Entschleunigung auf dem Canal du Midi

Canal du Midi
Anlegen am Ufer des Canal du Midi mit Genuss des Landschaftskinos. – Foto: Enric Boixadós / Mortimer Reisemagazin

Raus aus dem Alltag, rein in die Entspannung und das bei gerade einmal acht Stundenkilometern. Langsam ziehen die Ufer des Canal du Midi an uns Hobby-Matrosen vorbei, verlocken zum Ankern vor kleinen Dörfern oder im Nirgendwo des französischen Südens. Immer geradeaus, den Fluss entlang. Abends auf Deck ist es besonders schön. Die Hitze verabschiedet sich mit einem letzten Aufbegehren, dann geht die Sonne unter, und es kühlt ab. Der Blick in den Himmel zeigt, dass der Traum von einem Sternenfirmament ohne Lichtverschmutzung Wirklichkeit wird. Geist und Seele beruhigen sich, werden eins. Stress und Hektik liegen so weit zurück. Wie lange haben wir zuhause schon von einer Hausboot-Tour geträumt und immer wieder gezögert, sie auch tatsächlich umzusetzen?

Canal du Midi
Der Canal du Midi als unvergessliches Urlaubserlebnis und als großer Abenteuerspielplatz für Hobby-Matrosen. – Foto: Enric Boixadós / Mortimer Reisemagazin

Gemeinsam mit drei Freunden und einem Hund starten wir am Hafen von Port Cassafières. Das Auto wird bequem nach Trèbes, unserem Endpunkt nach einer Woche auf dem Wasser, überführt. Vor Beginn der Tour steht noch der Großeinkauf im örtlichen Supermarkt. Vor allem die schwereren Flaschen und das Trinkwasser werden im Wagen zum Boot transportiert. Denn unterwegs ankert man fast ausschließlich in kleinen Dörfern und versorgt sich in idyllischen Tante-Emma-Läden mit kleinem Produktangebot. Unsere „Calypso“, die zu dem Hausbootanbieter Le Boat gehört, ist rund 13 Meter lang, modern mit gemütlichen Sitzecken ausgestattet und einer Küche mit dem nötigen Zubehör, drei Schlafzimmer für je zwei Personen sowie zwei Duschen mit Toilette. Also perfekt für die siebentägige Auszeit. Madame Claire von Le Boat kommt an Deck, erklärt uns die Technik und gibt Tipps zum sorgenfreien Navigieren. Auch wenn sich alles sehr entspannt anhört, sollte man dabei genau zuhören und Fragen stellen. Als Bonus gibt es noch Fahrräder für Ausflüge unterwegs. In den Häfen der Le Boat-Flotte kann kostenlos übernachtet werden. Dort stehen Sanitäranlagen zur Verfügung. In den übrigen Häfen kostet das Übernachten auch nicht die Welt, zwischen 20 und 30 Euro pro Schiff, an den Ufern des Kanals ist das Anlegen kostenlos.

Frankreichs schönste Markthalle

Canal du Midi
Bisweilen gibt sich der Canal du Midi überaus stimmungsvoll. – Foto: Enric Boixadós / Mortimer Reisemagazin

Die Kathedrale Saint Nazaire, die das Städtchen Beziers überragt und die man vom Schiff aus direkt sieht, symbolisiert den Sieg der Christen über die Katharer, einer mittelalterlichen religiösen Bewegung aus dem 11. Jahrhundert. Der Katharismus entwickelte sich dank der Unterstützung der südfranzösischen Adligen. Die Katharer wie auch die Adligen fochten die katholische Kirche an, wollten aber trotzdem Christen bleiben. Die Bewegung beunruhigte Rom und Papst Innozenz III. Im 13. Jahrhundert ging die katholische Kirche gegen die Volksgruppe vor. Dies führte zu ihrem Niedergang. Einige Anhänger gab es in Südfrankreich bis ins 14. Jahrhundert hinein. Das prächtige Gotteshaus wurde im 13. Jahrhundert auf einem im Jahre 1206 beschädigten romanischen Bauwerk errichtet.

