Wendake – die zwei Quadratkilometer große Heimat der Huronen

Nicht nur beim jährlichen Pow-Wow-Festival in Wendake leben die alten Traditionen der Huronen auf.
Nicht nur beim jährlichen Pow-Wow-Festival in Wendake leben die alten Traditionen der Huronen auf.

„Kwe! So heißem wir Huronen unsere Gäste willkommen“, ruft Nancy mit freundlichem Grinsen. Sie trägt ein traditionelles indianisches Lederkleid. Ihre schulterlangen, hellbraunen Haare sind im Pipi-Langstrumpf-Look zu zwei abstehenden Zöpfen geflochten. Ihre stahlblauen Augen funkeln. „Ja, ich bin ein Ureinwohner, auch wenn ich nicht so aussehe“, lacht die junge Frau, die im Huronen-Dorf im Indianerreservat von Wendake einen Einblick in das Leben ihrer Vorfahren vermitteln möchte.

Im Huronen-Dorf von Wendake führen Einheimische täglich im Freilichtmuseum alte Tänze auf. (Foto: Karsten-Thilo Raab)
Im Huronen-Dorf von Wendake führen Einheimische täglich im Freilichtmuseum alte Tänze auf. (Foto: Karsten-Thilo Raab)

„Okay, ich bin nicht ganz reinrassig – wenn man so etwas überhaupt sagen darf“, fügt die sympathische Mittzwanzigerin in perfektem Englisch hinzu. Und schon ist sie zu der kurzweiligen Zeitreise durch das Leben der Huronen in der kanadischen Provinz Québec aufgebrochen.

Ihre Haar- und Augenfarbe verdankt Nancy der Tatsache, dass die Zahl der Huronen in den vergangenen gut 400 Jahren von einst 30.000 auf zwischenzeitlich unter 500 gesunken war. In der Folgezeit kam es zu mehr und mehr Ehen zwischen den Huronen und den französischen Siedlern, die sich ab dem 17. Jahrhundert im Osten des heutigen Kanadas niederließen. Und so mischten sich im Laufe der Generationen die Gene der Ureinwohner mit denen der Europäer.

„Die Huronen von heute tragen Jeans und Anzug, sprechen Französisch und zum Teil Englisch“, fügt Sébastien Desnoyers hinzu. Der Zwei-Meter-Hüne mit dem schütteren Haar bestritt über Jahre seinen Lebensunterhalt als Golfprofi, bevor er in die Heimat seiner Vorfahren zurückkehrte und sich seit dem Jahre 2003 um die touristische Vermarktung des knapp zwei Quadratkilometer großen Reservats vor den Toren der Provinzhauptstadt Québec City kümmert.

Ein Erinnerungsfoto mit einem Indianer aus Wendake ist für viele Besucher ein Muss. (Foto: Karsten-Thilo Raab)
Ein Erinnerungsfoto mit einem Indianer aus Wendake ist für viele Besucher ein Muss. (Foto: Karsten-Thilo Raab)

Ursprünglich waren die Wendats, wie die Ureinwohner korrekterweise heißen, am Huronsee im Norden der heutigen Vereinigten Staaten beziehungsweise im Süden des heutigen Kanadas angesiedelt. „Bevor die Europäer die Zivilisation nach Nordamerika brachten, haben wir geglaubt, dass unser Lebensraum von Wasser umgeben sei“, erläutert Sébastien, das Wendake so viel wie „Insel“ und Wendat so viel wie „Bewohner der Insel“ bedeutet. Den Namen „Hurone“ erhielten die Ureinwohner von den Franzosen verliehen, da der Irokesenschnitt sie an den Mittelkamm des Wildschweins (Französisch = „La Hure“) erinnerte.

