
Die Freiheit war nah. Die internationale Schifffahrtsroute in Sichtweite und die Küste von Schleswig-Holstein nur 38 Kilometer weit weg. Das machte das beliebte Ostseebad Kühlungsborn auch für fluchtwillige DDR-Bürger attraktiv. Urlauber mussten sich am Strand deshalb unter ständiger Bewachung sonnen, im Grenzturm an der Strandpromenade saßen Soldaten der „Grenzbrigade Küste“ und hielten Ausschau nach Paddelbooten, Kanus und auffälligem Verhalten. Bis die Mauer fiel. „1989 – Die Ostsee ist wieder frei!“ Unter diesem Motto lädt der Grenzturm e.V. am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, zu einer Begegnung mit Flüchtlingen und Fluchthelfern. Von politische Vorgaben und menschlichen Zweifeln berichten ehemalige Grenzsoldaten.

Der Turm steht direkt am Strand von Kühlungsborn. 15 Meter ist er hoch und bietet einen grandiosen 360°-Panoramablick auf die Ostsee. Eigentlich idyllisch, aber „BT11“ ist ein Grenzturm aus DDR-Zeiten. Zwischen 1973 und 1989 kletterten Soldaten der Grenzbrigade Küste in ihre Kanzel und suchten nach Republikflüchtlingen, deren Hoffnung und Ziel die Küsten von Schleswig-Holstein und Dänemark oder ein vorbei kommendes Schiff waren. Heute ist der Turm Mahnmal und beliebtes Ausflugsziel für Urlauber. In Kombination mit einem Museum macht er die jüngste deutsche Geschichte authentisch erlebbar, auch und gerade in diesem Herbst, zum 25-jährigen Jubiläum des Mauerfalls.
Der schöne Strand von Kühlungsborn zog schon in der DDR zahlreiche Touristen an, die sich notgedrungen an Beschränkungen gewöhnten. Tagsüber war das Baden zwar erlaubt, allerdings zogen regelmäßig Zwei-Mann-Patrouillen mit Maschinengewehr und Schäferhund am Strandkorb vorbei, Bootfahren war ganz verboten. Ausweiskontrollen beim Spaziergang und Strandverbot nach 22 Uhr, für die Urlauber war das eine alltägliche Last.

Viele trugen sie, manche versuchten den Ausbruch. Davon erzählen am 3. Oktober beispielsweise der Nienhagener Bürgermeister Uwe Kahl (flüchtete mit einem Paddelboot 1962), der Arzt Peter Döbler (schwamm 1971 nach Dänemark) und der Kühlungsborner Hanno Berg (Name geändert), dessen Flucht im Oktober 1971 scheiterte und mit drei Jahren Haft bestraft wurde. Wie es auf der anderen Seite zuging, von vereitelten Fluchten, politische Vorgaben und menschlichen Zweifeln, berichtet der ehemalige Grenzsoldat Andreas Krechlok.

Nur zwei von ehemals 27 Grenztürmen des Typs „BT11“ stehen heute noch. Den Kühlungsborner Turm rettete 1990 der damalige Bürgermeister Knut Wiek gleich zweimal vor dem Abriss. Er ist heute Vorsitzender des Vereins Grenzturm e.V. und erzählt: „Als sie das erste Mal kamen, schickte ich Leute vom Bauamt los, um sich die Abrissgenehmigung zeigen zu lassen. Die hatten sie aber nicht. Beim nächsten Mal konnten wir den Turm über Nacht gerade noch einrüsten.“ Die Arbeiter zogen von dannen, der Turm steht heute noch – und ist für Einheimische und Touristen ein beliebtes Ausflugsziel geworden.

Heute ist Kühlungsborn das beliebteste Ostseebad. Ein schmaler Waldstreifen schirmt die längste Strandpromenade Mecklenburgs (3150 Meter) mit unverbautem Meerblick wohltuend vom Trubel des Boulevards ab, wo sich Hotels, Restaurants und Boutiquen in sanierten Bäderarchitekturvillen dicht an dicht aneinander reihen. Dazu noch ein Bootshafen mit einer Flaniermeile, von der aus sich das ständige Kommen und Gehen der Schiffe gut beobachten lässt. Weitere Informationen unter www.kühlungsborn.de.
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Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.