Tétouan – die „weiße Taube“ des Rif

Tétouan
Die Kasbah von Tétouan ist von einer gut erhaltenen Stadtmauer umrahmt. – Foto: Karsten-Thilo Raab / Mortimer Reisemagazin

Andalusischer Esprit, marokkanische Gelassenheit und ein Hauch mediterraner Melancholie: In Tétouan, der „Weißen Taube“, weht ein anderer Wind – leiser, wärmer, poetischer.

Wer sich von Tanger aus entlang der Küste Richtung Südosten Marokkos aufmacht, entdeckt eine Stadt, die sich nicht direkt aufdrängt: Tétouan schmiegt sich hell und selbstbewusst an die Ausläufer des Rif-Gebirges. Zwischen Olivenhainen und den satten Farben des Mittelmeers liegt eine Stadt, die zugleich ein wenig verschlafen und quicklebendig ist, geheimnisvoll und einladend, alt und immer wieder neu. Von weitem wirkt sie wie ein Schwarm weißer Häuser, der gerade zum Himmel aufsteigen will – vielleicht trägt sie deshalb den Beinamen „Weiße Taube“.

Ein Hauch Andalusien unter afrikanischer Sonne

Tétouan
Es nicht schwer zu erahnen, warum Tétouan den Beinamen „weiße Taube“ trägt. – Foto: Karsten-Thilo Raab / Mortimer Reisemagazin

Wer näherkommt, hört bald das vertraute Konzert aus knatternden Mopeds, Marktschreiern und dem leisen Flügelschlag der Geschichte. Nach der Vertreibung der Mauren aus Spanien fanden viele in Tétouan eine neue Heimat – und mit ihnen kamen kunstvolle Architektur und ein Hang zu ästhetischer Perfektion, der sich bis heute in jedem Mosaiksteinchen, in prachtvoll geschnitzten Holztüren und eleganten Innenhöfe spiegelt.

Der maurische Einfluss auf die Architektur ist unverkennbar. – Foto: Karsten-Thilo Raab / Mortimer Reisemagazin

Die Medina der 420.000-Seelen-Gemeinde, seit dem Jahre 1997 UNESCO-Weltkulturerbe und Herzstück der Stadt, ist ein Labyrinth aus weißen Mauern und schmalen Durchgängen. Hier mischen sich die Stimmen der Händler mit dem Duft von Leder, Zedernholz und frisch gebackenem Brot. Und über allem, quasi als stiller, bisweilen miauender Beobachter, der wahre Herrscher der Gassen: die Katze, die in Tétouan als inoffizielles Wahrzeichen gilt.

Die Tage der historischen Lederfärberei scheinen gezählt. – Foto: Karsten-Thilo Raab / Mortimer Reisemagazin

Inmitten der Medina gibt es auch noch eine historische Lederfärberei aus dem 15 Jahrhundert, die aber vom Aussterben bedroht ist und in den kommenden Jahren dem Erdboden gleich gemacht werden soll, da die alte Handwerkskunst vor der industriellen Konkurrenz kapitulieren muss.

Bummeln, Staunen, Verirren

In der Medina von Tétouan ducken sich prachtvolle Gassen. – Foto: Karsten-Thilo Raab / Mortimer Reisemagazin

Ein Spaziergang durch die Medina ist eine Reise mit allen Sinnen – und in die Vergangenheit. In den Souks türmen sich Gewürze zu kleinen Kunstwerken, Kupferschmiede hämmern im Rhythmus der Stadt, und zwischen Stoffen, Schuhen und Teekannen blitzt immer wieder ein freundliches Lächeln hervor. Der Hassan II. Platz bietet kolonialen Charme und ist der perfekte Ort, um das Treiben zu beobachten – von fliegenden Händlern bis hin zu flanierenden Familien. Tétouan hat noch diese alte, unaufdringliche Gastfreundschaft, die man kaum mehr findet.

In der Medina sind viele traditionell gekleidete Marokkaner anzutreffen. – Foto: Karsten-Thilo Raab / Mortimer Reisemagazin

Wenn die Sonne mittags gnadenlos auf die weißen Mauern fällt, flüchtet man in ein Straßencafé. Hier sitzt man auf schmiedeeisernen Stühlen, trinkt Tee, der so süß ist, dass er fast knistert, und beobachtet das Leben: Händler, die eifrig Preise diskutieren, Frauen, die ihre Einkäufe in bunte Tücher wickeln, Kinder, die über Kopfsteinpflaster toben.

Königliche Pracht, salzige Brise

Tétouan
Der Königliche Palast ist öffentlich nicht zugänglich. – Foto: Karsten-Thilo Raab / Mortimer Reisemagazin

Am Rande der Altstadt thront der Königliche Palast – strahlend, streng, und leider nur von außen zu bestaunen. Doch der Anblick lohnt: grün-goldene Mosaike, geschnitzte Holztore, und dahinter der geheimnisvolle Duft der Geschichte.