Ungewöhnlicher Blickfang in Wendake: Die Kirche Notre-Dame-de-Lorette
Ungewöhnlicher Blickfang in Wendake: Die Kirche Notre-Dame-de-Lorette

„Für uns Huronen war die Ankunft der Franzosen Fluch und Segen zugleich“, räumt Nancy rückblickend ein. Denn einerseits blühte nun der Pelzhandel mit den Europäern, andererseits brachte diese bis dahin unbekannte Krankheiten wie Pocken mit sich. Zudem führten die Franzosen – mit den Huronen auf ihrer Seite – einen Krieg gegen die Engländer um das neu entdeckte Land. Die Folge war, dass die Population der Wendats binnen weniger Jahre um fast 90 Prozent auf unter 500 schrumpfte. Die Huronen verließen ihr Stammland und fanden ab 1650 in Wendake unweit der heutigen Provinzhauptstadt Québec City eine neue Heimat.

„Hier haben unsere Vorfahren über viele Generationen so gelebt, wie wir es heute noch im Museumsdorf zeigen“, ergänzt Nancy, während sie das typisch indianische Langhaus betritt. „Annonchia“ nannten die Ureinwohner die riesigen, bis zu 70 Meter langen und bis zu acht Meter breiten sowie hohen Gemeinschaftswohnhäuser. Bis zu 50 Personen lebten in dem kirchengroßen Haus, dessen Dach mit Baumrinde, Stroh und Moosen abgedichtet war.

Vergrößerte sich die Sippe, so konnte das Haus problemlos in Längsrichtung erweitert werden. Die rangniedrigeren Sippenmitglieder bewohnten die äußeren Bereiche, während das Zentrum des Langhauses dem Oberhaupt vorbehalten blieb. Im Innern gab es mehrere Feuerstellen, die rund um die Uhr brannten. Geschlafen wurde in einer Art Etagenbett an den Längsseiten. Wobei die Schlafunterlagen aus Tannenzweigen und Tierfellen bestanden.

Maison Tsawenhoi, der Sitz des Grand Chief aus dem frühen 19. Jahrhundert, dient heute als Museum. (Foto: Karsten-Thilo Raab)
Maison Tsawenhoi, der Sitz des Grand Chief aus dem frühen 19. Jahrhundert, dient heute als Museum. (Foto: Karsten-Thilo Raab)

„Wir haben nie in Tipis gelebt. Denn wir Huronen sind kein ein Nomadenvolk, sondern waren stets bodenständig“, glaubt Sébastien, dass vor allem die Lederstrumpf-Erzählungen von James Cooper ganz wesentlich das weit verbreitete und oftmals falsche Bild der Huronen geprägt haben. In den für das Fernsehen adaptierten Romanen des amerikanischen Schriftstellers werden die Ureinwohner als Furcht verbreitende, listige Krieger geschildert, die durch das Land streiften. Tatsächlich prägte die Dorfgemeinschaft ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Wendats bauten Mais, Tabak, Bohnen, Sonnenblumen und Kürbisse an, gingen Fischen und Jagen, wobei grundsätzlich die Frauen für den Pflanzenanbau zuständig waren. Die Werkzeuge, die für den Ackerbau benötigt wurden, und die Waffen sind in Wendake ebenso zu sehen wie ein typisches Räucher- und Schwitzhaus oder die Beerdingungsstätten der Ureinwohner.

Aber auch abseits des 1989 gegründeten Freilichtmuseums – dieses heißt offiziell ONHOÜA CHETEK8E, was soviel bedeutet wie „von gestern bis heute“ – hat das zwei Quadratkilometer große Reservat einiges zu bieten. Im Mittelpunkt des Dorfes steht die Kirche Notre-Dame-de-Lorette aus dem Jahre 1730. Nur einen Steinwurf entfernt liegen Maison Tsawenhoi, der Sitz des Grand Chief aus dem frühen 19. Jahrhundert, und der 28 Meter Kabir Kouba Wasserfall, dessen Wasser durch eine 455 Millionen Jahre alte Schlucht fließt.

Wer möchte, kann sich in Wendake auch im Umbagng mit einem indianischen Kanu üben.
Wer möchte, kann sich in Wendake auch im Umbagng mit einem indianischen Kanu üben.

Neueste Attraktion ist jedoch das Hotel Premières Nations mit einem kleinen Museum, das ebenfalls der Geschichte der Huronen gewidmet ist. Während das Museum von der Optik an ein indianisches Räucherhaus angelehnt ist, ist das Hotel selber einem Langhaus nachempfunden.

