Rhondda Heritage Park – der Waliser Kohlenpott

Rhondda Heritage Park
Nicht nur im Rhondda Heritage Parkwird die Bergbau-Vergangjeit von Wales bewahrt. – Foto Karsten-Thilo Raab

„Green, green gras of home“, lautet der Refrain in Tom Jones bekannter Hommage an seine Heimat. Und schon nach kurzer Zeit wird deutlich, was der wohl bekannteste Musikexport aus Wales zum Ausdruck bringen wollte: Unendlich viele Schattierungen von Grün soweit das Auge reicht, ausgedehnte Wälder, saftige Wiesen, mannshohe Farne, mächtige Rhododendren in Hülle und Fülle, blühende Heide- und Moorlandschaften, dazwischen unzählige weiße Punkte, die sich bei näherer Betrachtung als Schafe entpuppen. Wales, das Land der 12 Millionen Schafe und drei Millionen Einwohner, weiß aber nicht allein mit seiner abwechselungsreichen Landschaft zu faszinieren, sondern auch mit seinen mehr als 400 Burgen. Gleichwohl kann und will das kleine Land im Westen Europas seine industrielle Vergangenheit nicht leugnen. Im Gegenteil, heute avancieren die einstigen Kathedralen der Industriellen Revolution und des Bergbaus zu einem Magneten für Besucher aus aller Herren Länder.

Kathedralen des Bergbaus

Rhondda Heritage Park
Noch heute finden sich in Wales „Kathedralen des Bergbaus“ wie hier die Tower Colliery. – Foto Karsten-Thilo Raab

Wie Maulwürfe haben die Walisern unterstützt durch Gastarbeiter aus vielen Teilen Europas im 18. und 19. Jahrhundert ihr Land förmlich durchwühlt und systematisch unterhöhlt, um das schwarze Gold an Tageslicht zu bringen. Die Förderung von Kohle und Eisenerz war wiederum einer der wichtigen Schlüssel, für den Aufbau der Eisen verarbeitende Industrie, die sich zum Schrittmacher und zeitweilig sogar Weltmarktführer der Stahlproduktion entwickeln sollte. Nachdem 1991 aufgrund mangelnder Profitabilität die letzte Zeche in Wales schließen musste, werden die Erinnerungen an die industrielle Vergangenheit heute insbesondere im Rhondda Valley in Südwales aufrechterhalten.

Untertage in den Stollen

Mit Helm und Grubenlampe geht es im Big Pit Untertage. – Foto Karsten-Thilo Raab

Im lieblichen Tafftal beispielsweise liegt die Lewis Methyr Colliery, eine von 53 Gruben, die das Tal einst prägten. Hier entstand der Rhondda Heritage Park, wo im Rahmen von Führungen viel Wissenswertes über die harschen Arbeits- und Lebensbedingungen der Zechenarbeiter der 20er bis 50er des letzten Jahrhunderts erfahren werden kann. Mit Helm und Lampe ausgestattet, geht es auch Untertage in einen Stollen.

Nationales Bergbaumuseum

Big Pit erzählt als nationales Bergbaumuseum die Geschichte der Kohleförderung – Foto Karsten-Thilo Raab

Kaum minder spannend ist der Besuch des  nationalen Bergbaumuseums Big Pit, wo Interessierte in Begleitung ehemaligen Kumpel, die sich als Museumsführer ein Zubrot zu ihrer schmalen Rente verdienen, in einem Förderkorb bis zu 300 Meter tief in den Stollen einfahren können. In den Tiefen und der Enge des ehemaligen Kohlebergwerkes, das im Jahre 2005 als bestes Museum in Großbritannien ausgezeichnet wurde, wird schnell deutlich, unter welchen schwierigen Bedingungen hier einst Kohle und Eisenerz abgebaut wurden. Fernab vom Tageslicht mussten hunderte Minenarbeitern anfangs nur im Hauch des Kerzenscheins nach dem schwarzen Gold schürfen. Selbst Kinder mussten hier bis zu zwölf Stunden am Tag harte Arbeit in den kilometerlangen Förderschächten leisten. Gezogen wurden die schweren Wagen voller Kohle von Pferden, die gerade einmal zwei Wochen im Jahr das Tageslicht erblickten.

