Unbekanntes Swanetien – als Wanderer unterwegs im Land der Türme

Neben den Wehrtürmen besaßen die Swanen ein System von Wach- und Signaltürmen. Im Ortsteil Tschashaschi der Gemeinde Uschguli ist eines der am besten erhalten gebliebenen historischen Dorfensembles und seit 1996 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. (Foto Jens Jäger)
Neben den Wehrtürmen besaßen die Swanen ein System von Wach- und Signaltürmen. Im Ortsteil Tschashaschi der Gemeinde Uschguli ist eines der am besten erhalten gebliebenen historischen Dorfensembles und seit 1996 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. (Foto Jens Jäger)

In der Hochgebirgsregion Swanetien entwickelt sich langsam wieder Tourismus, ohne dabei allzu große Massen anzuziehen. Die georgische Provinz ist so entlegen, dass sie nicht nur von Urlaubern übersehen wird, sondern bis in die neuere Geschichte nie ganz von Eroberern eingenommen wurde. Dass der östliche obere, direkt am Hauptkamm des Kaukasus gelegene Teil lange als „Freies Swanetien“ bekannt war, lag aber auch an der Verteidigungsbereitschaft seiner stolzen Bewohner. Wahrzeichen der Region sind die vielen zum Teil uralten Wehrtürme.

Den heutigen Besucher erwartet eine einmalige Kulturlandschaft zwischen etwas Moderne und viel Ursprünglichkeit. Dabei hat Swanetien als eine der ersten Regionen des gesamten Kaukasus ein Netz von gut markierten Wanderwegen. Wer sich gern auf fremde Lebensart einlässt und bei der Unterkunft auf den ganz großen Komfort verzichten kann, der findet hier sein Wandereldorado. Wer Lust auf urwüchsiges Dorfleben und wilde Natur hat, sollte unbedingt weiterlesen. Denn nun folgen Eindrücke von einigen der schönsten Tageswanderungen, die in Oberswanetien von Dorf zu Dorf führen.

Georgiens höchste und wildeste Gipfel

Die Wehrtürme sind Ausdruck der kriegerischen Vergangenheit der stolzen Swanen. Das Obergeschoss der Türme besitzt kleine sich nach außen verjüngende Fenster, von denen aus Angreifer auf Distanz gehalten werden konnten. (Foto Jens Jäger)
Die Wehrtürme sind Ausdruck der kriegerischen Vergangenheit der stolzen Swanen. Das Obergeschoss der Türme besitzt kleine sich nach außen verjüngende Fenster, von denen aus Angreifer auf Distanz gehalten werden konnten. (Foto Jens Jäger)

Zum Wanderparadies machen die Region natürlich vor allem die Berge. Und der obere Teil der historischen Provinz Swanetien gehört in dieser Beziehung mit Sicherheit zu den bemerkenswertesten Landschaften überhaupt. Oberswanetien erstreckt sich im Hochtal des Flusses Enguri zwischen den Bergen des zentralen Kaukasushauptkammes im Norden und denen der Swanischen Kette im Süden, wo sich im Weiteren Niederswanetien anschließt.

Da sich der Kaukasushauptkamm in diesem Teil am stärksten auffaltet, stehen hier auch die wildesten und einige der höchsten Berge des Gebirges. Das sind vor allem der berühmte doppelgipflige Uschba (4.710 Meter), der ebenförmige pyramidenartige Tetnuldi (4.858 Meter) und der gewaltige, auch Besengi-Mauer genannte Bergkamm aus Katyn-tau (4.979 Meter), Dshangi-tau (5.059 Meter) und Schchara (5.203 Meter). Letzterer der genannten Gipfel ist zugleich der höchste Berg Georgiens.

Wo Gebirgswiesen ans Gletschereis stoßen

Aufstieg zum Tschchutnieri-Pass (2.722m), über den man vom Dorf Adischi ins nächste Dorf Iprari gelangt. (Foto Jens Jäger)
Aufstieg zum Tschchutnieri-Pass (2.722m), über den man vom Dorf Adischi ins nächste Dorf Iprari gelangt. (Foto Jens Jäger)

Als wäre diese Bergschau noch nicht genug, lässt das vergleichsweise milde Klima die Landschaftshöhenstufen nach oben wandern, sodass die herrlichsten Gebirgswiesen direkt an das strahlende Gletschereis stoßen. Eine kontrastreichere Kulisse kann man sich als Wanderer nicht vorstellen.