„Das Hotel und das Museum wurden von den Wendats gebaut. Das Gros der Angestellten kommen aus dem Reservat“, wertet Sébastien Desnoyers das 30-Millionen-Dollar-Projekt als große Chance für die Huronen, die ohnehin geringe Arbeitslosigkeit in Wendake zu bekämpfen und wirtschaftlich noch unabhängiger zu werden. Denn längst ist das zum Hotel gehörende La Traite Restaurant aufgrund seiner exzellenten Küche zu einem offenen Geheimtipp in der Provinz Québec geworden. Auf der Speisekarte stehen unter anderem Seehund, Karibu- und Büffelfleisch, die nach alten indianischen Rezepten zubereitet werden. Keine Frage, so schmeckt die Tradition der Ureinwohner, die sich in Wendake mit allen Sinnen erleben lässt.

Mit dem  Premières Nations unterhalten die Huronen nicht nurein Hotel, sondern auch ein kleines Museum. (Foto: Karsten-Thilo Raab)
Mit dem Premières Nations unterhalten die Huronen nicht nurein Hotel, sondern auch ein kleines Museum. (Foto: Karsten-Thilo Raab)

Allgemeine Informationen: www.bonjourquebec.de

Informationen: Tourisme Wendake, 10, place de la Rencontre, Wendake G0A 4V0, Québec, Kanada, Telefon 001-(0)418-8471835, info@tourismewendake.ca, www.tourismewendake.com

Allgemeines: Die Provinz Québec liegt im Nordosten des amerikanischen Kontinents und misst rund 1,6 Millionen Quadratkilometer Fläche. Etwa 83 Prozent der Bevölkerung sprechen Französisch. Aber auch Englisch ist weit verbreitet. Die Zeitdifferenz zur Mitteleuropäischen Zeit beträgt minus sechs Stunden. Für die Einreise wird ein mindestens noch sechs Monate gültiger Reisepass benötigt.

Anreise: Das Indianerreservat Wendake liegt rund 15 Autominuten von der Provinzhauptstadt Québec City entfernt.

Abseits des Freilichtmuseums wirkt Wendake wie eine ganz "normale" kanadische Kleinstadt. (Foto: Karsten-Thilo Raab)
Abseits des Freilichtmuseums wirkt Wendake wie eine ganz „normale“ kanadische Kleinstadt. (Foto: Karsten-Thilo Raab)

Village-des-Hurons, 575 rue Stanislas-Kosca, Wendake, Québec GOA 4VO, Telefon 001-(0)418-8424308, www.huron-wendat.qc.ca. Das Museumsdorf ist ganzjährig geöffnet.

Huron-Wendat Museum, 15, Place de la Rencontre, Wendake (Québec) G0A 4V0, Telefon 001-(0)418-847-2260. Täglich von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Eintritt für Erwachsene 13,80 Dollar, ermäßigt 12,65 Dollar und für Kinder 6,90 Dollar

Essen und Trinken: La Traite Restaurant, 5, place de la Rencontre Ekionkiestha, Wendake, Québec GOA 4VO, Telefon 001-(0)418-8470624.

Nek8arre Restaurant, 575 rue Stanislas-Kosca, Wendake, Québec GOA 4VO, Telefon 001-(0)418-8424308, www.huron-wendat.qc.ca. Das Restaurant bietet indianische Speisen an – darunter Bison und Wapiti.

Übernachtung: Hotel Premières Nations, 5, place de la Rencontre Ekionkiestha, Wendake, Québec GOA 4VO, Telefon 001-(0)418-847222, www.hotelpremieresnations.ca. Das Vier-Sterne-Haus bietet Zimmer mit Frühstück ab 155 Kanadischen Dollar an – alle mit Blick auf den Akiawenrahk River.

La Huronnière, 415, rue Chef-Maurice-Sébastien, Wendake (Québec) G0A 4V0, Telefon 001-(0)418 845-4118, www.lahuronniere.com. Die privat geführte, kleine Pension im herzen von Wendkae bietet Doppelzimmer ab 110 Dollar pro Nacht an.


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