Welterbe mit Industrie-Geschichte

Die Blaenavon Ironworksstehen als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO. – Foto Karsten-Thilo Raab

Ganz in der Nähe von Big Pit steht mit den Blaenavon Ironworks das am besten erhaltene Industriedenkmal dieser Art in Westeuropa. Die restaurierten Eisenwerke mit ihrem Hochofen aus dem späten 18 Jahrhundert, den gut erhaltenen  Schmiedehallen und Arbeiterwohnungen sind heute Teil des UNESCO-Welterbes. Die von Unternehmern aus dem englischen Staffordshire gegründete Blaenavon Company zeigte inmitten des Waliser Kohlenpotts unternehmerische Weitsicht, als sie die Eisenwerke nebst eine kompletten Stadt mit einer Arbeitersiedlung für 12.000 Menschen aus der Taufe hob.

Dampfmaschinen als Schrittmacher

Blaenavon Ironworks, Copyright Karsten-Thilo Raab

Da die Fliessgeschwindigkeit des River Avon an dieser Stelle zu schwach war, um den Fluss für den Antrieb der Anlagen zu nutzen, setzte die Firma auf die damals noch neuartigen Dampfmaschinen. Auf einer Fläche von 50 Quadratkilometern entstand ein Netz von Schienensträngen, auf denen Kohle und Eisenerz aus den nahe gelegenen Minen zur Weiterverarbeitung herangebracht wurden. Im Gegenzug verließen Kessel, Räder, Schienen und Eisenprodukte Blaenavon auf dem Schienenwege, um von den Häfen in Südwales aus in die ganze Welt verschifft zu werden.

Cardiff als Kohlem-Umschlagplatz

An der Cardiff Bay liegen das Gestern und Morgen dicht beieinander. – Foto Karsten-Thilo raab

Kaum minder beeindruckend ist der massive Wandel der Cardiff Bay. Die weit gestreckte Bucht der walisischen Hauptstadt war über viele Jahrzehnte einer der weltweit bedeutendsten Umschlagplätze für Kohle und Stahl. Der Höhepunkt war 1913 erreicht, als allein 13 Millionen Tonnen Kohle verschifft wurden. Bis zu 1.000 Schiffe warteten pro Woche darauf, mit dem schwarzen Gold aus den nahe gelegenen Bergwerken von Südwales beladen zu werden. Doch mit der Entdeckung von Kohlevorkommen in Afrika und der zunehmenden Abhängigkeit von Erdöl verlor der Hafen an Bedeutung. 1965 legte das letzte Kohleschiff ab. Die Docks verödeten, der Hafen war sprichwörtlich von allen guten Industriegeistern verlassen. Die Werften machten reihenweise die Schotten dicht, an den Docks und Lagerhallen nagte unaufhörlich der Zahn der Zeit. Die Hafenregion drohte zum Armenhaus zu verkommen.

Modernes Gesicht des Hafenviertels

Nicht nur an der Cardiff Bay zeugen moderne Bauten vom längst vollzogenen Aufbruch ins 21. Jahrhundert. – Foto Karsten-Thilo Raab

Doch rechtzeitig vor der Jahrtausendwende zogen die Waliser die Reißleine. Dank der Unterstützung von finanzkräftigen Investoren begann die komplette Umgestaltung der Bucht, die sich heute mit ihren glas- und stahlarchitektonischen Bauten als moderner Stadtteil entpuppt. Die alten Docks mussten schicken neuen Einkaufspassagen, modernen Wohnkomplexen, Hotels, unzähligen Restaurants und Bürogebäuden Platz machen. Mit Hilfe eines mächtigen Schutzwalls wurde sogar dem starken Tidenhub ein Schnippchen geschlagen. Bereichert wird die attraktive Uferzone zwischen Mermaid Quay und dem historischen Pierhead durch das Wales Millennium Centre mit der grandiosen staatlichen Oper, den Sitz des 1999 konstituierten Parlaments von Wales, der Welsh Assembly, und nicht zu vergessen, durch das St. David’s, eines der schönsten Luxushotels der britischen Inseln.