Trois Vallées – ein Tal mit drei Welten

Trois Vallées
Einer der schönsten Anlaufpunkte im Trois Vallées: Die Hütte am Lac du Lou. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Das Tal von Belleville in den französischen Alpen ist Teil des weltweit größten Skigebiets Trois Vallées. Auf der Reise von der Talsohle zu den Gletschern wartet so manche Überraschung.

Skifahren in Frankreich: Raus aus dem Bett, rauf auf die Piste. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Von wegen in den Alpen liegt alles ziemlich hoch. Moûtiers im Tal der französischen Isère bringt es gerade einmal auf knapp 500 Meter über dem Meer, deutlich weniger als das sauerländische Ski-Paradies Winterberg. Aber dann. Von Moûtiers geht es hinauf in die Berge, 38 Kilometer lang, Kurve um Kurve um Kurve um Kurve. Mehr als 1.800 Höhenmeter sind es bis nach Val Thorens am Ende des Tals. Nur wenige Straßen in den Alpen überwinden einen derart großen Höhenunterschied. Zweimal bereits war die nicht enden wollende Steigung Teil der Tour de France. Am Ende der Straße gibt es dann zwei Belohnungen der Superlative: Val Threns ist mit 2.300 Metern über dem Meer der höchstgelegene Skiort der Alpen. Und der Ort ist Teil des größten zusammenhängenden Skigebiets in weltweit, den Trois Vallées mit zusammen 600 Kilometern Piste. Aber der Reihe nach.

Bilderbuchdorf: St. Martin de Belleville

Trois Vallées
Aufschlussreich: Das kleine Heimatmuseum in Saint Martin de Belleville. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

20 Kilometer nach Moûtiers empfängt den Besucher ein höchst erfreuliches Gesicht: St. Martin de Belleville. Früher war der Ort ein armes Bauerndorf, dessen Einwohner mehr überlebten als lebten. Die Erschließung des Skigebiets im benachbarten Les Menuires und in Val Thorens vor 60 Jahren gaben das Signal zum Aufbruch. 1984 schloss sich St. Martin mit seinen wenigen Pisten an die Trois Vallées an, seither floss viel Geld in die heute wie geschleckt wirkende Gemeinde. Um die schmucke, natürlich dem Heiligen Sankt Martin gewidmete barocke Dorfkirche ducken sich alte Bauernhäuser aus Stein, die oft in schicke Châlets verwandelt wurden. In einem der Häuser versteckt sich ein höchst sehenswertes Heimatmuseum, das eindrücklich die Entwicklung des Orts mit seinen heute rund 1.000 festen Einwohnern dokumentiert. Die Kirche, ein altes Backhaus und ein öffentlicher Waschplatz verströmen bis heute den Geist der nicht immer guten alten Zeit.

Trois Vallées
Hübsch – aber teuer: Saint Martin de Belleville. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

In St. Martin de Belleville dominiert der sanfte Tourismus, Hochhäuser findet man hier keine. Dafür zahlreiche neue und chique Châlets. Wie viel man für 50 Quadratmeter ausgeben muss? „Mindestens eine Million Euro“, sagt Tourismus-Manager Sébastien Pomini, „es können aber auch zwei werden.“ Die Immobilienpreise seien durchaus vergleichbar mit denen in Paris, sagt er. Und zwar nicht mit denen am Stadtrand, sondern in der Nähe des Eiffelturms. Oh la la…

Kein Schnäppchen: Eine Million Euro für 50 Quadratmeter. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Wer ein solches Châlet sein eigen nennt, der bringt Geld mit. Zum Beispiel für zwei Restaurants mit jeweils einem Michelin-Stern. Früher waren es sogar drei besternte Lokale. Selbst in normalen Gaststätten kostet ein Hauptgang mehr als 40 Euro, der halbe Liter Bier liegt bei etwa zehn. Sternemäßig ist das aber nichts gegen das mondäne Courchevel zwei Täler weiter. Nicht weniger als sieben Restaurants wurden hier vom Guide Michelin auf die höchsten Stufen gehoben, zusammen kommen sie auf 13 Sterne.

Alpiner Brutalismus: Les Menuires

Hübsch hässlich: Les Menuires. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Eine viertel Autostunde weiter talaufwärts dann das genaue Gegenbeispiel von St. Martin: Les Menuires. Noch vor 70 Jahren gab es dort auf 1.850 Metern Höhe nichts als Almen mit Kühen und Schafen im Sommer und Nichts im Winter. Wie in weiten Teilen der französischen Alpen. Um der grassierenden Landflucht zu begegnen und zugleich Urlaubsziele für die breite Masse zu schaffen, entwickelte die Regierung Pompidou Anfang der 1960er Jahre den „Plan Neige“, den Schneeplan.

