
Auf der Donau in der österreichischen Wachau kreuzen Fähren den Fluss ganz ohne Motor. Nur durch die Kraft des Wassers und das Geschick des Fährmanns bewegen sie sich völlig geräuschlos von einem Ufer ans andere.
Ein, zwei kleine Bewegungen, mehr intuitiv als überlegt. Und wie von Zauberhand setzt sich die kleine Fähre in Bewegung. Ohne Geräusch, ohne Vibration, vor allem: ohne Motor. Auch nicht mit Elektromotor. Es ist die reine Kraft des strömenden Wassers, die das Gefährt quer über die Donau schiebt. Zwischen Arnsdorf und Spitz, 100 Kilometer westlich von Wien. Ohne Energieverbrauch und damit ohne CO2-Ausstoß. Seit 1928 geht das so. Ab einer Zeit also, als Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit noch nicht einmal Fremdwörter waren. Nicht nur hier, in der Wachau, im Land zwischen Klöstern und Burgen, Marillen und Grünem Veltliner, exakt 2019,1 Kilometer vor der Mündung der Donau ins Schwarze Meer.

Die kleine Fähre über den an dieser Stelle 250 Meter breiten Fluss ist eine sogenannte Rollfähre. Sie hängt mit einem Seil an einem anderen Seil, das sich wenige Meter stromaufwärts hoch über das Wasser spannt und an beiden Ufern fest verankert ist. Bei normalen Verhältnissen fließt die Donau im Sommer hier mit rund drei Metern pro Sekunde, etwa elf Kilometer pro Stunde. Dann strömen hier mehr als 1.000 Kubikmeter Wasser durch – pro Sekunde. Seine Kraft ist enorm. Und wer je auf Neckar, Ardèche oder Tarn in einem Kanu gesessen hat, der weiß aus eigener Erfahrung: jeder Stich mit dem Paddel ins Wasser verändert das Fließverhalten des Boots.
Devise: Das Ruder querstellen
Genauso ist es hier auf der Fähre, die bis zu 20 Tonnen Gewicht tragen kann. Gesteuert wird sie über ein großes, etwa 1,50 Meter großes Rad, das zwei Metallruder bewegt. Auf ihrem Weg an das andere Ufer steht die Rollfähre in einem Winkel von etwa 45 Grad gegen die Fließrichtung. Je nach Stellung der Ruder bewegt sie sich dann etwa ans linke Donau-Ufer nach Spitz oder an das rechte nach Arnsdorf. „Ruder querstellen“ lautet die Devise der Fährleute.

Ivan Oryschyn beherrscht diese Technik im Schlaf. Ähnlich wie Fahrradfahrer im Unterbewusstsein die Wackeligkeit ihrer beiden dünnen Reifen ausgleichen, spielt er, ohne groß nachzudenken, auf dem Steuerrad mit der Strömung. Seit mehr als zehn Jahren macht er diesen Job, der für ihn mehr Berufung als nur Beruf ist. Der gebürtige Ukrainer hat eigentlich in Wien Pharmazie studiert und mit dem Titel eines Magister abgeschlossen. „Aber das Fach hat mich nicht wirklich interessiert“, erzählt er. „Das habe ich nur wegen meiner Eltern gemacht.“ Vielmehr interessierte ihn der Fluss, der über Wien, Budapest und Belgrad bis fast in seine ukrainische Heimat fließt. „Einmal Donau, immer Donau“, sagt er und lächelt.
Zeit spielt keine Rolle
„Kapitän“ einer Rollfähre ist nicht etwa ein österreichischer Ehrentitel im Stile eines Frühstücksdirektors. Ivan Oryschyn besitzt wirklich ein Kapitänspatent, steuert regelmäßig auch Flusskreuzfahrtschiffe von Passau nach Budapest und wieder zurück. Fünf Tage hin, mit vielen Stopps, zwei ohne Halt wieder zurück. Seine wirkliche Welt ist aber die zwischen Arnsdorf und Spitz, Spitz und Arnsdorf, viele Male am Tag. Zwischen fünf und sieben Minuten braucht er für eine Tour, je nach Strömung. Zeit spielt hier eh keine Rolle, die Fahrgäste sind zumeist tiefenentspannt. Sie ken-nen es ja nicht anders. Betrieben wird die Fähre von den Gemeinden Spitz und Arnsdorf, Oryschyn und seine Kollegen sind also Gemeindemitarbeiter.