Die Tourenauswahl für Wanderer ist in Swanetien riesig und reicht von langen Zelttrekkings bis zu Tagesausflügen, die zu Gletscherzungen, Seen oder Aussichtspunkten führen und bei denen meist derselbe Weg hin und zurück gelaufen werden muss. Neben der atemberaubenden Landschaft machen Swanetien die einzigartige Identität seiner Bewohner und die Architektur ihrer Dörfer zu einem faszinierenden Reiseziel. Für Wanderer sind deshalb besonders die Wege zwischen den Dörfern interessant, die eben beides, also die Begegnung mit Natur und Kultur ermöglichen.

Wandern von Dorf zu Dorf

Zwischen den Dörfern in Oberswanetien bestehen gut markierte Wanderwege. Zahlreiche Wegweiser mit swanischer und englischer Beschriftung erleichtern zusätzlich die Orientierung. (Foto Jens Jäger)
Zwischen den Dörfern in Oberswanetien bestehen gut markierte Wanderwege. Zahlreiche Wegweiser mit swanischer und englischer Beschriftung erleichtern zusätzlich die Orientierung. (Foto Jens Jäger)

Die Dörfer liegen oft in mehr oder weniger parallelen Quertälern zum Enguri-Tal, von dem aus sie über Allrad-Pisten erreicht werden. Gewandert wird dagegen auf den alten Reitpfaden zwischen den Dörfern, die über aussichtreiche Pässe führen. Diese Wege lassen sich als echte Tagestouren gehen, indem man sich morgens mit dem Auto zum Ausgangspunkt fahren und abends am Zielort abholen lässt, oder zu Mehrtagestouren kombinieren.

In jedem Fall besteht der Vorteil, dass man mit sehr leichtem Gepäck unterwegs sein kann, denn Zelt, Schlafsack und großer Proviant können dabei zuhause bleiben. Beliebte Dörfer, die sich so der Reihe nach erwandern lassen, sind beispielsweise die nördlich vom Enguri-Tal gelegenen Gemeinden von Ezeri, Maseri, Mestia, Shabeschi, Adischi und Iprari.

Festungsartige Häuser mit Wehrtürmen

Wanderer auf Tour vom Dorf Maseri nach Mestia. Im Hintergrund der Doppelgipfel des Uschba. Die Erstbesteigung des Nordgipfels erfolgte 1888, die des etwas höheren Südgipfels erst 1903 nach 13 erfolglosen Versuchen. (Foto Jens Jäger)
Wanderer auf Tour vom Dorf Maseri nach Mestia. Im Hintergrund der Doppelgipfel des Uschba. Die Erstbesteigung des Nordgipfels erfolgte 1888, die des etwas höheren Südgipfels erst 1903 nach 13 erfolglosen Versuchen. (Foto Jens Jäger)

Während sich die Berge steil in den Himmel strecken, scheinen sich die Dörfer in den Tälern geradezu verstecken zu wollen. Jedenfalls zeigen sie sich unterwegs beim Wandern oft erst ganz kurz vor Ihrem Erreichen. Umso größer ist dann das Staunen über ihre einzigartige Architektur. Die swanischen Dörfer verblüffen ob ihrer alten massiven Steinhäuser einmaliger Bauart.

Jedes Haus ist eine Festung und wird von einem bis zu 25 Meter hohen Wehrturm flankiert. Diese vor allem für Oberswanetien charakteristischen Verteidigungsanlagen boten nicht nur Schutz vor äußeren Feinden, sondern auch bei den häufigen Sippen- und Blutfehden, die bis ins 20. Jahrhundert hinein immer wieder aufflammten.

Aufopferungsvolle Gastfreundschaft

Landwirtschaft ist ein harter Broterwerb in Swanetien. Zur Heueinfahrt dienen hölzerne, von Ochsen gezogene Schleifschlitten. (Foto Jens Jäger)
Landwirtschaft ist ein harter Broterwerb in Swanetien. Zur Heueinfahrt dienen hölzerne, von Ochsen gezogene Schleifschlitten. (Foto Jens Jäger)

Gewissermaßen als Gegenpol zu wehrhaftem Kriegertum, das in der Vergangenheit manchmal auch zur Räuberei tendieren konnte, und einer nach innen geschlossenen Clan-Gesellschaft besteht in Swanetien wie überall im Kaukasus die Tradition einer ausgeprägten fast aufopferungsvollen Gastfreundschaft. Wer heute in den Dörfern entlang der Wanderrouten Quartier sucht, findet das natürlich vor allem so problemlos, da sich viele Familien mit der Unterbringung von Touristen etwas zu den Einkünften aus der Landwirtschaft dazuverdienen wollen.