Die Fahrräder an Bord sorgen für mehr Flexibilität bei den Landgängen. – Foto: Enric Boixadós / Mortimer Reisemagazin

Beziers ist außerdem der Geburtsort des Kanal-Erfinders Pierre Paul Riquet. Sein Todestag jährt sich am 1. Oktober zum 345. Mal. Der Besuch der wunderschönen Markthalle mitten im Städtchen, angeblich die schönste von ganz Frankreich, ist ein Muss. Besondere Leckereien, die jeden Gourmet begeistern, werden vielfältig angepriesen und bringen alle möglichen kulinarischen Genüsse zurück an Deck.

Wie ein großer Abenteuerspielplatz

Die Schleusentreppe von Fonseranes mit einem Höhenunterschied von 22 Metern ist für Freizeitkapitäne eine Herausforderung. – Foto: Enric Boixadós / Mortimer Reisemagazin

Dem Rhythmus der Schleusen folgend überquert die „Calypso“ beeindruckende Aquädukte und kommt an Getreidefeldern, Weinbergen und idyllischen Städtchen vorbei. St. Papoul bewahrt die Überreste einer Benediktinerabtei aus dem 11. Jahrhundert und Bram wurde um seine Kirche herum erbaut. Castelnaudary ist nicht nur für seine herrschaftlichen Stadthäuser im Renaissance-Stil bekannt, sondern auch durch die mit gotischen Portalen verzierte Stiftskirche St. Michel.

Canal du Midi
Auf dem Canal du Midi eröffnen sich famose An- und Aussichten. – Foto: Enric Boixadós / Mortimer Reisemagazin

Neben all den geschichtsträchtigen Sehenswürdigkeiten ist der Kanal selbst wie ein großer Abenteuerspielplatz. Das Aquädukt von Orbiel, eine Kanalbrücke mit drei Bögen und erbaut im Jahr 1688, ist beeindruckend. Seine Besonderheit erkennt man erst richtig aus der Vogelperspektive. Als Besatzung sollten mindestens drei Erwachsene an Bord sein, damit alles problemlos funktioniert: Denn jeder und jede hat seine Aufgabe. Man muss das Boot steuern können und es gleichzeitig durch zahlreiche Schleusen manövrieren, Seile vertäuen und die richtigen Knoten setzen. Anspruchsvoll und herausfordernd ist dabei die Schleusentreppe von Fonseranes mit acht Kammern, neun Ober- und Untertoren und einem Höhenunterschied von 22 Metern. Da kommen sogar geübte Freizeitkapitäne gehörig ins Schwitzen.

Strikte Schleusenregeln

Der Schleusenwärter von Trèbes macht seinen Job seit 25 Jahren. – Foto: Enric Boixadós / Mortimer Reisemagazin

Die Regeln der Schleusenwärter sind strikt. Von 9 Uhr morgens bis 19 Uhr abends darf passiert werden. Wer am Abend auch nur fünf Minuten später ankommt, muss bis zum nächsten Morgen warten. Die Schleusentore sind und bleiben zu. Ausnahmen werden kaum bis gar nicht gemacht. „Zwischen Beziers und Homps gibt es den meisten Schiffsverkehr, vor allem durch Hausboote im Sommer, erzählt die Schleusenwärterin von Puicheric. Sie arbeitet seit 20 Jahren vor Ort. „Täglich fahren zwischen 55 bis 80 Schiffe hier durch, abhängig von Jahreszeit und Ferien.“

Auch der Schleusenwärter am Endziel Trèbes ist seit 25 Jahren dabei. „Früher kamen mehr Boote. Das hat mit der Preisentwicklung zu tun. Die umliegenden Städte und Dörfer sind teuer geworden“, argumentiert er.