Die Bergwelt des Trois Vallées. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Wenige Jahre später wuchs ein Dutzend Retortenstationen aus dem kargen Boden, darunter Les Menuires. Inspiriert von der Handschrift des Star-Architekten Le Corbusier entstand eine Siedlung, die das Herz von Architekturfans noch heute höher schlagen und das der Alpenromantiker fast zum Stillstand bringt: eine wilde Ansammlung von Hochhäusern und Kästen, Klötzen und Blöcken. Der größte von ihnen beherbergt mehr als 500 Appartements.

Die Trois Vallées: 600 Kilometer Pistenvergnügen. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Es ist jene Form der Architektur, für die Skifahren in Frankreich damals stand und die noch heute sein Image prägt. Les Menuires, könnte auch Berlin-Marzahn oder München-Neuperlach sein. „Dafür geht es hier noch erschwinglich zu“, erklärt Pressesprecherin Estelle Roy-Berthaud. Vor allem Familien fin-et man hier. Die Pisten sind meist blau oder allenfalls hellrot und fast nirgendwo schwarz. Verfahren kann man sich auf beiden Talseiten so gut wie nicht.

Riesige Schneeschüssel: Val Thorens. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Wer dem Trubel Les Menuires‘ mit seinen 27.000 Betten aus dem Weg gehen will, der macht eine kleine Wanderung oder Skitour zum 2.050 Meter hoch gelegenen Lac du Lou und kehrt in der gleichnamigen Hütte ein. Traumhaft schön liegt der kleine und im Winter zugefrorene See inmitten einer Berglandschaft, in der kein einziger Skilift zu sehen ist. Ein ganz besonderes Vergnügen ist es auch, einmal in der Woche morgens um acht Uhr mit der ersten Gondel hinauf-zuschweben auf die 2.800 Meter hohe Pointe de la Masse, um von dort noch ohne Frühstück die ersten Schwünge in die frisch präparierten und noch menschenleeren Pisten zu legen. Kaffee und Tee, Croissants und Baguette, Marme-lade und Honig gibt es dann anschließend im gemütlichen Gipfelrestaurant. Bei gutem Wetter und angenehmen Temperaturen wird draußen auf der Terrasse serviert. Den Blick auf den Mont Blanc, mit 4.807 Metern der höchste Berg der Alpen, gibt es gratis dazu.

Top of Trois Vallées: Val Thorens

Die Alpen – groß und mächtig. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Und dann, ganz am Ende des Tals, Val Thorens. Eine riesige Schneeschüssel, über die den ganzen Tag die Sonne ihre Bahn zieht und das baumlose Gelände in ein gleißendes Licht taucht. Durch seine Höhe zwischen 2.300 und 3.200 Meter ist die Retortenstation so schneesicher wie kein anderes Skigebiet in Europa. Bis Anfang Mai, wo andernorts schon die Tulpen verblüht sind, kann man hier Skifahren.

Sogar der Mont Blanc fällt in den Blick. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Die Formel „Hoch = Steil“ gilt allerdings nicht. Im Gegenteil. Ähnlich wie in Les Menuires sind nahezu alle Pisten blau oder allenfalls rot. Nur vom Gipfel des Cime de Caron fällt die bucklige Combe de Caron steil hinab ins Tal. Meist zieht man hier allein seine mehr oder weniger eleganten Schwünge. Mehr Probleme mit der Steilheit der Pisten haben manche Urlauber mit der Höhe an sich. Auf mehr als 2.000 Metern zu übernachten stellt für so manchen Organismus eine höchst ungewohnte Herausforderung dar.

Croissant, Baguette – und ganz viel Aussicht. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Rund zwei Millionen Übernachtungen pro Jahr zählt man hier in der Siedlung oberhalb der Waldgrenze. „Aber nur noch zwei Prozent unserer Gäste kommen aus Deutschland“, stellt Tourismus-Manager Eric Bonnet fest. Früher stellten sie unter den ausländischen Besuchern die Mehrheit, heute rangieren sie nur noch unter „fernen fuhren Ski…“. Die Entwicklung ist genau die gleiche wie in anderen Skistationen der Region. Die Gründe dafür seien vielfältig, meint Bonnet. Heute kommen neben Franzosen vor allem Engländer, Belgier, Holländer und Osteuropäer nach Val Thorens. Vielleicht haben die Deutschen ja auch eine Entwicklung verpasst. Natürlich gibt es sie immer noch, die hässlichen Hasenställe aus der Anfangszeit der Retortenstation, mit Platz für acht Personen auf 36 Quadratmetern.

Berühmt-berüchtigt: Die französischen Stangenlifte. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Und dennoch hat sich das Gesicht von Val Thorens in den letzten Jahrzehnten ein gutes Stück weit verändert. Vor allem hochwertige Appartements sind in den vergangenen Jahren hinzugekommen, dazu eine Reihe luxuriöser Hotels wie das 5-Sterne-Haus Alpaka direkt an der Piste. Heute spiegelt das Angebot eine Mischung vom kleinen Studentengeldbeutel über die gehobene bis zur Luxusklientel, für die es bei einer Woche Skiurlaub schnell fünfstellig werden kann.