Man wird aber fast immer mit so großer Herzlichkeit aufgenommen, dass man auch heute noch eine Idee von der alten Tradition bekommt. Tatsächlich hat früher die Gastfamilie auch für die Sicherheit ihrer Gäste eingestanden, und so kann es auch heute nicht schaden, sich den Nachnamen seiner Wirtsfamilien zu merken bzw. ihn schon zu wissen, wenn man in das nächste Dorf unterwegs ist. Meist haben die Familien auch Verwandtschaft in den Nachbardörfern, bei der man auf der nächsten Wanderetappe wieder gut unterkommen kann.

Ungeahnter kultureller Reichtum

In den Familienunterkünften isst man in der Küche der Gastfamilie und lernt dabei die kulinarische Seite Swanetiens kennen. Nationalspeise sind mit Fleisch gefüllte Teigtaschen, die Kubdari heißen. Besonders lecker ist der selbst gemachte Kuhkäse zusammen mit Tomaten und Swanischem Salz, einem regionalen Gewürzsalz. (Foto Jens Jäger)
In den Familienunterkünften isst man in der Küche der Gastfamilie und lernt dabei die kulinarische Seite Swanetiens kennen. Nationalspeise sind mit Fleisch gefüllte Teigtaschen, die Kubdari heißen. Besonders lecker ist der selbst gemachte Kuhkäse zusammen mit Tomaten und Swanischem Salz, einem regionalen Gewürzsalz. (Foto Jens Jäger)

Außer den Wehrbauten und der aus alter Zeit bewahrten Sitten machen noch viele andere Besonderheiten Swanetien zu einem unglaublichen Fundort kultureller Schätze. Wie das übrige Georgien hat auch das freie Swanetien im Mittelalter eine kulturelle Blüte erlebt. Davon blieb in Swanetien eine Fülle von Zeugnissen der Metallkunst, Buchkunst und Malerei erhalten. Viele dieser Werke wurden von lokalen Meistern geschaffen und sind in ihrer Art einmalig.

Heute sind die meisten dieser Kunstschätze im neu eröffneten Swanischen Museum in Mestia zu besichtigen. Dort werden in einem fast schon zu modern anmutenden Gebäude Unmengen filigraner Schmuckarbeiten, mit ziseliertem Silberblech beschlagene Ikonen und Altarkreuze, wertvolle Handschriften, Münzen, Waffen und in einer ethnografischen Abteilung auch historische Alltagsgegenstände ausgestellt.

Ein Muss: das Swanische Museum

Kirche Lamaria (rechts in der Einfriedung) mit benachbartem Wehrturm. Im Hintergrund das Schchara-Massiv. In Swanetien gibt es viele dieser kleinen aus Naturstein gemauerten Saalkirchen aus dem 8. bis 14. Jahrhundert. In diesen Kirchen haben die sagenhaften Kunstschätze überdauert, von denen heute ein Großteil im Swanischen Museum in Mestia ausgestellt wird. (Foto Jens Jäger)
Kirche Lamaria (rechts in der Einfriedung) mit benachbartem Wehrturm. Im Hintergrund das Schchara-Massiv. In Swanetien gibt es viele dieser kleinen aus Naturstein gemauerten Saalkirchen aus dem 8. bis 14. Jahrhundert. In diesen Kirchen haben die sagenhaften Kunstschätze überdauert, von denen heute ein Großteil im Swanischen Museum in Mestia ausgestellt wird. (Foto Jens Jäger)

Wer sich allerdings besonders für die alte Lebensweise der Swanen interessiert, sollte eines der kleinen in alten Wohnhäusern eingerichteten ethnografischen Hausmuseen besuchen, in denen man einen viel authentischeren Eindruck gewinnen kann.

