Oberlandkanal – per Schiff über Polens Berge

Faszinierendes Bild am polnischen Oberlandkanal: ein Schiff !auf Landgang". (Foto ZOE)
Faszinierendes Bild am polnischen Oberlandkanal: ein Schiff !auf Landgang“. (Foto ZOE)

Fahrten per Schiff kann man überall auf der Welt erleben, Fahrten auf Schienen auch. Aber Schiffe, die auf Schienen fahren, gibt es nur in Polen. Ab 1. Juni 2015 sind wieder Ausflugsschiffe auf dem Kanał Ostródzko-Elbląski (Oberlandkanal) unterwegs. Mehr als zwei Jahre lang war er wegen umfangreicher Renovierungsarbeiten geschlossen. Dabei wurden unter anderem die technischen Systeme im Bereich der fünf geneigten Ebenen sowie die vier Schleusen im Bereich des Kanals erneuert.

Schon morgens früh um acht startet der weiße Ausflugsdampfer im Hafen der westmasurischen Kleinstadt Ostróda (Osterode). Elf Stunden dauert die Fahrt in den rund 80 Kilometer entfernten Hafen von Elbląg (Elbing) am Frischen Haff. Mit einer Geschwindigkeit von etwa acht Kilometern pro Stunde bewegt sich das Schiff durch den schmalen, teilweise von dichtem Schilf gesäumten Kanal und über kleine Rinnenseen. Die Passagiere auf dem Oberdeck können die Natur und die Stille genießen, die nur gelegentlich durch das Geschnatter einer Ente durchbrochen wird.

Mit Hilfe von Schienen meistern die Passagierschiffe auf dem Oberlandkanal insgesamt fünf Berge. (Foto: ZOE)
Mit Hilfe von Schienen meistern die Passagierschiffe auf dem Oberlandkanal insgesamt fünf Berge. (Foto: ZOE)

Gut sechs Stunden nach dem Start erwartet die Passagiere einer der Höhepunkte der Reise. Bei Buczyniec fährt das Schiff zum ersten Mal über Land. Es schiebt sich über eine unter Wasser befindliche Plattform, wird an den beiden Seitenwänden vertaut, dann setzt sich wie von unsichtbarer Hand gesteuert ein Räderwerk in Bewegung. Ein dickes Stahlseil zieht die achträdrige Plattform eine Anhöhe herauf und Stück für Stück gelangt das ganz Schiff aus dem Wasser. Ist der Gipfel erreicht, geht es Huckepack auf Schienen den steilen, mit Gras bewachsenen Abhang hinunter.

Wer an Bord sein Bier noch nicht ausgetrunken hat, sollte das Glas sicherheitshalber festhalten. Unten gleitet das Gefährt sanft ins Wasser, bis sich das Schiff von der Plattform abhebt. Dann werden die Taue gelöst und der Dampfer setzt seine Fahrt selbstständig fort. Insgesamt fünf geneigte Ebenen gibt es. Sie gleichen auf einer Länge von zehn Kilometern einen Höhenunterschied von fast 100 Metern aus.

Manch ein Spaziergänger wundert sich, wenn er von einem Schiff überholt wird. (Foto WMROT)
Manch ein Spaziergänger wundert sich, wenn er von einem Schiff überholt wird. (Foto WMROT)

Mehr als 30 Schleusen wären erforderlich, um den gleichen Effekt zu erzielen. Auf dem Niveau des Meeresspiegels angekommen, geht die Fahrt über den flachen, mit Seerosen bedeckten Jezioro Druzno (Drausensee) nach Elbląg. Der See ist ein Vogelschutz-Reservat, an seinem östlichen Ufer fand man bei Ausgrabungen die Reste der legendären frühmittelalterlichen Handelsstadt Truso.

Am Ufer in Buczyniec können Schaulustige verfolgen, wie der ganze Mechanismus in Bewegung kommt. Über ein Rohr wird Wasser aus dem Kanal auf ein acht Meter großes Wasserrad geleitet, dessen breite Schaufeln je eine Tonne Wasser aufnehmen. Das Wasserrad bewegt ein Endlosseil, das die Plattformen in Fahrt bringt. Ausgedacht hat sich dieses Wunderwerk der Technik der Königsberger Ingenieur Georg Jacob Steenke. Schon 1825 entwarf der königlich preußische Baurat Steenke einen ersten Plan für den Oberlandkanal mit den geneigten Ebenen.