Das Museum für Zeitgenössische Kunst ist im ehemaligen Bahnhof angesiedelt. – Foto: Karsten-Thilo Raab / Mortimer Reisemagazin

Derweil kommen Kulturbeflissene im Tétouans Zentrum für moderne Kunst auf ihre Kosten. In dem ehemaligen Bahngebäude wird vor allem zeitgenössische Kunst aus Marokko, aber auch Teile der heimischen Comic-Kultur präsentiert. Derweil arbeitet das ethnographische Museum die Geschichte der Stadt anschaulich auf.

Das Ethnografisches Museum lädt zu einer spannenden Zeitreise. – Foto: Karsten-Thilo Raab / Mortimer Reisemagazin

Nur wenige Kilometer weiter liegt Martil, Tétouans Badeort mit prächtigem Strand und einer vier Kilometer langen Promenade. Hier tummeln sich im Sommer – vornehmlich im Juli und August – allein rund eine Million Marokkaner, die direkt am Mittelmeer ihre Ferien verbringen. Overtourism lässt dann dezent grüßen. Ein breiter Sandstrand, Fischerboote im Abendlicht, Cafés mit Meerblick. Wer möchte, fährt noch weiter nach Cabo Negro oder Tamuda Bay – dort wird das Meer türkis, und die Zeit scheint stehen zu bleiben.

Kulinarische Verführungen

Ein Metzger in der Medina. – Foto: Karsten-Thilo Raab / Mortimer Reisemagazin

Tétouan selber schmeckt nach Zimt, Mandeln und Meer. Die Pastilla, ein Blätterteigwunder aus Taubenfleisch, Mandeln und Puderzucker, ist ein Erlebnis zwischen süß und salzig, Tradition und Extravaganz. Daneben locken würziger Couscous, gegrillte Sardinen und Tajine mit Zitronen und Oliven, mal mit Lamm, mal mit Huhn, mal mit Fisch – einfach, ehrlich, köstlich. Und immer wieder: Tee. In Tétouan ist Tee kein Getränk, sondern eine Lebenseinstellung.

Abend über der Stadt

Die historische Stadtmauer gibt sich noch immer wehrhaft. – Foto: Karsten-Thilo Raab / Mortimer Reisemagazin

Wenn der Tag sich neigt, färbt sich Tétouan golden. Die Gassen werden still, der Muezzin ruft, und über der Stadt liegt jener besondere Frieden, der so typisch für marokkanische Abende ist. Die weißen Mauern schimmern rosé, das Rif-Gebirge wird zu einer blauen Silhouette.

Nicht von ungefähr steht die charmante Medina als Welterbe unter dem Schutz der UNESCO. – Foto: Karsten-Thilo Raab / Mortimer Reisemagazin

Ohne Frage ist Tétouan so etwas wie die leise Schönheit des marokkanischen Nordens – kultiviert, authentisch, charmant altmodisch. Wer hierherkommt, erlebt ein Marokko ohne Eile, ohne Hektik, dafür mit Seele. Und vielleicht versteht man am Ende, warum man sie die Weiße Taube nennt: Weil sie einfach über den Dingen schwebt.

Wissenswertes zu Tétouan in Kurzform

Gut erhaltene Tore markieren die Eingänge zur Kasbah. – Foto: Karsten-Thilo Raab / Mortimer Reisemagazin

Informationen: www.visitmorocco.com/de

Nicht verpassen: Das Archäologisches Museum – klein, aber voller Schätze aus der römischen Siedlung Tamuda.

Tétouan
Zu den besonderer Genusstempeln in Tétouan zählt das Dar Bomba. – Foto: Karsten-Thilo Raab / Mortimer Reisemagazin

Essen & Trinken: Café im Riad El Reducto. Einer der schönsten Orte, um Tee zu trinken und die Welt vorbeiziehen zu lassen.

Dar Bomba – moderne marokkanische Küche in einem ungewöhnlichen Setting, einer ehemaligen Waffenfabrikdirekt an der historischen Stadtmauer

Das Sofitel Tamuda Bay Beach and Spa liegt traumhaft direkt am Strand. – Foto: Karsten-Thilo Raab / Mortimer Reisemagazin

Übernachten: Sofitel Tamuda Bay Beach and Spa, Route De Sebta, M’Diq, Tétouan, Tangier 93200, Marokko, Telefon 00212-5397-16200, https://sofitel.accor.com. Das moderne Fünf-Sterne-Refugium liegt malerisch mit privaten Strandabschnitt an der Tamuda Bay.


Die Recherche fand – ohne Einfluss auf die journalistische Ausarbeitung – auf Einladung / mit Unterstützung des Staatlichen Marokkanischen Fremdenverkehrsamts in Zusammenarbeit mit BPRC Scott Crouch Public Relations statt.

Karsten-Thilo Raab

berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.