Eigentlich vier statt drei: Orelle

Riesig ist das Skigebiet Trois Vallées . – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Streng genommen müssten die Trois Vallées in Quattre Vallées umgetauft werden. Schließlich gibt es anstatt der ursprünglich drei Täler mittlerweile vier. Seit etlichen Jahren ist das Tal von Orelle über Val Thorens mit angebunden. Aber erstens sind die Trois Vallées ein Markenbegriff und zweitens gibt es die Quattre Vallées bereits: im Schweizerischen Wallis. Orelle ist ein kleines Skigebiet oberhalb eines gewachsenen Dorfs. Die Handvoll Abfahrten sind eher einfach, bieten dafür abseits des großen Skizirkus eine grandiose Kulisse hinüber zu einigen der mächtigsten Viertausender in den französischen Alpen. Vor allem Italiener kommen gerne hierher. Von Turin aus sind es mit dem Auto durch den Tunnel de Fréjus gerade einmal zwei Stunden, kurz genug für einen Tagesausflug. Ob Studenten oder Multimillionäre, Franzosen oder Holländer, Einsteiger oder Pistenfresser – eines ist ihnen gemeinsam. Mit den Trois Vallées erwartet sie ein Skigebiet der Superlative, das insgesamt neunmal zum besten Skigebiet der Welt gekürt wurde.

Aus dem Kuriositätenkabinett der Trois Vallées

Restaurant, Shop, Rooftop-Bar und Weinbar: der Gipfel der Cime Caron. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Höher, spektakulärer, teurer. Unmittelbar neben der Gipfelstation der Cime Caron in Val Thorens dominiert auf 3.200 Metern seit dem letzten Winter ein vierstöckiger Kubus mit Restaurant, Rooftop-Bar samt 360 Grad-Rundumblick – und Europas höchstgelegener Weinbar. Wer hier eine Flasche Château Pétrus Jahrgang 2003 trinken möchte – kein Problem. Der Preis: 15.000 Euro. In Worten: fünfzehntausend. Wird der wirklich getrunken? „Ja“, sagt der Kellner, der eigentlich Sommelier ist. Und von wem? „Vor allem von Gästen aus Courchevel“, erklärt er. Aus welchem Land die kommen? „Aus unterschiedlichen“, hat er festgestellt, „aus Frankreich, England, manchmal aus China und Brasilien, früher häufiger aus Russland.“ In Courchevel, dem nobelsten Ort der Trois Va-llées, gibt es auch einen kleinen Flughafen. Das erleichtert die Anreise aus Paris, Zürich oder London enorm. Na dann: Santé!

Auf 3.200 Meter: Europas höchste Weinbar. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Etwas preiswerter geht es direkt an den Pisten von Les Menuires im Restaurant von ROC 7 zu. Eine Sechs-Liter-Flasche Champagner gibt es dort schon für 1.160 Euro. Im Restaurant der Pointe de la Masse oberhalb von Les Menuires wiederum kann man sich zwölf Austern bestellen, für geradezu lächerliche 39 Euro. Fast schon geschenkt für gerade einmal 4 Euro ist in der gemütlichen Hütte am Lac du Lou ein Getränk, das man eher in der Provence vermutet: Pastis. Genaugenommen ein Pastis des Alpes. Der nämlich stammt nicht aus dem Süden, sondern aus dem benachbarten Chambéry. Wer Glück hat, der erlebt an dem kleinen Bergsee im Frühjahr ein besonderes Spektakel. Wenn ein kleiner Teil des Gewässers bereits eisfrei ist, nehmen manche Tourenskifahrer ordentlich Anlauf, lehnen sich auf ihren breiten Ski zurück – und surfen zehn, 15 Meter über das eiskalte Wasser. Besonders schrill wird das Ganze, wenn einer von ihnen einen Dudelsack im Gepäck hat und kurz vor seinem Start zum Erstaunen der Gäste „Amazing Grace“ spielt.

Typischer Savoyen-Genuss: Die Tartiflette. – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Noch einmal kurz zurück zum Wein. Etwas unterhalb von Val Thorens, auf knapp 2.000 Meter über dem Meer, wird seit dem vergangenen Sommer versuchsweise Wein angebaut. Asterix würde sagen: „Die spinnen, die Älpler.“

Aufi geht’s, das Trois Vallées wartet – Foto: Klaus Pfenning / Mortimer Reisemagazin

Die Recherche fand – ohne Einfluss auf die journalistische Ausarbeitung – auf Einladung / mit Unterstützung von Atout France statt.

Klaus Pfenning

arbeitete jahrzehntelang in der Unternehmenskommunikation. Statt über Druckmaschinen, Schaltanlagen oder Gabelstapler schreibt er heute lieber über andere Dinge: guten Wein, tolles Essen, spannende Reisen.