Einen Hilfsmotor für etwaige Notfälle hat die Fähre nicht. Liegenbleiben darf sie also nicht. Ist sie auch noch nicht. Die Donau strömt schließlich immer, mal mehr, mal weniger. Bei Hochwasser allerdings muss sie ab einem bestimmten Pegelstand am Ufer bleiben. Und auch bei Normalwasser fiel sie einmal für ein paar Wochen aus. Im Oktober 1987 flog ein Kleinflugzeug in das über den Fluss gespannte Seil. Ob aus Unachtsamkeit, wegen Alkohol am Steuerknüppel oder als geplanter Suizid – fragen konnte man keinen der vier Insassen mehr.
Transportgefährt auch für Marillen
Ausflügler, Fahrradfahrer, Wanderer und Pendler sind die Hauptklientel der Fähre. Bis zu sieben PKW passen auf sie. „Aber dann wird es eng“, lacht Ivan. Was nicht unbedingt am beengten Platzangebot liege, sondern an den Einparkkünsten der Fahrer, meint er. Im Hochsommer queren auch viele Traktoren die Donau. Dann nämlich, wenn die Marillen geerntet werden, das Nationalobst der Wachau. Vor allem auf der Südseite der Donau wachsen die gelbfleischigen, aromatischen Früchte. Die Obstbauern leben und arbeiten jedoch oft auf der mehr Platz bietenden Nordseite. Da es zwischen Melk und Krems auf fast 40 Kilometer Länge keine einzige Brücke gibt, fahren die Früchte also Fähre. Die Wachauer wollen auch gar keine Brücke. Ihre Region ist seit 25 Jahren UNESCO-Weltkulturerbe, da passt so etwas einfach nicht hin.

Die Marille! Für die Wachau steht die in Deutschland Aprikose genannte Frucht noch mehr als Wein und Heuriger. Etwa 100.000 Bäume soll es in dem gut 35 Kilometer langen Donautal geben. Wenn sie Mitte, Ende März blühen, herrscht links und rechts der Donau touristischer Ausnahmezustand. Und was machen die Wachauer nicht alles aus ihnen! Saft, Marmelade, Chutney, Eis, Kuchen, Strudel, Knödel, Wein, Likör, Brände, Gin, Balsamico. Die Wachau ohne ihre Marillen – unvorstellbar!
Langeweile? Nein!
Zurück zur Rollfähre und ihrem Kapitän. Ob es ihm nicht irgendwann doch langweilig werde, zwischen Spitz und Arnsdorf, Arnsdorf und Spitz? Ivan Oryschyn nimmt einen tiefen Zug aus einer Zigarette, bläst den Rauch nach links hinaus aus seinem kleinen Führerhaus auf den Fluss und lächelt. „Nein“, meint er. Zumal er mehr aufpassen müsse als seine Passagiere so denken. Auf Transportschiffe, Kreuzfahrtschiffe, Ausflugsschiffe, Kanufahrer. Und in der warmen Jahreszeit auch auf Schwimmer. Kürzlich seien es 32 Grad Celsius gewesen, da habe er etwa 50 Schwimmer gezählt. Sagt der Kapitän mit dem abgeschlossenen Pharmaziestudium und macht am Steuerrad die nächsten kurzen Bewegungen. Und wieder setzt sich die Fähre lautlos in Bewegung, diesmal hinüber in Richtung Arnsdorf.

Klaus Pfenning
arbeitete jahrzehntelang in der Unternehmenskommunikation. Statt über Druckmaschinen, Schaltanlagen oder Gabelstapler schreibt er heute lieber über andere Dinge: guten Wein, tolles Essen, spannende Reisen.