Bahnbrechend – wenn Schatzmeister zum Standardpersonal in deutschen Zügen gehören

Gemäß aktuellem EU-Urteil müssen Bahnunternehmen ihre Kunden auch dann entschädigen, wenn sich Züge aufgrund von höherer Gewalt oder wegen eines Streiks verspäten.
Gemäß aktuellem EU-Urteil müssen Bahnunternehmen ihre Kunden auch dann entschädigen, wenn sich Züge aufgrund von höherer Gewalt oder wegen eines Streiks verspäten.

Das ist bahnbrechend: Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat die Deutsche Bahn förmlich aus der Bahn geworfen und will auch noch, dass die Bahn dafür zahlt. Die obersten Richter des Kontinents haben an ihrem Sitz in der Hauptstadt des einzigen selbständigen Großherzogtums der Welt selbständig entschieden, dass Europas Bahnunternehmen ihre Kunden auch dann entschädigen müssen, wenn sich Züge aufgrund von höherer Gewalt oder wegen eines Streiks verspäten.

Offen blieb bei dem Richterspruch, ob es auch als Streik gewertet wird, wenn mal wieder eine Klimaanlage in den ICE-Zügen der Deutschen Bahn streikt oder eine Weiche sich an frostigen Wintertagen hartnäckig weigert, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Klar machten Justizias Helfer hingegen, dass zu höherer Gewalt auch Unwetter oder Erdrutsche zählen. Gleiches gilt sicherlich für Erdbeben, Tsunamis in der Rheinischen Tiefebene, Vulkanausbrüche á la Jürgen Klopp am Spielfeldrand, zu viele Züge für zu wenig Gleise oder unerlaubten Gleisbefall durch Herbstlaub.

Noch nicht abschließend geklärt ist, ob die ständigen Preiserhöhungen der Bahn, die seit 2003 mindestens einmal jährlich mit dem Fahrplanwechsel erfolgen, ebenfalls als höhere Gewalt einzustufen sind. Zumal der Bahnkunde diesen Erhöhungen völlig machtlos gegenüber steht. Das jüngste EU-Urteil wiederum könnte bedeuten, dass die Deutsche Bahn AG sich anteilig an den Mehrkosten der Fahrgäste beteiligen müsste. Es sie denn, die Bahn könne den Beweis antreten, dass den vermaledeiten Fahrpreiserhöhungen nicht höhere Gewalt, sondern reine Willkür und Gier zugrunde liege.

Gleichwohl ist das EU-Urteil eine wichtige Weichenstellung: Hat ein Zug am Zielort mindestens 60 Minuten Verspätung, erhalten Fahrgäste 25 Prozent des Fahrpreises erstattet, bei zweistündiger Verspätung 50 Prozent. Der Anspruch gilt auch dann, wenn eine längere Verspätung dadurch zustande kommt, dass der Reisende wegen einer Verspätung im Nahverkehr einen Fernzug verpasst.

Im Gegenzug verpflichten sich angeblich die Bahnbetreiber in Deutschland, die Antragsformulare und die Antragsstellung für etwaige Erstattungen weiterhin möglichst kompliziert zu gestalten, damit der Bahnreisende die Wartezeit bis zum nächsten Zug sinnvoll nutzen kann. In dem Papier müssen der geplante und der tatsächliche Reiseverlauf beschrieben, die Art der Fahrkarte und die gewünschte Form der Entschädigung beschrieben werden.

Um etwaigen Streitigkeiten vorzubeugen, sollen dem Vernehmen nach, künftig neben den Zugbegleitern und Zugführern auch Anwälte und eine Art Schatzmeister zum Standardpersonal an Bord der Züge gehören. Der Anwalt entscheidet dann in voller oder in langsamer Fahrt, notfalls auch bei Rot vor einem Haltesignal oder an einer defekten Weiche, ob der Schatzmeister Geld in die Hand nehmen muss, um den Fahrgast gelinde zu stimmen.

Thekenbrust & ZackendruseDies könnte unterm Strich für die Bahnbetreiber aufgrund des personellen Mehraufwandes zusätzliche Kosten verursachen, die natürlich der Kunde anteilig übernehmen müsste, was ebenfalls unter höhere Gewalt fällt, so dass wieder eine Entschädigung möglich wäre. Was am Ende dazu führen könnte, dass der Passagier Geld dafür bekommt, das er überhaupt noch mit der Bahn reist.

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Karsten-Thilo Raab: San Diego Waldfried,  (ISBN: 978-84-9015-620-9). Erhältlich ist der Kolumnenband im Buchhandel, direkt beim Verlag oder online zum Preis von 20,90 Euro.