Vor den Beginn der Zeitreise haben die Götter den Schweiß gestellt. Ein Umstand, der im Wesentlichen der Topgrafie der nördlichen Eifel geschuldet ist. Über eine steile Serpentine führt der beschwerliche Weg vom Parkplatz hinauf zum Eingangsbereich des faszinierenden LVR-Freilichtmuseums Kommern vor den Toren von Mechernich. Doch damit ist es noch nicht getan. Wer die 67 historischen Gebäude aus der ehemaligen preußischen Rheinprovinz in Augenschein nehmen möchte, muss im wahrsten Sinne weite Teile eines fast 95 Hektar großen Areals erlaufen. Wie bergig dieser Teil der Eifel ist, wird schon beim Gang hinauf zum liebevoll errichten Dorf aus dem Westerwald beziehungsweise Mittelrhein-Region deutlich. Mit jedem Schritt über das unbequeme Kopfsteinpflaster kommt man der Zeitreise durch 500 Jahre Siedlungsgeschichte im Rheinland näher.
Das erste von derzeit vier Museumsdörfern – ein fünftes ist im Aufbau – umfasst neben prächtigen Bauernhöfen ein Kelterhaus, eine Schmiede, ein Schul- und Backhaus sowie einen Bienenstand. Und wie in allen Bereichen des Freilichtmuseums ist das Häuserensemble eingebettet in eine mit Äckern, Bauerngärten und Obstwiesen gestaltete Landschaft, in denen auch sehr zur Freude der kleinen Besucher Tiere eine große Rolle spielen. So finden sich in Kommern nicht nur Schafe, Ziegen, Kühe, Esel und Hühner, sondern auch Besonderheiten wie das deutsche Weideschwein oder das überaus imposante und vom Aussterben bedrohte Glan-Donnersberger-Rind.
Etwas weiter auseinander gerissen präsentiert sich das Museumsdorf des „Bergischen Landes“, zu dessen markantesten Bauwerken das einstige Wohnhaus der Industriellenfamilie Mannesmann aus Bliedinghausen zählt. Auf dem weitläufigen Areal zwischen den Museumsdörfer „Bergisches Land“ und „Niederrhein“ mit seinem sehenswerten Korbmacherhaus finden sich eine historische Bockwindmühle sowie eine kaum minder prächtige Kappenwindmühle. Und im Museumsteil „Eifel“ sorgen neben einer Reihe von Gehöften und Bauernhäusern eine Zehntscheune, eine Sägemühle sowie eine historische Kapelle für eine Bilderbuchkulisse und vermitteln einen lehrreichen Einblick in das Wohnen und Wirtschaften der Landbevölkerung seit dem Ende des 15. Jahrhunderts.
Und dies geschieht nicht nur durch einen Blick in Wohnstuben, Schlafzimmer und Werkstätten, sondern auch in zahlreichen Vorführbetrieben, in denen sich die Museumsmitarbeiter beim Backen von frischem Brot, beim Binden von Besen oder beim Schmieden bereitwillig über die Schulter blicken lassen. Noch fesselnder sind die Begegnungen mit den historischen Figuren, die in Kommern anzutreffen sind. Dabei schlüpfen nicht nur Museumsmitarbeiter in die Rolle von Zeitgenossen aus längst vergangenen Tagen, sondern leben deren Leben vor. Quasi eine Art gespielte Geschichte zum Anfassen, bei der Bäuerinnen, Drechsler, Hauswirtschafterinnen oder Schmiede den Besucher in ihren Erzählungen mit auf eine Zeitreise in das Gestern nimmt.
Komplettiert wird die kontinuierlich wachsende Museumslandschaft in Kommern durch die grandiose Ausstellung „Wir Rheinländer“. Dabei wird die Geschichte des Rheinlandes und das Leben der Rheinländer von der französischen Besetzung 1794 bis in die Zeit des beginnenden Wirtschaftswunders nach 1950 szenisch dargestellt. Der Rundgang durch die von außen eher nüchterne Ausstellungshalle führt vorbei an 50 Gebäuden, in denen Szenarien zur rheinischen Geschichte mit optischen und akustischen Effekten verstärkt dargestellt werden.
Wie überaus begeisternd die Zeitreise durch das zweitgrößte deutsche Freilichtmuseum auch fünf Jahrzehnte nach der Eröffnung im Jahre 1961 ist, zeigt ein Blick auf die Besucherzahlen. 200.000 Gäste stimmen jährlich mit den Füßen ab. Und viele von ihnen kommen wieder. Auch weil in Kommern noch fast 200 historische Gebäude eingelagert sind und darauf warten, in dem Museum errichtet zu werden. Vor allem aber auch, weil sich das Freilichtmuseum immer wieder neu erfindet. Davon zeugen nicht nur Wechselausstellungen im Gebäudekomplex am Museumsplatz, sondern auch das im Bau befindliche Häuserensemble „Marktplatz Rheinland“, das die Urbanisierung des ländlichen Raums von den 1950er bis in die 1970er Jahre zeigen soll und somit die Brücke zur Alltagskultur des 20. Jahrhunderts schlägt.
Informationen: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Rheinisches Landesmuseum für Volkskunde, Eickser Straße, 53894 Mechernich-Kommern, Telefon 02443-99800, kommern@lvr.de, www.kommern.lvr.de
Anfahrt: Als Stattteil von Mechernich liegt Kommern am nordwestlichen Rand der Eifel im Kreis Euskirchen und ist über die Bundesautobahn A1 bis zur Ausfahrt Kommern/Wißkirchen bequem erreichbar. Von dort gilt es der Beschilderung zum Museum zu folgen.
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Eintritt: Der Eintritt beträgt 5,50 Euro für Erwachsene beziehungsweise 3,50 Euro und ist alle unter 18 Jahren frei. Für das Parken am Museum wird eine Gebühr von 2,50 Euro erhoben.
Öffnungszeiten: Geöffnet ist das Museum vom 1. April bis 31. Oktober täglich von 9 bis 18 Uhr, vom 1. November bis 31. März täglich von 10 bis 16 Uhr. Verkürzte Öffnungszeiten gibt es an den Weihnachtstagen, Silvester und am Neujahrstag.
Karsten-Thilo Raab
berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen über Reiseziele weltweit. Zudem hat er sich einen Namen als Autor von mehr als 120 Reise-, Wander- und Radführern sowie Bildbänden gemacht.