Ziel war es, den Westen Masurens mit der Ostsee zu verbinden. Mit den Arbeiten wurde 1848 begonnen, 1860 wurde der Kanal offiziell eröffnet. Neben der 80 km langen Hauptstrecke zwischen Elbing und Osterode entstanden Abzweige nach Iława (Deutsch Eylau) und nach Stare Jabłonki (Alt-Jablonken). Dadurch erweiterte sich das gesamte System der Wasserstraßen auf mehr als 150 Kilometern Länge.

Schon 1825 reiften erste Pläne für den ungewöhnlichen Transportweg durch Polen. (Foto ZOE)
Schon 1825 reiften erste Pläne für den ungewöhnlichen Transportweg durch Polen. (Foto ZOE)

Gedacht war der Kanal, um Güter aus dem Landesinneren zur Ostsee zu transportieren. Die Schiffe luden Holz aus den masurischen Wäldern und landwirtschaftliche Erzeugnisse. Doch bereits 1912 fuhren die letzten Transportschiffe auf der Strecke. Nach dem Ersten Weltkrieg begann man, den Oberlandkanal touristisch zu nutzen. Heute verkehren neben Ausflugsdampfern auch viele Hausboote auf dem Kanal und den angeschlossenen Seen. Vor der Schließung waren dort jährlich rund 60.000 Personen unterwegs.

Die Sanierung des Kanals kostete rund 115 Millionen Złoty, umgerechnet fast 30 Millionen Euro, und wurde mit Mitteln der EU unterstützt. Hydrotechnische Anlagen und andere technische Komponenten mussten erneuert werden, Schienen, Elektro- und Sicherheitsanlagen wurden saniert und Ufer befestigt.

Das System der geneigten Ebenen funktioniert indes noch so wie vor 150 Jahren. Beiderseits der geneigten Ebenen wurden Besucherwege neu angelegt. In einem ehemaligen Aufsichtsgebäude in Buczyniec entstand ein kleines Kanal-Museum, das ebenfalls ab 1. Juni für die Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Im Erdgeschoss wird über die Entstehung des Kanals und seinen Erfinder sowie die Sanierungsarbeiten informiert und ein Modell der schiefen Ebene gezeigt. Im Obergeschoss sind Modelle weiterer technischer Lösungen zu sehen.

Die Schienenpassagen machen die Fahrt auf dem Oberlandkanal zu einem unvergesslichen Erlebnis. (Foto WMROT)
Die Schienenpassagen machen die Fahrt auf dem Oberlandkanal zu einem unvergesslichen Erlebnis. (Foto WMROT)

Nach der zweijährigen Pause kann sich die Gesellschaft Żegluga Ostródzko-Elbląska vor Anfragen kaum retten. Schon vor dem geplanten Start am 1. Juni hatte sie Anmeldungen für 200 Gruppenfahrten. Individuelle Buchungen sollen in Kürze möglich sein, wenn ganz sicher ist, dass der Start wie geplant erfolgen kann. Die Gesellschaft hat in diesem Jahr zwei neue Schiffe in Betrieb genommen. Insgesamt fünf Ausflugsdampfer mit bis zu 55 Passagieren sollen täglich in beide Richtungen eingesetzt werden.

Die Touren dauern von 8 bis 19 Uhr und kosten umgerechnet ca. 30 Euro. Eingeschlossen ist der Rücktransport per Bus. Auf Wunsch kann eine Mahlzeit bestellt werden, die von einem Caterer geliefert wird. Auch Fahrten auf Teilstrecken des Kanals sind möglich. Etwa viereinhalb Stunden dauert die Tour von der ersten schiefen Ebene in Buczyniec bis nach Elbląg.

Informationen: Fahrplan und Informationen der Schifffahrtsgesellschaft Żegluga Ostródzko-Elbląska unter www.zegluga.com.pl 

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