Lesbos“ von Thomas Schröder aus dem Michael Müller Verlag. 252 Seiten mit 121 Farbfotos, 20 Wanderungen und Touren, 16,90 Euro.

Ulla Wolanewitz
lebt und fühlt sich wohl im Münsterland, arbeitet von dort als Autorin, Reise-, Kultur- und Lokaljournalistin. Sie liebt die Begegnungen mit Land und Leuten, spürt dabei interessante Themen auf und nimmt ihre Leserschaft in ihren Stories gerne mit auf die Reise.