Ein Besuch im historischen Carcassonne: Die Basilika Saint-Nazaire. – Foto: Enric Boixadós / Mortimer Reisemagazin

Zu guter Letzt steht ein Tagesausflug ins wenige Kilometer entfernte UNESCO-Weltkulturerbe Carcassonne auf dem Programm. Die befestigte Altstadt liegt hoch auf einem Hügel. Ihr Ursprung geht auf die Zeit des Römischen Reiches im 3. und 4. Jahrhundert zurück. Neben der historischen Burg und der Stadtmauer besichtigt man die Basilika Saint-Nazaire, schlendert durch verwinkelte Gassen und isst in kleinen Restaurants Cassoulet, ein Gericht aus weißen Bohnen mit Schweine- und Entenfleisch, das typisch für die Gegend ist.

Tierische Navigationshilfe für die Hobbykapitäne. – Foto: Enric Boixadós / Mortimer Reisemagazin

Nach sieben Tagen hat die „Calypso“ ihr Endziel erreicht: Den idyllischen Hafen von Trèbes. Von Deck sind es nur wenige Schritte zu den kleinen Restaurants und Bars, die die Gäste mit ihrem südfranzösischen Flair bezaubern. Und das Auto erwartet uns auf dem bewachten Parkplatz. Rechtzeitig, um die Heimfahrt anzutreten.

Wissenswertes zum Canal du Midi

Der Canal du Midi als Urlaubserlebnis und großer Abenteuerspielplatz. – Foto: Enric Boixadós / Mortimer Reisemagazin

Die Idee, den Atlantik mit dem Mittelmeer über einen Binnenschiff-Fahrweg zu verbinden, geht auf die Antike zurück. Aus wirtschaftlichen, aber vor allem aus politischen und militärischen Gründen, wird sie ab dem 16. Jahrhundert auf einem Wasserweg für die Könige von Frankreich zu einem Muss. Alle Projekte stockten an einem Hindernis: Die Überquerung des Seuil de Naurouze, dem höchsten Punkt, den Schiffe von der französischen Mittelmeerküste bei Narbonne auf dem Weg nach Toulouse im Binnenland überschreiten müssen. Pierre Paul Riquet (1604 – 1680), in Beziers geboren, kam als erster auf die Idee, das Wasser des Zentralmassivs aufzufangen und über ein einfallsreiches Rinnen-System weiterzuleiten.

In den Häfen der Le Boat-Flotte kann kostenlos übernachtet werden. – Foto: Enric Boixadós / Mortimer Reisemagazin

Dies war in der Tat die einzige Möglichkeit der Wasserversorgung für ein Werk dieses Ausmaßes. Denn das Wasser muss ganzjährig in ausreichenden Mengen an Ort und Stelle gelangen. Nach mehreren Jahren andauernder Untersuchungen war Riquet überzeugt, dass bei einer Speicherung in einem großen Bassin die Menge ausreichend sei, um den Kanal zu versorgen. 1667 begannen die Ausgrabungsarbeiten. Sie dauerten 14 Jahre, und mehr als 12.000 Männer wurden mobilisiert. Riquet steckte sein Vermögen in das Unternehmen, erlebte jedoch die Fertigstellung seines Werkes nicht mehr. Er starb am 1. Oktober 1680, vor 345 Jahren. 1681 verband der 240 Kilometer lange Kanal Toulouse mit Sète. Heute gehört auch er zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Info: Hausboot-Touren mit Le Boat gibt es u.a. in Deutschland, Frankreich, Holland, Belgien und Irland.

Eine Woche mit der „Calypso“ über den Canal du Midi in Südfrankreich. – Foto: Enric Boixadós / Mortimer Reisemagazin

Sabine Ludwig

ist deutsche Journalistin und Reiseautorin. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht und war als Kriegsberichterstatterin in Afghanistan, Südsudan, Irak und Mali. In ihrer Freizeit widmet sie sich neben diversen Sportarten ihrem Blog sl4lifestyle.com und ihrem Hund Brad. - Foto: Nicola Mesken