Wissenswertes zu Reisen in Swanetien

Anreise: Kaum eine andere Hochgebirgsregion außerhalb Europas ist so leicht und schnell zu erreichen wie Swanetien. In Georgien gibt es zwei internationale Flughäfen, einen in Tbilisi und seit Kurzem einen zweiten in Kutaisi. Swanetien erreicht man von Kutaisi mit dem Linienkleinbus (sog. Marschrutka) in vier Stunden und von Tbilisi in neun Stunden. Seit es in Mestia, dem Gebietszentrum von Oberswanetien, ein neues kleines Flugfeld gibt, kann man Swanetien auch von Tbilisi aus anfliegen. Informationen unter www.vanillasky.ge

Unterkunft: In Mestia mit seinen beiden benachbarten Skigebieten (den einzigen in ganz Swanetien) gibt es Pensionen und Hotels aller Preisklassen. In den Dörfern findet man überall Unterkunft in den sogenannten Familienhotels. Meist gibt es ausgebaute einfache Gästezimmer mit galerieartigem Balkon im zweiten Stock des Bauernhauses, Gemeinschaftsdusche und wirklich leckere einheimische Küche. Eine Übernachtung kostet mit Halbpension pro Person zwischen 12 und 20 Euro.

Tourencharakter und Reisezeit: Bei den Wanderungen zwischen den Dörfern bewegt man sich in Höhen zwischen 1.500 und 3.000 Metern. Die Wege folgen meist gut ausgetretenen Pfaden in alpiner Landschaft. Entsprechend reicht eine normale hochgebirgstaugliche Wanderausrüstung, wie sie auch in den höheren Alpenregionen gängig ist. Gletscherausrüstung ist nicht notwendig. Die Wandersaison geht in Swanetien von Ende Juni bis Anfang Oktober. Auch mitten im Sommer kann es Wettereinbrüche mit Schnee geben.

Leichter in Swanetien orientieren

Orientierung: Da viele Wanderwege markiert sind, ist die Orientierung größtenteils unproblematisch. Zur vorbereitenden Tourenplanung zuhause gut geeignet ist die Trekking-Karte von TerraQuest (Georgian Caucasus Trekking Map 1:75.000), die man im Internet kaufen kann. In den verschiedenen Souvenirläden in Mestia gibt es eine Trekkingkarte mit englischen Tourenbeschreibungen und in der Touristeninformation (Setis Moedani 7) kostenlose Kartenblätter mit Informationen zu einzelnen Tagestouren. Die besten georgischen Karten (mit englischer Beschriftung) gibt es von Geoland (Geoland Trekking Maps 1:50.000; Map 9: Mestia, Ushguli, Lashkheti und Map 10: Mt. Ushba, Mestia). Die Firma hat ein Verkaufsbüro in Tbilisi (Telegrapis Tschichi 3).

bild-9_buch_616gkowm6cl__sl1000_Sicherheit: Seit den Mitte der 2000er Jahre begonnenen Reformen hat sich Georgien zu einem der weltweit sichersten Reiseländer entwickelt. So kann auch Swanetien, wo es in der politisch wie wirtschaftlich extrem schweren Zeit nach dem Ende der Sowjetunion überhaupt keinen Tourismus mehr gab, heute gefahrlos bereist werden. Obwohl es nunmehr in Georgien stabile demokratische Verhältnisse gibt, sollte man vor einer Reise eventuelle Reisewarnungen prüfen.

Sprache: Die Bevölkerung in Swanetien ist multilingual. Man spricht Swanisch, Georgisch, Russisch und zunehmend auch Englisch.

Ideale Sprachhilfe

Literaturtipp: Während Sprache und Kultur vieler anderer Länder auch im deutschen Sprachraum immer präsent sind (und sei es nur auf Speisekarten), haben die meisten Leute vor einer Reise nach Georgien noch nie ein Wort Georgisch gehört. Die Sprache ist mit keiner unserer Schulsprachen verwandt und in vielerlei Hinsicht ziemlich exotisch. Das kleine Buch Oh, dieses Georgisch! wurde von Jens Jäger, dem Autor des vorliegenden Beitrags geschrieben, und macht auf unterhaltsame Weise und mit vielen Illustrationen mit Sprache, Schrift und Literatur der georgischen Kulturnation bekannt. Wer für die Reise selbst ein paar georgische Floskeln lernen will, findet außerdem einen kleinen erklärenden (!) Sprachführer. Der kleine Band aus der Reihe Fremdsprech ist für 5,90 Euro im Buchhandel oder direkt beim Conrad Stein Verlag erhältlich.

{google_map}Georgien, Mestia{/google_map}