Molossia: Mikronation mit Spaßcharakter

Molossia
An der Staatsgrenze von Molossia empfängt Präsident Kevin Baugh die Besucher gerne persönlich. – Foto: Sydney Martinez/Travel Nevada

Abgesehen von Lummerland mit Alfons dem Viertelvorzwölften gibt es wohl nicht viele Länder, in denen einen das Staatsoberhaupt persönlich begrüßt, geschweige denn sogar die Grenzkontrollen höchstpersönlich durchführt. Und wer bislang glaubte, die USA bestünden aus 50 Staaten, sollte sich nicht nur diesbezüglich täuschen. Denn inmitten der Vereinigten Staaten, genauer im US-Bundesstaat Nevada, versteckt sich mit Molossia ein für das Gros der Weltbevölkerung wohl völlig unbekannter Ministaat. Ein Land mit eigener Währung, eigener Eisenbahn und im Krieg mit der Deutschen Demokratischen Republik, obschon die DDR bereits seit 1989 nicht mehr existiert.

Molossia
Das Staatsoberhaupt nimmt die Grenzkontrollen höchst persönlich vor. – Foto: Sydney Martinez/Travel Nevada

Molossia, dessen Geschichte bis in das Jahr 1977 zurückreicht, ist mit einer Fläche von 4,5 Hektar etwa so groß wie sechseinhalb Fußballplätze. Neben Insekten und Vögeln zählt die Mikronation genau 40 Lebewesen – vier Hunde sowie 36 Männer, Frauen und Kinder. Tendenz steigend, obwohl Einbürgerungen qua Gesetz kategorisch ausgeschlossen sind. Hintergrund ist allein der Familienzuwachs in Form von Enkelkindern oder neuen Lebenspartnern, der die Bevölkerung in den zurückliegenden Jahren hat anwachsen lassen. Alle Einwohner – mit Ausnahme der schwanzwedelnden Vierbeiner – sind mit dem selbsternannten Staatsoberhaupt Kevin Baugh verwandt. Der ehemalige Soldat der US-Armee ist nicht nur Gründungsvater, sondern auch auf Lebzeiten Präsident der von ihm selbst erfundenen Republik.

Der gelebte Kindheitstraum

Bei der Passkontrolle darf der Stempel nicht fehlen. – Foto: Sydney Martinez/Travel Nevada

Mit Molossia hat sich Baugh seinen eigenen Kindheitstraum erfüllt. Als Sechsjähriger rief er am 26. Mai 1977 gemeinsam mit seinem Freund James Spielman unter dem Namen „Grand Republic of Vuldstein“ (Große Republik von Vuldstein) einen imaginären Spaßstaat ins Leben. Im Geiste haben die beiden Jungs die Idee immer weiter gesponnen. James wurde das Ganze irgendwann jedoch zu langweilig, aber Kevin Baugh hielt weiter eisern an dem Gedanken fest. Als er schließlich im Jahre 1989 in Dayton im Norden von Nevada ein Stück Land erwarb, erwachte der Kindheitstraum zum Leben: Baugh hob die Republik Molossia aus der Taufe und kürte sich selbst zum Staatsoberhaupt auf Lebzeiten.

Molossia
Das Konterfei des Präsidenten ziert sogar die ausgegebenen Wasserflaschen. – Foto: Sydney Martinez/Travel Nevada

Was viele als Spinnerei abtun dürften, werte Baugh als Ausdruck von Kreativität und Phantasie: „Schon als Kind wollte ich wissen, wie ein Land funktioniert, was einen Staat genau ausmacht“, wertet der uneingeschränkte Herrscher von Molossia das eigene Handeln ein Stück weit als gelebte politische Satire. Dies drückt sich auch in allerlei Kuriositäten aus: So müssen alle Besucher der Mikronation Zollgebühren entrichten. Die Summe ist dabei nicht einheitlich, sondern besteht schlicht aus dem mitgeführten Kleingeld des Gastes.

Walross-Verbot in der Wüste

Molossia
Zumindest für Kevin Baugh ist die Grenze zu den USA klar abgesteckt. – Foto: Sydney Martinez/Travel Nevada

Bei der Einreise wird zudem darüber informiert, was in Molossia alles verboten und unerwünscht ist: Der Bogen spannt sich von Schusswaffen, Munition, Sprengstoff, Drogen und Tabak über Glühbirnen, Plastiktüten, Seeteufel und Walrossen bis hin zu Zwiebeln, frischem Spinat, Missionaren sowie allem, was aus Texas kommt, mit Ausnahme von Kelly Clarkson, jener amerikanischen Popsängerin, Songschreiberin, Schauspielerin, Talkmasterin und Grammy-Preisträgerin.

Spielgeld aus Papier und auf Clücksspielchips bildet die Landeswährung. – Foto: Sydney Martinez/Travel Nevada

Wie es sich für ordentlichen Staat gehört – obwohl dieser nirgendwo offiziell anerkannt ist – hat Molossia eine eigene Flagge und verfügt mit „Fair Molossia is our home“ über eine eigene Nationalhymne, deren Text selbstverständlich aus der Feder von Kevin Baugh stammt. Natürlich darf auch eine eigene Währung nicht fehlen. Diese trägt den klangvollen Namen „Valora“. Das bedeutet „wertvoll“ in Esperanto, das neben Englisch und Spanisch die dritte „offizielle“ Amtssprache der Zwergrepublik ist. Der Wert des auf Pokerchips und Papier gedruckten Zahlungsmittels ist an den Wert des Teigs für Pillsbury-Cookies, der in der Molossia-Bank gelagert wird, gebunden.

Eigene Maßeinheiten

Molossia
Die Handgröße des Staatsoberhaupts bildet eine Maßeinheit in Molossia. – Foto: Sydney Martinez/Travel Nevada

Das Land hat auch seine eigenen Maßeinheiten: Ein „Norton“ entspricht mit 17,7 Zentimetern der Länge der Hand des Präsidenten; ein Square Royal Norton (sRN) ergibt 2,56 Quadratmeter, während die Gewichtseinheit „Fenwick“ dem entspricht, was ein Stück Pillsbury-Cookie-Teig auf die Waage bringt, nämlich 0,9 Kilogramm. Flüssigkeiten werden in „Simms“ gemessen, wobei ein Simms etwa 354 Millilitern oder dem Inhalt einer Coladose gleichkommt.

Zu den „Sehenswürdigkeiten“ in Molossia zählt der „Tower of the winds“, ein Windspiel aus Nummernschildern.- Foto: Sydney Martinez/Travel Nevada

Klimatisch, und das mag wenig überraschend, ähnelt Molossia dem umliegenden Wüstenstaat Nevada mit entsprechend muckeligen Temperaturen. Gemessen wird die Temperatur aber in „Zenda“. So liegt der Siedepunkt von Wasser bei 175,7 Zenda, die durchschnittliche Körpertemperatur bei 65 Zenda. Zudem reklamiert das Land mit der „Molossian Standard Time“ eine eigene Zeitzone für sich. Diese hinkt genau acht Stunden und 39 Minuten hinter der Greenwich Meantime (GMT) her.

Im Dauerkrieg mit der DDR

Für Übeltäter jeglicher Art wird sogar ein kleines Gefängnis vorgehalten. – Foto: Sydney Martinez/Travel Nevada

„Molossia ist eigentlich ein Dritte-Welt-Land ohne asphaltierte Straßen, einen Flughafen oder ein eigenes Krankenhaus“, verweist Kevin Baugh auf die anderen Errungenschaften der Mikronation. So gibt es eigene Nationalparks, wenn auch nur in Form von etwas größeren, bepflanzten Beeten, und ein eigenes Schienennetz, hinter dem sich lediglich eine Modelleisenbahn verbirgt. Zudem unterhält das kleine Reich des Baugh-Clans ein eigenes Raumfahrtprogramm, bei dem Spielzeugraketen abgefeuert werden.

Das Eisenbahnnetz von Molossia lässt allenfalls Kinderherzen höher schlagen. – Foto: Sydney Martinez/Travel Nevada

Nicht zu vergessen ist zudem die Tatsache, dass sich Molossia bis heute im Krieg mit der DDR befindet, obschon der Arbeiter- und Bauernstaat bereits seit 1989 nicht mehr existiert. Gut, dafür hat Molossia auch keine Armee, aber das ist eher nebensächlich. Während seiner Zeit in der US-Armee war Baugh in den 1980er Jahren zeitweise in Deutschland stationiert. Hier wurde seine Einheit immer wieder wegen möglicher Bedrohung aus dem Osten in Alarmbereitschaft versetzt, was dem Staatsoberhaupt der Mikronation massiv gegen den Strich ging. Kurzum erklärte er der DDR den Krieg.

Entwicklungshilfe für die USA

Molossia
Der Präsidentensitz reicht von der Größe und Ausstattung nicht ganz an das Weiße Haus in Washington heran… – Foto: Sydney Martinez/Travel Nevada

Der Mauerfall und die deutsch-deutsche Wiedervereinigung haben nichts an dem Kriegszustand verändert. Grund sei, so der Präsident von Molossia augenzwinkernd, dass das kommunistische Kuba 1972 Parteifunktionären aus der Deutschen Demokratischen Republik die kleine, unbewohnte Ernst-Thälmann-Insel geschenkt hat. Das Eiland floss aber nicht beim Vertrag zur Wiedervereinigung Deutschlands mit ein und sei daher, so die Baughsche Logik, bis heute DDR-Territorium. Da passt es ja, dass sich zwei nicht-existierende Armeen um das sieben Quadratkilometer große Fleckchen vor der kubanischen Küste streiten.

Ein eigens Postamt darf natürlich nicht fehlen. – Foto: Sydney Martinez/Travel Nevada

Wer mag, kann die kriegerische Auseinandersetzung sogar durch den Erwerb von Kriegsanleihen, den sogenannten „Molossian War Bonds“ unterstützen. Neben den erhobenen Zollgebühren in Form von Kleingeld eine weitere zentrale wie theoretische Einnahmequelle für das Zwergland in der Wüste von Nevada. Letzteres wiederum kassiert tatsächlich die in den USA obligatorischen Grundbesitzabgaben von Baugh. Doch der Präsident trägt es mit Humor, wertet die Steuern als Entwicklungshilfe für die USA und deren marodes Straßennetz.

Parallelwelt mit Humor

Natürlich werden auch zahlreiche Souvenirs feilgeboten. – Foto: Sydney Martinez/Travel Nevada

Überhaupt nimmt sich Kevin Baugh nicht sonderlich ernst. Gleichwohl stolziert er gerne in Uniform, mit einem Dutzend Orden am Revers, goldfarbenen Schulterklappen, blau-weiß-grünen Schärpe und viel zu großer Kopfbedeckung im Stile größenwahnsinniger Diktatoren und Militärfürsten durch sein Reich. Sein Präsidentenpalast ist eine Holzhütte, die zufällig auch als sein Wohnsitz fungiert. Ohne Frage sind Kevin Baugh und seine Mikronation eine gelebte Parodie auf die Staaten dieser Welt, ein Phantasiegebilde, das mit viel Humor zu einem Ausflug in eine kuriose Parallelwelt einlädt – und ganz sicher kein Platz für Aluhutträger und Verschwörungstheoretiker.

Molossia
Die Feuerwehr des Landes ist technisch nicht auf dem allerneusten Stand. – Foto: Sydney Martinez/Travel Nevada

Infomationen: Republic of Molossia, 226 Mary Lane, Dayton, Nevada, USA, www.molossia.org

Wissenswertes: Molossia liegt jeweils rund 45 Kilometer von Reno, Virginia City und dem Lake Tahoe entfernt. Von April bis Oktober kann Molossia im Rahmen von geführten Touren besichtigt werden.

Für Kevin Baugh ging mit Molossia ein Kindheitstraum in Erfüllung. – Foto: Sydney Martinez/Travel Nevada

Buchtipp: Superlative als unnützes Reisewissen

Klar lässt sich Unnützes Reisewissen von U. Peters und Karsten-Thilo Raab wie jedes andere einfach Buch von vorne nach hinten lesen. Muss man aber nicht. Das 172 Seite starke Kompendium kann auch immer wieder wahllos an einer x-beliebigen Stelle aufgeschlagen werden. Und egal, welche Vorgehensweise man bevorzugt, Fakt ist, es lässt sich auf jeder einzelnen Seite Spannendes, Faszinierendes, Kurioses, Verrücktes und/oder Amüsantes aus der Welt des Reisens in kleinen, kurzen und peppigen Texten erfahren.

Ein Sammelsurium, das für die Macher von Quizshows ein perfekte Vorbereitung garantiert; eine Sammlung, die gleichermaßen zum Staunen, zum Kopfschütteln und mitunter zum Lachen einlädt und die für jede Menge Gesprächsstoff sorgt. Und sei es, weil man Mitreisende, Freunde und Bekannte mit vermeintlich unnützem Reisewissen konfrontiert. Dies kann hier und da nerven, sorgt aber immer für launige Unterhaltung. Denn für alle, die gerne mal mit weniger bekanntem Wissen über Reiseziele auftrumpfen möchten, findet sich in dem Buch aus dem Westflügel Verlag entsprechender Input mit mehr als 800 (!)erstaunlichen Fakten, die weit über die Beschreibung eines Urlaubsortes hinausgehen.

Ein Buch, das einem im positiven Sinne nicht loslässt und ganz nebenbei ein Wissen vermittelt, das man nicht unbedingt benötigt, das aber jede Menge Spaß garantiert.

Erhältlich ist Unnützes Reisewissen (ISBN 978-3-939408-42-0) für 11,90 Euro im Buchhandel oder versandkostenfrei direkt beim Westflügel Verlag.

Karsten-Thilo Raab

berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.